Einmal zum Politikum geworden nahm sich in Kiew auch das Kulturministerium der Sache an. Im Oktober 2020 wurde die "Borschtsch-Zubereitungskultur" in die nationale Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Auch das Außenministerium schaltete sich ein. Der französische Gastroführer Michelin musste sich bei der ukrainischen Botschaft in Paris für die Zuschreibung des Gerichts zur russischen Küche entschuldigen.
Im März vergangenen Jahres beantragte die Ukraine dann die Aufnahme ihres Borschtschs in die Liste des Kulturerbes der Menschheit beantragt. Medienberichten zufolge hätte darüber eigentlich erst im nächsten Jahr entschieden werden sollen. Solche Dinge dauern bei der Unesco normalerweise etwas länger. Doch nach dem Einmarschbefehl von Kremlchef Wladimir Putin wurde Kiew eine schnellere Prüfung zugestanden.
Es geht um das kulturelle Erbe
Der Streit um die Krautsuppe kann auf den ersten Blick deplatziert wirken angesichts Tausender Tote, zerstörter Städte und des riesigen Leids, das der Krieg über die Ukraine gebracht hat. Doch manchmal verbirgt sich im vermeintlich Unwichtigen eine tiefere Symbolik - so wohl auch beim Borschtsch: Kritiker werfen Russland immer wieder vor, sich das kulturelle Erbe anderer ehemaliger Sowjetrepubliken dreist anzueignen.
Hinzu kommt, dass die ukrainische Kultur - wie viele andere Lebensbereiche auch - vom Krieg bedroht ist. So heißt es auch von der Unesco, die durch den Krieg verursachte Vertreibung von Millionen Menschen führe dazu, dass viele nicht mehr in der Lage seien, zu kochen oder Gemüse für Borschtsch anzubauen. Wenn man sich aber nicht mehr zum Kochen versammeln könne, untergrabe dies das soziale und kulturelle Wohlergehen einer Gemeinschaft.
So groß die Freude in der Ukraine nun ist, so groß ist die Empörung in Russland. "Was kommt als Nächstes? Anerkennung von Schweinefleisch als "ukrainisches Nationalprodukt"?", spottete die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Die Diplomatin hatte zuvor schon für Aufsehen gesorgt, indem sie andeutete, der Krieg sei auch ausgebrochen, weil die Ukrainer den Borschtsch nicht teilen wollten. Nun verwies sie auf Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrhundert, wonach der Borschtsch ein Gericht russischer Einwohner Kiews gewesen sein soll. Die Unesco-Entscheidung sei eine Bestätigung für ukrainische "Fremdenfeindlichkeit, Nazismus, Extremismus in allen Formen".
Die Unesco allerdings hat klar gemacht: Die Einstufung des ukrainischen Borschtsch als zu schützendes Kulturerbe bedeute "weder Exklusivität noch Eigentum am betreffenden Erbe". Sprich: Auch anderswo dürfen sich die Menschen die Suppe weiter kulturell verbunden fühlen. Zumindest Sacharowa scheint der Appetit auf Rote Bete für den Moment vergangen zu sein. Am Sonntag zeigte sie sich im Nachrichtendienst Telegram mit neuer Nahrung: Erdbeeren. "Meine Ernte", schrieb sie zu einem Video, das drei Minuten zeigt, wie sie genüsslich an einer Beere lutscht und schließlich ein Stück davon abbeißt.