Was wird vom zu Ende gehenden Jahr 2022 im Gedächtnis bleiben? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Weihnachtsvorlesung im Audimax der Universität Bayreuth.
Die Präsidentin von „Ärzte ohne Grenzen“ hielt an der Universität Bayreuth die Weihnachtsvorlesung. Eine Gänsehaut-Rede mit viel Offenheit und emotionaler Tiefe.
Was wird vom zu Ende gehenden Jahr 2022 im Gedächtnis bleiben? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Weihnachtsvorlesung im Audimax der Universität Bayreuth.
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Traditionell kurz vor Weihnachten lädt der Initiator der Reihe, Prof. mult. Eckhard Nagel, prominente Redner dazu nach Bayreuth ein. Diesmal war es die in Frankreich geborene Präsidentin von „Ärzte ohne Grenzen“, Amy Neumann-Volmer.
Die Weihnachtsvorlesung begann mit einem Rückblick auf das Jahr, das wieder einmal ein Jahr der Krise war. Die Ukraine wurde zu einem der meistgesuchten Begriffe bei Google, wie Student Felix Kaiser den Zuhörern mitteilte. Der stellvertretende Vorsitzende des Studierendenparlaments zählte noch weitere Schlagworte des Jahres 2022 auf: die EM der Frauen, die WM in Qatar, der Tod der Queen, steigende Benzinpreise und immer noch Corona. Nur zu verzichten, sei nicht die richtige Strategie, um der Energiekrise zu begegnen, sagte Felix Kaiser. „Wir müssen an der Universität auch an neuen Lösungen arbeiten.“ Als Beispiel nannte er eine neue Plattform für Klima-Start-ups, an der gerade gearbeitet werde.
„Die Uni und mit ihr ganz Bayreuth haben gezeigt, dass wir Solidarität können“, erinnerte der Vorsitzende des Studierendenparlaments, Milan Tartler, an die beispiellose Hilfsaktion für die Ukraine. 40 Tonnen an Hilfsgütern von Lebensmitteln über Kleidung und Medikamente wurden gesammelt. „Viele von uns sind selbst an die polnische Grenze gefahren.“ Mit Lwiw habe sich auf studentischer Ebene ein reger Austausch etabliert. In Deutschland habe sich das Heizen zur sozialen Frage entwickelt. Ein Viertel der Studenten sei von Armut bedroht. Die Schwächeren würden nicht genug unterstützt, mahnte Tartler. „Der Freistaat lässt uns im Stich.“ Für 2023 wünschten sich die Studenten weniger Krisen und mehr Freude und Menschlichkeit.
Maximilian Kaiser vom Arbeitskreis Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement ließ die vergangenen Monate ebenfalls Revue passieren. Dass dass Studienjahr mit Abstand begonnen habe und mit Nähe und in Präsenz ende, gebe Grund zur Hoffnung. Die Corona-Zeit nach seinem ersten Semester erscheine ihm „wie in Nebel gehüllt“. So erging es wohl vielen in dieser Ausnahmezeit. Nach zwei Jahren sich endlich wiederzusehen, zusammen zu essen und zu feiern sei befreiend gewesen. „Der persönliche Austausch, das Miteinander und die Vernetzung sind das wichtigste am Studium“, sagte Maximilian Kaiser.
Nagel, Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, freute sich besonders über die ersten Medizinstudierenden in Bayreuth. Mittlerweile sei das zweite Semester am Medizincampus Oberfranken begonnen worden. Genauso habe sich in den Lebenswissenschaften und der Gründung der siebten Fakultät in Kulmbach viel getan. Auch sein Weltbild sei mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges ins Wanken geraten. Ein „unverständlicher und überraschender“ Angriff Russlands, sagte Nagel, der sich selbst als Pazifisten und Christen beschrieb.
Krisenerprobt und dennoch zuversichtlich – das ist Amy Neumann-Volmer, die als Landärztin in Süddeutschland lebt und seit vielen Jahren für „Ärzte ohne Grenzen“ im Einsatz ist. In den Vorstand wurde sie 2017 gewählt, seit 2019 ist sie Vorstandsvorsitzende. In ihrem Vortrag „Leben in, mit und durch die Krisen“ beschrieb sie ihre Tätigkeit, die eng mit ihren persönlichen Werten verbunden ist und für die sie mit dem Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde. „Leben retten, Leid lindern, humanitäre Hilfe finanzieren und organisieren“, das seien ihre Aufgaben. Sie könnte vielerlei Geschichte erzählen, sagte die Ärztin, nicht nur Angenehme. Auf den Einsätzen sehe sie häufig „die brutalen, harten und ungerechten Seiten der Welt“. Wenn sie nicht an die Menschlichkeit glauben würde, könnte sie diese Arbeit nicht machen, sagte Amy Neumann-Volmer. Oft fehlten Impfstoffe, Menschen würden im Meer ertrinken, Frauen, die ungewollt schwanger seien, dürften nicht abtreiben: „Es ist gerade das Fehlen der Menschlichkeit, die einen fast vor Wut zerbrechen lässt.“
In der Zentralafrikanischen Republik, im Kongo oder auf Haiti sammelte sie Erfahrungen als Ärztin. „Manchmal liege ich nachts weinend im Bett“, sagte sie. Weil es immer zu viel sei und sie immer zu spät komme. Doch es gebe kleine Dinge, die sie stärkten und Hoffnung machten. „Ein Gedicht, ein Lied, ein Tanz – halten Sie sich daran fest.“ Zu den schweren Erlebnissen gehöre der Missbrauch von Frauen, die zusehen müssten, davon nicht erdrückt zu werden und die Verantwortung an die Täter zurückzugeben.
Der Liebe wegen sei sie 1978 nach Deutschland gekommen und habe mit ihrem Mann drei Kinder groß gezogen. Manchmal habe man sie für eine Türkin gehalten – und auch so behandelt. „Wir wissen nicht, wann wir wem begegnen“, sagte Amy Neumann-Volmer. „Oft stehen wir im Leben an einer Weggabelung und müssen überlegen, wie wir uns entscheiden.“ Den Studierenden riet sie, offen zu bleiben und nicht zu vergessen: „Sie haben immer die Wahl.“