Noch heute wirft ihr die Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi Kulac“ vor, sie habe damals nicht ihren Lebensgefährten angerufen. Das wäre doch normal gewesen. Aber was ist normal, wenn ein Kind nicht nach Hause kommt? Wer kann sich überhaupt ein Urteil darüber erlauben? „Macht ihr’s doch besser!“, donnert sie. Sie beugt sich nach vorne, stützt sich auf den Tisch. Die wenigsten hätten das erleben müssen, heimzukommen und das Kind ist verschwunden. „Macht ihr’s doch besser!“ Überhaupt will sie mit den Menschen, die das behaupten, gar nicht mehr reden. Um da mitzureden „braucht es keine Ersatzteile, sondern Maschinen“. Also Leute, die wirklich Ahnung haben.
Ihre Art passt manchmal nicht zum ernsten Thema
Daran muss sich jeder, der mit Susanne Knobloch spricht, gewöhnen: Ihre freche Schnauze, die oft so gar nicht passen will zum ernsten Thema. Sie setzt sie dann ein, wenn das Gefühl zu mächtig wird, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr findet, sich auszudrücken. „Ich bin so.“ Trotzdem kann sie die Tränen nie unterdrücken.
Dann wird sie leiser, bis sie ganz verstummt. Und sie weint oft. Sie habe, auch an den Tagen nach Peggys Verschwinden, einfach „Punkte abgehakt“, sich an kleinen Aufgaben festgehalten. Das sieht zwar schematisch aus, aber „ich funktioniere so“. Für andere hat es ausgesehen, als ob sie nicht trauere.
Halle, ein Café in der Innenstadt. Susanne Knobloch raucht vor dem Eingang. Immer wieder kehren ihre Gedanken zu „jenem Tag“ zurück. Wer könnte der Täter sein? Was könnte passiert sein? Da kommt ihre Tochter Yasmin (16), Peggys Schwester, vorbei. Sie hat sich Schmuck gekauft. „Das fehlt mir“, sagt Susanne Knobloch. Was? „Später.“ Sie wartet, bis Yasmin weg ist. Solch ein „Geklunker“ fehle ihr, Sachen, die Mädchen ab einem gewissen Alter wichtig sind. Bei Peggy hat sie davon nichts mitgekriegt. „Weihnachten fehlt mir.“ Peggy fehlt ihr. Als ob am 7. Mai 2001 die Zeit stehengeblieben sei. „Sie ist länger fort, als ich sie gehabt habe.“
Peggys letzter Satz: "Mama, ich hab dich lieb"
„Vielleicht wäre alles anders gekommen…“ An jenem grauen Montag wollte Peggy nicht zur Schule. Mit Mühe und Not hat die Mutter das lange blonde Haar des Kindes zu einem Zopf flechten können. Mit Mühe und Not hat sie Peggy überzeugen können, doch zu gehen. Damals hatte Susanne Knobloch überlegt, in der Schule anzurufen und Peggy zu Hause zu lassen. „Wenn ich damals… Es wäre alles anders gekommen.“ Vielleicht. Aber Peggy ging, um gleich wieder zurückzukommen. Sie habe etwas vergessen: „Mama, ich hab dich lieb.“ Das war das Letzte, was sie von ihrer Tochter gesehen und gehört hat. Und selbst das glauben ihre „Gegner“ nicht. „Sie lügt“, heißt es in der Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi Kulac“. „Sie lügt“, heißt es im Internet. „Sie lügt“, sagt auch Michael Euler, der Anwalt von Ulvi Kulac. Wie soll sich eine Mutter dagegen wehren?
Wie soll sie sich wehren gegen die Verleumdungen, die nicht im Ansatz beweisbaren Behauptungen, sie sei eine schlechte Mutter gewesen? Sie habe ein Kinderbordell betrieben? Sie habe Peggy für Kinderpornografie verkauft? „Ich hatte Angst, dass Peggy in einer Höhle sitzt und friert und nach Hause will.“ Da läuft es ihr heute noch „kalt den Rücken runter“. Sie weiß, dass ihre „Gegner“ ihr auch das nicht glauben werden. „Ist mir egal.“ Dabei hat sie Peggy bis heute nicht aufgegeben. Sie hat Peggy nicht für tot erklären lassen und Peggy ist an ihrem Wohnsitz gemeldet. Das käme alles „noch dazu“, Wahlamt, Krankenkasse, Schule. Sie seufzt. „Diese ganzen Behördengänge.“
Verleumdungen im Internet
Während die Internetgemeinde Unmengen an Zeit aufwendete, Fehler in ihren Aussagen zu finden oder ihr einen schlechten Lebenswandel zu unterstellen, hat sie gearbeitet und zwei Kinder erzogen. „Um die muss ich mich kümmern.“ Gudrun Rödel, die Sprecherin der Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi Kulac“, verschickt lange Listen mit Fragen: An wen hat Susanne Knobloch eine SMS geschrieben? Wer hat ihre Mietschulden bezahlt? „Ich selbst.“ Warum ein neuer Kinderausweis? „Den hat die Polizei gebraucht für die Ermittlungen im Ausland.“ Hätten sie das Kind gefunden, hätten sie es gleich mit über die Grenze nehmen können.
Aber warum dies und warum jenes? Knobloch schüttelt den Kopf. „Ich weiß es wirklich nicht. Und es ist mir auch egal.“ Rödel wirft Knobloch vor, dass sie nicht reden würde. Dabei redet sie viel, auch mit der Polizei. Sie wurde immer wieder vernommen, auch in jüngster Zeit. Sie redet eben nur nicht mit der Initiative.
Und erst recht nicht über ihren Lebenswandel. Über die Männer in ihrem Leben. Angeblich „ständig wechselnde Beziehungen“, als ob Peggys Verschwinden eine Folge davon wäre. Sicher, sie hatte einige Beziehungen, „aber nie, solange ich mit jemandem zusammen war“. Die Männer, die sie sich aussuchte, waren oft eifersüchtig, ein Zeichen von Schwäche. Oder wollten sie an sich binden, sprachen schnell von Heirat. „Aber ich mache mein eigenes Ding“, sagt sie. „Bis heute.“ Auch wenn ihr Leben gläsern geworden ist.