Wie der Autor für Brandt auf die Pauke haute: Erinnerungen an seine Auftritte in Bayreuth und Waischenfeld Als Grass in Bayreuth trommelte

Von Michael Weiser
Viel Prominenz in Bayreuths Stadthalle: Unser Bild zeigt von links sitzend: Schauspielerin Agnes Fink, Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, Brands damalige Frau Rut sowie (von links stehend) Regisseur Bernhard Wicki, den Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner, Komponist Hans Werner Henze, Günter Grass, Willy Brandt und Karl Schiller. Foto: dpa Foto: red

Der Autor der „Blechtrommel“ trommelte auch in Bayreuth: Günter Grass warb 1965 in der Stadthalle für den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt. Und war zwei Jahre später dabei, als sich in Waischenfeld die „Gruppe 47“ zerlegte.

 
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Der Berichterstatter des „Bayreuther Tagblatts“ war vom Nachspiel begeistert. „Der geistige Hochflug (links)intellektueller Gespräche fand sein Äquivalent in reichen leiblichen Genüssen eines von den Gastronomen Schwarzmann und Merkl prächtig angerichteten kalten Buffets“, schrieb er nach Willy Brandts Wahlkampfauftritt am 4. September 1965 in Bayreuth.

Ob Stargast Günter Grass die Zufriedenheit teilte, müssen wir bezweifeln. Grass aß gerne gemütlich und deftig, im Kreis von Familie und Freunden; es mag also sein, dass ihn das Gedränge am Kalten Buffet im Foyer der Stadthalle nicht ansprach. „Was soll man von der Provinz mehr erwarten?“, fragte er einen Journalisten.

Grass, seit Ende der 50er Jahre Mitglied in der legendären „Gruppe 47“, Autor der hoch gelobten Danziger Trilogie mit der sagenhaften „Blechtrommel“, war als Trommler für Brandt in die Stadthalle gekommen. Und würzte seine mitunter rätselhafte Rede sogar mit Lokalkolorit. „Bayreuth ist eine doppelt belastete Stadt“, sagte er. „Richard Wagner und Jean Paul ewig zu Gast haben zu müssen, den Tristan gehen und den Siebenkäs kommen zu sehen – das setzt ein übergroßes Maß an Gastfreundschaft voraus.“

Die Bayreuther, so ist zu lesen, waren begeistert. Vermutlich auch deswegen, weil Grass eine weitere Belastung Bayreuths durch einen sehr häufigen Gast und prominenten Wagner-Verehrer gar nicht erwähnte. Warum Grass Bayreuths braune Vergangenheit ruhen ließ? Es ging darum, gutes Wetter für die SPD zu machen. Und damit zu zeigen, dass Dichter sehr wohl politische Durchschlagskraft entfalten konnte. Seine Wahlkampfreisen, so Grass, dienten dem Ziel, dass „in Zukunft kein Stimmvieh mehr auf die Weide getrieben wird“. Dementsprechend fragte er nach dem Bayreuther Auftritt Willy Brandt: „Glauben Sie, dass Ihnen meine Sache genützt hat?“ Brandt antwortete: „Das weiß ich nicht, es ist nicht messbar. Das ist mir auch egal. Die Hauptsache ist, dass sich die Leute überhaupt mit der Wahl beschäftigen.“

Was die Auswahl betraf, war die SPD für Grass offenbar das kleinste Übel. Sie sei zwar ein „nüchtern geratenes Kind der politischen Phantasie“, sei „amusisch“ und damit einem Künstler eigentlich nicht zuzumuten. Dennoch, auch daran ließ er keinen Zweifel, allen anderen Parteien vorzuziehen. Strauß, begabt und machthungrig, habe jeden Kredit verspielt. Bundeskanzler Erhard und Altkanzler Adenauer? Ihnen schleuderte der Großschriftstelle mit finsterem Gesicht sein „J’accuse“ entgegen: „Ich klage an!“ Es war 1965, wie gesagt, Grass hielt Adenauer seinen früheren Kanzleramtschef vor, den schrecklichen Juristen Globke, den Kommentator der „Nürnberger Rassegesetze“.

Grass, der Ankläger

Grass konnte Adenauer ohne Widerspruch anklagen, weil über seine eigene Vergangenheit in der SS noch nichts bekannt geworden war. Bis zum Skandal sollte es noch einige Jahrzehnte dauern, in denen Grass sich den Ruf einer moralischen Instanz, aber auch eines Rechthabers erwarb, der gern über andere zu Gericht saß. Der Ort des Dichters sei in der Gesellschaft, nicht in einem Traumreich.

Günter Grass wird diese Meinung nicht geteilt haben. Er war von den politischen Möglichkeiten des Dichters überzeugt. Und auch von der geistigen Freiheit seines Berufsstandes. In den 60er Jahren, als sich die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland verschärften, kritisierte er die Scharfmacher von „Bild“ und „Welt“, ebenso aber auch deren Lieblingsgegner, die linken Studenten. Grass schrieb 1968, die Apo-Texte seien oft „mit derselben autoritären Tinte“ geschrieben wie die Artikel von Springers Anheizern. Wobei man nicht ausschließen darf, dass sich Grass von seiner Lust am Provozieren treiben ließ. Grass liebte den Angriff, und war er auch so plump eingeleitet wie in seinem späten antiisraelischen Hasstext „Was gesagt werden muss“. Ja, hassen konnte er, und poltern. „Sonst ist mir von Bayreuth und dem widerlichen Getue des neureichen Pöbels im Umfeld der monströsen Kultscheune nur den Lachnerv reizender Ekel geblieben.“ Schreibt er in „Das Häuten der Zwiebel“.

Das Treffen von Waischenfeld

Immerhin, die Region Bayreuth hat dem Literaten einen heimlichen Platz in der Literaturgeschichte zu verdanken – durch das „Treffen in Telgte“. Die Geschichte spielt woanders, im 17. Jahrhundert, und in der Vorstellung von Grass, natürlich. Aber inspiriert ist sie durch Waischenfeld. Dort war die „Gruppe 47“ 1967 in der Pulvermühle zu einem Treffen zusammengekommen, das im Streit enden sollte. In der Abgeschiedenheit wurden die Dichter von Studenten gestört, die den Dichtern politische Impotenz unterstellten. „Ihre Hintermänner sitzen im Saal, Freunde von mir, die sich aus allzu harmlosen Formalisten in lautstarke Ideologen verwandelt haben und nun Revolutionäre spielen“, erinnerte sich Hans Werner Richter, der Motor der „Gruppe 47“. Günter Grass trat den Wortführern entgegen, die Brüche waren nicht mehr zu heilen.

Ein paar Jahre nach dem Treffen brachte Günter Grass den besagten Roman heraus. Es geht darin um eine Zusammenkunft von Dichtern, die Deutschland aus der Zerrüttung des Dreißigjährigen Krieges retten wollen. Die barocken Literaten sind nach den Autoren der Waischenfelder Runde gezeichnet. Der Gestalt des Grimmelshausen verlieh Grass Züge von sich.

Und er stellte den Dichtern und ihrem so fruchtlosen Treffen ein überraschend zartes Zeugnis aus: Mit der Macht der geschriebenen Wörter, „welche nach Maßen der Kunst zu setzen einzig die Dichter begnadet seien“, hätten sie der Ohnmacht ein leises „Dennoch“ entgegengesetzt.

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