Stress lass nach! Wie ein Trauma entsteht und wieder geht

Markus Brauer

Die Diagnose und Zahl psychischer Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen nehmen rasant zu. Neue Erkenntnisse zur Entstehung und Entwicklung stressbedingter Erkrankungen wie Trauma oder Depression eröffnen neue Wege in der Diagnose und individuellen Behandlung.

 
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Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung sind etwa anhaltende Erinnerungen an das traumatische Erlebnis oder wiederholtes, sich aufdrängendes Wiedererleben des Traumas. Foto: Imago/Ikon Images

Das Erleben oder Beobachten eines traumatischen Ereignisses – wie etwa ein schwerer Unfall, eine Naturkatastrophe, der Verlust eines geliebten Menschen oder Krieg und Gewalt – kann der Seele  große Verletzungen zufügen. Die Symptome dieser Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, englisch: Post traumatic stress disorder, PTSD) können unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis auftreten oder erst Monate oder sogar Jahre später beginnen und das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen.

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Acht Prozent der Menschen weltweit erkranken an PTBS

Im Laufe ihres Lebens erkranken rund acht Prozent aller Menschen an einer PTBS, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Es gibt jedoch gute Aussichten auf Heilung. „Je eher eine PTBS professionell psychotherapeutisch behandelt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Alltag wieder normal gestalten zu können“, sagt Jürgen Deckert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg.

In einer neuen Studie sind Jürgen Deckert und sein Forscherteam der Frage nachgegangen, wie man die neurobiologischen Grundlagen von PTBS besser verstehen und Wege für neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen kann. In der im „Journal Nature Genetics“ veröffentlichten Untersuchung analysieren die Wissenschaftler die genetischen und neurobiologischen Merkmale von PTBS.

„Veranlagungsfaktoren können die Menschen resilienter (widerstandsfähiger) oder vulnerabler (verletzlicher) gegenüber Extremerfahrungen machen“, erklärt Deckert. „Nicht alle entwickeln nach einem traumatischen Ereignis eine Posttraumatische Belastungsstörung.“

Bestimmte Gene erhöhen das Risiko, an PTBS zu erkranken

Für ihre Studie haben die Forscher die Daten von mehr als 1,2 Millionen Menschen überprüft. Von den 95 entdeckten genetischen Bereichen, die mit PTBS in Verbindung stehen, waren 80 zuvor unbekannt. „Bei der genaueren Untersuchung dieser genetischen Bereiche haben wir 43 Gene identifiziert, die das Risiko erhöhen, nach einem Trauma eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln“, berichtet die Biologin Heike Weber vom Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) der Universität Würzburg.

Der Forscherin zufolge sind diese 43 neu identifizierten Gene hauptsächlich für die Regulation von Nervenzellen und Synapsen, die Entwicklung des Gehirns, die Struktur und Funktion von Synapsen sowie für hormonelle und immunologische Prozesse zuständig. Weitere wichtige Gene beeinflussen Stress-, Angst- und Bedrohungsprozesse, von denen man annimmt, dass sie der Neurobiologie der PTBS zugrunde liegen. Zur Info: Eine Synapse ist eine Kontaktstruktur zur Übertragung eines chemischen oder elektrischen Signals von einer Nervenzelle auf eine andere Nervenzelle oder eine andere Zielzelle (wien Muskelzelle, Drüsenzelle  oder Sinneszelle).

Biochemische Ursachen für PTBS und Depression

Eine zweite Studie, die auf der Publikation im „Journal Nature Genetics“ aufbaut, ist im Fachjournal „Science“ veröffentlicht. In dieser Untersuchung geht es um die molekularen und biochemischen Ursachen von PTBS und Depression.

Beide stressbedingte Störungen der Seele entstehen durch das Zusammenspiel von genetischer Anfälligkeit und Stressbelastung, welche nach und nach zu Veränderungen im menschlichen Genom (alle in einer Zelle vorhandenen Erbinformationen) führen. Dies wiederum beeinflusst die Wechselbeziehung von Genen und Proteinen.

Um einen Zusammenhang von PTBS und Depression zu finden, haben die Forscher der „Science“-Studie Daten aus Untersuchungen von verschiedenen Gehirnregionen mit Analysen der sogenannten Einzelkern-RNA-Sequenzierung (sie ermöglicht detaillierte Einblicke in den Zustand und die Aktivität einzelner Zellen), der Genetik und der Proteomik des Blutplasmas ergänzt. Zur Info: Die Proteomik ist ein biochemisches Verfahren, um die Gesamtheit aller in einer Zelle oder einem Lebewesen vorliegenden Proteine und deren Eigenschaften zu untersuchen.

Neue Therapien, um Krankheitssignale frühzeitig zu erkennen

Die Forscher fanden die meisten Krankheitssignale im medialen präfrontalen Kortex. Der Cortex praefrontalis ist ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde und befindet sich an der Stirnseite des Gehirns. Diese Signale betreffen das Immunsystem sowie die Regulierung von Nervenzellen und Stresshormonen.

Die Zusammenschau beider Studien zeigt: Es gibt gemeinsame und unterschiedliche molekulare und neurobiologische Störungen im Gehirn sowohl bei PTBS wie bei Depression, an denen spezifische Zelltypen beteiligt sind. Wenn man diese Zusammenhänge weiter erforsche, so die Wissenschaftler, ließen sich stressbedingte Signalwege ableiten, die Hinweise auf neue therapeutische Ansätze beider Erkrankungen liefern könnten. Diese neue Ansätze könnten die bisherigen Therapien ergänzen und erweitern. Welche das sind, lesen Sie im nachfolgenden Info.

Info: Die traumatisierte Seele

Psychotraumatologie
Die Psycho-Traumatologie beschäftigt sich mit den Folgen von Traumata, erforscht und behandelt die Auswirkungen von traumatischen Ereignissen auf das Erleben und Verhalten von Einzelnen und Gruppen. Der aus der Unfallchirurgie stammende englische Begriff „Traumatology“ wurde erstmals im Jahr 1990 von dem amerikanischen Kinderpsychiater Dennis Donovan auf psychische Verletzungen angewendet. Daraus entwickelte sich das Konzept der Psychotraumatologie.

PTBS
Die Tatsache, dass der Mensch Gewalt-, Trennungs-, Missbrauchs- oder Kriegserfahrungen nicht einfach ad hoc verarbeiten kann, führt zu Posttraumatischen Belastungsstörungen – also nachwirkenden seelischen Belastungen. Obwohl dieses Phänomen seit langem bekannt ist, werden PTBS erst seit den 1980er Jahren im Zusammenhang mit dissoziativen Störungen (bei der zusammengehörige Informationen, Wahrnehmungen oder Gedanken nicht mehr miteinander in Verbindung gebracht werden können) mit der Aufnahme in das DSM diagnostiziert.

DSM/ICD
Das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ist ein Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen. Seit 1952 wird das Manuale von der American Psychiatric Association herausgegeben, seit 1996 erscheint es auf Deutsch. Das DSM spielt die zentrale Rolle bei der Definition und Diagnostik von psychischen Erkrankungen. Heute ist das DSM international in der Forschung und in vielen Kliniken und Instituten gebräuchlich. Das ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist das zweite große Klassifikationssystem in der Medizin. Es beinhaltet die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme und ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO/World Health Organisation) herausgegeben.

Psychologische Therapien von PTBS

Tiefenpsychologie
Tiefenpsychologisch wird nach den Auswirkungen von Traumatisierungen auf das Unbewusste gesucht. In 100 und mehr Einzelsitzungen sollen tief verborgene und verdrängte Erlebnisse hervorgeholt, thematisiert und so verarbeitet werden.

Imaginative Verfahren
Dabei werden tiefere Schichten der Seele, die im Alltag ausgeblendet werden, durch innere Bilder und Träume hervorgeholt. Dies soll letztlich zu einer psychisch-bewussten und tieferen Ebene der Verarbeitung führen.

Narrative Verfahren
Hierbei geht es darum, dass traumatisierte Menschen ihren inneren Drang ausleben können, verlorene, isolierte oder verdrängte Traumata nachzuerzählen. Durch die Schilderung (Narration) der persönlichen Lebensgeschichte versucht man einen Sinn und Zusammenhang in den Erlebnissen zu erkennen.

Gestalttherapie
Die Gestalttherapie ist eine psychotherapeutische Methode, um ganzheitlich (integrativ) Körper, Geist und Seele an der Trauma-Verarbeitung teilhaben zu lassen. Alle drei Ebenen sowie das soziale Umfeld des Betroffenen beeinflussen sich wechselseitig und sind in der Therapie zu berücksichtigen - etwa in körpertherapeutischen Verfahren wie der Kunsttherapie. Die Hände werden beim Malen, Formen und Gestalten eingesetzt und so zu Instrumenten einer geistig-seelischen Verarbeitung der Traumata.

Medikamentöse Behandlung
Bestimmte Krankheitsbilder führen zu seelischen Symptomen wie Phobien, Panikattacken oder Niedergeschlagenheit, die sich nur mit Hilfe spezieller Medikamente (etwa Tranquilizer, Antidepressiva oder Neuroleptika) behandeln lassen. Allerdings ist umstritten, ob solche Medikamente bei Traumapatienten der richtige Weg sind – auch deshalb, weil sie nicht die Ursachen der Belastungsstörungen angehen.