Was hält die Frau am Leben, deren Kind vor 13 Jahren spurlos verschwand? Die Wut von Peggys Mutter

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Sie hat ihr Kind bis heute nicht für tot erklären lassen: Susanne Knobloch, die Mutter der verschwundenen Peggy.⋌Foto: red Foto: red

Sie kann noch weinen: Susanne Knobloch, die Mutter der seit 13 Jahren verschwundenen Peggy sagt: „Mein Leben ist gläsern geworden.“ Am kommenden Donnerstag wird der Prozess um das Verschwinden ihres Kindes wieder aufgenommen. Unser Chefreporter Otto Lapp hat Susanne Knobloch vorab getroffen.  

 
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Welche Vorwürfe schlimmer sind, ist schwer zu sagen. Die Vorwürfe, die Susanne Knobloch (41) sich selbst macht, oder die Vorwürfe, die andere ihr machen, seit am 7. Mai 2001 ihre neunjährige Tochter Peggy spurlos verschwunden ist. Was hält eine Frau am Leben, die seit 13 Jahren zwischen diesen Vorwürfen zerrieben wird? Die Sorge für ihre beiden anderen Kinder. Und die Hoffnung, dass Peggy noch lebt. Auch wenn sie noch so klein ist, „die hab ich immer noch“. Noch heute legt sie zu Peggys Geburtstag Blumen an ihrer Gedenkstätte ab. Gern ist sie aber nicht dort, aus Angst vor Beleidigungen.

"Ich bin gläsern geworden"

Susanne Knobloch sagt von sich: „Ich bin gläsern.“ Viele wissen alles über sie, viele denken, sie wüssten alles über sie. Genau deswegen ist Susanne Knobloch wütend. Aber sie kann sich nicht dagegen wehren. Gegen all die Vorwürfe, mit der sie vor allem die Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi K.lac“ bombardiert. Sie hebt die Schultern. „Was soll ich tun? Alles, was ich mache, ist falsch.“

Deshalb hat sie auch Angst vor dem Wiederaufnahmeverfahren, das in der nächsten Woche beginnt. Nicht davor, dass sie aussagen muss. Nur davor, wie die Menschen sie behandeln, die ihr seit Jahren diese Vorwürfe machen. Dabei hat sie als Mutter sehr wohl „Verständnis“ für Elsa Kulac, die Mutter des angeblichen Mörders ihrer Tochter. Und sie ist auch der Initiative dankbar, eben weil sie viele Widersprüche ans Tageslicht gebracht habe. Susanne Knobloch hofft, dass diese im Wiederaufnahmeverfahren geklärt werden können. Wenn nur die Vorwürfe nicht wären.

Wie verhält sich eine Mutter, deren Kind nicht nach Hause kommt?

Die Vorwürfe gegen sie begannen am Tag, nachdem ihre Tochter verschwunden war. Sie habe sich nicht wie eine Mutter verhalten, die ihr Kind vermisst. Selbst die Polizisten sagten damals, ihr Verhalten entspräche nicht der „Norm“ – aber ein Verdacht habe sich nie erhärten lassen. Als ob es einen Verhaltenskodex gäbe für Mütter, deren Kind nicht mehr nach Hause kommt. „Ich habe alles getan an diesem Abend“, sagt sie mit Tränen in den Augen.

Als sie am 7. Mai gegen 20 Uhr von der Arbeit im Altersheim nach Hause kommt, ist die Wohnung in Lichtenberg leer. Keine Peggy. Sie geht zu den Nachbarn im Stockwerk über ihrer Wohnung, wo ihre Tochter immer war. Dann schnappt sie sich das Telefon. Sie ruft den Lehrer an, sie ruft Gaststätten an, Krankenhäuser, die Polizei. Sie läuft durchs Dorf, geht zu Peggys Schulfreundin, sie setzt sich ins Auto, kurbelt die Fenster runter und fährt durch die Gegend. „Ich habe gehofft, Schreie oder ein Jammern zu hören.“

Noch heute wirft ihr die Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi Kulac“ vor, sie habe damals nicht  ihren Lebensgefährten angerufen. Das wäre doch normal gewesen. Aber was ist normal, wenn ein Kind nicht nach Hause kommt? Wer kann sich überhaupt ein Urteil darüber erlauben? „Macht ihr’s doch besser!“, donnert sie. Sie beugt sich nach vorne, stützt sich auf den Tisch. Die wenigsten hätten das erleben müssen, heimzukommen und das Kind ist verschwunden. „Macht ihr’s doch besser!“ Überhaupt will sie mit den Menschen, die das behaupten, gar nicht mehr reden. Um da mitzureden „braucht es keine Ersatzteile, sondern Maschinen“. Also Leute, die wirklich Ahnung haben.

Ihre Art passt manchmal nicht zum ernsten Thema

Daran muss sich jeder, der mit Susanne Knobloch spricht, gewöhnen: Ihre freche Schnauze, die oft so gar nicht passen will zum ernsten Thema. Sie setzt sie dann ein, wenn das Gefühl zu mächtig wird, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr findet, sich auszudrücken. „Ich bin so.“ Trotzdem kann sie die Tränen nie unterdrücken.

Dann wird sie leiser, bis sie ganz verstummt. Und sie weint oft. Sie habe, auch an den Tagen nach Peggys Verschwinden, einfach „Punkte abgehakt“, sich an kleinen Aufgaben festgehalten. Das sieht zwar schematisch aus, aber „ich funktioniere so“. Für andere hat es ausgesehen, als ob sie nicht trauere.

Halle, ein Café in der Innenstadt. Susanne Knobloch raucht vor dem Eingang. Immer wieder kehren ihre Gedanken zu „jenem Tag“ zurück. Wer könnte der Täter sein? Was könnte passiert sein? Da kommt ihre Tochter Yasmin (16), Peggys Schwester, vorbei. Sie hat sich Schmuck gekauft. „Das fehlt mir“, sagt Susanne Knobloch. Was? „Später.“ Sie wartet, bis Yasmin weg ist. Solch ein „Geklunker“ fehle ihr, Sachen, die Mädchen ab einem gewissen Alter wichtig sind. Bei Peggy hat sie davon nichts mitgekriegt. „Weihnachten fehlt mir.“ Peggy fehlt ihr. Als ob am 7. Mai 2001 die Zeit stehengeblieben sei. „Sie ist länger fort, als ich sie gehabt habe.“

Peggys letzter Satz: "Mama, ich hab dich lieb"

„Vielleicht wäre alles anders gekommen…“ An jenem grauen Montag wollte Peggy nicht zur Schule. Mit Mühe und Not hat die Mutter das lange blonde Haar des Kindes zu einem Zopf flechten können. Mit Mühe und Not hat sie Peggy überzeugen können, doch zu gehen. Damals hatte Susanne Knobloch überlegt, in der Schule anzurufen und Peggy zu Hause zu lassen. „Wenn ich damals… Es wäre alles anders gekommen.“ Vielleicht. Aber Peggy ging, um gleich wieder zurückzukommen. Sie habe etwas vergessen: „Mama, ich hab dich lieb.“  Das war das Letzte, was sie von ihrer Tochter gesehen und gehört hat. Und selbst das glauben ihre „Gegner“ nicht. „Sie lügt“, heißt es in der Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi Kulac“. „Sie lügt“, heißt es im Internet. „Sie lügt“, sagt auch Michael Euler, der Anwalt von Ulvi Kulac. Wie soll sich eine Mutter dagegen wehren?

Wie soll sie sich wehren gegen die Verleumdungen, die nicht im Ansatz beweisbaren Behauptungen, sie sei eine schlechte Mutter gewesen? Sie habe ein Kinderbordell betrieben? Sie habe Peggy für Kinderpornografie verkauft? „Ich hatte Angst, dass Peggy in einer Höhle sitzt und friert und nach Hause will.“ Da läuft es ihr heute noch „kalt den Rücken runter“. Sie weiß, dass ihre „Gegner“ ihr auch das nicht glauben werden. „Ist mir egal.“ Dabei hat sie Peggy bis heute nicht aufgegeben. Sie hat Peggy nicht für tot erklären lassen und Peggy ist an ihrem Wohnsitz gemeldet. Das käme alles „noch dazu“, Wahlamt, Krankenkasse, Schule. Sie seufzt. „Diese ganzen Behördengänge.“

Verleumdungen im Internet

Während die Internetgemeinde Unmengen an Zeit aufwendete, Fehler in ihren Aussagen zu finden oder ihr einen schlechten Lebenswandel zu unterstellen, hat sie gearbeitet und zwei Kinder erzogen. „Um die muss ich mich kümmern.“ Gudrun Rödel, die Sprecherin der Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi Kulac“, verschickt lange Listen mit Fragen: An wen hat Susanne Knobloch eine SMS geschrieben? Wer hat ihre Mietschulden bezahlt? „Ich selbst.“ Warum ein neuer Kinderausweis? „Den hat die Polizei gebraucht für die Ermittlungen im Ausland.“ Hätten sie das Kind gefunden, hätten sie es gleich mit über die Grenze nehmen können.

Aber warum dies und warum jenes? Knobloch schüttelt den Kopf. „Ich weiß es wirklich nicht. Und es ist mir auch egal.“ Rödel wirft Knobloch vor, dass sie nicht reden würde. Dabei redet sie viel, auch mit der Polizei. Sie wurde immer wieder vernommen, auch in jüngster Zeit. Sie redet eben nur nicht mit der Initiative.

Und erst recht nicht über ihren Lebenswandel. Über die Männer in ihrem Leben. Angeblich „ständig wechselnde Beziehungen“, als ob Peggys Verschwinden eine Folge davon wäre. Sicher, sie hatte einige Beziehungen, „aber nie, solange ich mit jemandem zusammen war“. Die Männer, die sie sich aussuchte, waren oft eifersüchtig, ein Zeichen von Schwäche. Oder wollten sie an sich binden, sprachen schnell von Heirat. „Aber ich mache mein eigenes Ding“, sagt sie. „Bis heute.“ Auch wenn ihr Leben gläsern geworden ist.

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