Was fasziniert eigentlich so an Schlager-Pop? Ein Lehrstück von Pur Pur: Immer noch ein Grund zu feiern

Von Wolfgang Karl

Gut 40 Jahre Bandgeschichte und sieben Nummer-eins-Alben in den letzten 21 Jahren. Sie wurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten mit Preisen überhäuft. Zu ihren Konzerten auf Schalke kommen schon einmal 50.000 Besucher. So viele passen in die Oberfrankenhalle zwar nicht, aber gut 2.600 waren es schon, die sie sehen wollten: Pur.

 
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28.04.2016, Bayreuth, Oberfrankenhalle, Pur, Foto: Andreas Harbach Foto: red

Hartmut Engler, Ingo Reidl und Kollegen liefern eine bombastische Show ab, mit allem, was im Schlager-Pop gerade angesagt ist: Der Sound ist laut und perfekt abgemischt. Scheinwerfer rotieren, die Videoleinwand hat die Grundfläche eines Studenten-Appartements. Für Technik und Show-Zubehör sind fünf Sattelschlepper nötig. Der Vier-Vierteltakt gibt den Rhythmus des Abends vor. So kann man kräftig mitklatschen und kommt nicht aus dem Schunkeln. Die Songs sind eingängig, die Harmonien hinlänglich aus dem Schlager bekannt. Überraschen kann einen da wenig. Höchstens, dass Gitarrist Rudi Buttas live doch einmal ein Gitarrenriff spielt. Zu hart wird das freilich nie. Es wirkt eher, als wollte er sagen: „Wir könnten auch rockiger sein.“ Aber es ist nicht rockig. Worte wie „Behutsamkeit“ haben in einem Rock-Song nichts verloren.

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Das Wesen der Band ist ein anderes. So geht es im neuen Album „Achtung“ (es stand auch schon auf Platz eins der Charts) vor allem um Respekt im Miteinander. Menschen aller Hautfarben sind im Video zu sehen. Er sei selbst ja Sohn Vertriebener, betont Hartmut Engler. Man solle Flüchtlingen mit Achtung und Respekt begegnen. Niemand brauche „die braune Soße“. Nun könnte man ja behaupten, dass es sich auf einer Bühne immer gut macht, gegen Nazis zu wettern. Doch hier ist es mehr als das. Ob als Schirmherr für ein Kinderhilfswerk, oder bei zahlreichen Benefiz-Konzerten: Engler engagiert sich tatsächlich, man nimmt ihm die Botschaft ab, von der er singt.

Dick aufgetragen

Was aber schon der Einsatz der vielen Technik vermuten lässt: Pur trägt hemmungslos dick auf. Die Musikvideos auf der Leinwand hinter den Musikern zeigen meist Wolken. Viele Wolken. Wolken in Rosa. Wolken in grün. Zwischen den Wolken taucht immer wieder Sänger Hartmut Engler auf. Mal singt er von einer verflossenen Liebe, die er nicht vergessen kann. Dann hat er auf einmal einen langen schwarzen Ledermantel an und eine Schirmmütze auf dem Kopf, Schlagstock in der Hand. Mimt Engler einen Nazi? Der Song heißt, „Bis der Wind sich dreht“. Da Engler bei diesem Lied ein wenig singt, wie Hitler gesprochen hat, versteht man den Text nicht ganz. Ein Blick auf folgende Zeilen zeigt, dass das auch besser ist: „Ich leb' in vielen Herzen, fest verankert im Zorn. Durch jeden Türkenwitz wird ein Stück von mir geboren. Massenarbeitslosigkeit haucht mir Leben ein. Ich fresse kleine Löcher ins Gewissen rein.“

Doch Engler hat auch berührende, einfallsreiche Texte geschrieben. „Anni“ handelt von seiner Mutter und deren Vertreibung aus dem Sudetenland. „Heut ist sie 90 – sie lebe hoch“, macht Engler seiner Mutter den Song zum Geburtstagsgeschenk. Das kommt an, die Zuhörer jubeln. Viele singen lautstark mit. Trotz Songs nach Schema F und Schwächen bei den Texten: Pur hat etwas. Vielleicht ist es dieses Gefühl von Echtheit. Von Nähe. Große Gesten fehlen. Die Musik ist selbst geschrieben. Dazu kommt, dass Hartmut Engler wirkt, wie einer, mit dem man gern im Biergarten sitzen würde. Natürlich folgt ihm die Menge dann auch ins Abenteuerland – wieder singen viele lautstark mit. 

Hartmut Engler singt „Ich bin ja noch jung“. Das Publikum reckt Feuerzeuge in die Luft. Echte. Nicht nur Handylicht. Dazu gibt’s Wolken auf der Leinwand. Diesmal in Weiß-Blau. Pur liefert eine grandiose Schlager-Show ab – mit allem, was dazugehört. Und: Es klingt nicht nur nach Pathos. Es klingt auch nach Herz. Das Publikum erjubelt sich mehrere Zugaben. Vielleicht singt Pur dann auch deswegen: „Ich mag dich schlafen seh'n.“ Irgendwann muss schließlich auch mal Schluss sein. Na gut, ein letztes noch. „Ein graues Haar, wieder geht ein Jahr. Alles Gute, danke, klar. Immer noch ein Grund zu feiern.“ Und alle tanzen.