In ihrer Geburtsstadt Bayreuth wurde sie als Jüdin bespuckt. Später floh Hilde Marx vor den Nazis in die Vereinigten Staaten. Derzeit sind ihre Töchter in der Stadt. June Kaplan (72) und Aviva Weldon (66) sind hier, um die Ausstellung über die Dichterin zu eröffnen. Der Wahlsieg Donald Trumps erschüttert sie zutiefst: "Unsere Mutter würde sich im Grab umdrehen."
Er hat Ausländer beleidigt, Frauen, Behinderte, sagt die Zehntklässlerin Inka Baumgart. Die Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Und auch sie haben ihn gewählt. Sie klingt fassungslos.
June Kaplans Hoffnung: "Wir hatten die Bushs. Wir haben auch das als Land überlebt." June Kaplan sagt: "Ich stehe immer noch unter Schock."
Ihr Mann Warren Grodin und sie kennen nur ein Ehepaar, das Trump gewählt hat. Geschäftsleute. Immer wieder schauen die Schwestern aufs Handy. Die Nachrichten, die ihre Kinder und Bekannte aus den USA schicken, klingen fast, als ob jemand gestorben wäre und man einander Trost spenden müsste.
Ihre Mutter Hilde Marx verließ 1938 Deutschland. Ihre Bücher wurden verboten. Sie ging erst nach Prag, emigrierte wenige Monate später in die USA. Ein Gönner dort hatte ihr ein Visum besorgt. Ein Bruch in ihrem Leben.
"Sie hat sich nie mehr sicher gefühlt", sagen ihre Töchter. Einen Teil ihrer Familie ermordeten die Nazis. Ihre Cousine überlebte. Deren Tochter Helene Ritchie kam in Neuseeland zur Welt. Auch sie ist nach Bayreuth gekommen, um ihre Verwandten kennenzulernen.
"Eure Mutter schrieb damals an Bürgermeister in der ganzen Welt, ob sie meine Mutter, Großmutter und den Onkel aufnehmen. Ohne Hilde würde es mich wahrscheinlich nicht geben", sagt Ritchie. Marx' Töchter Aviva und June hören das in Bayreuth zum ersten Mal.
Neuseeland habe damals eigentlich keine Flüchtlinge aufgenommen. Aber der Bürgermeister von Masterton hatte Erbarmen. Aus Ritchies Familie starben 140 Menschen im Holocaust. Trump will auch Menschen hinter Zäune zwingen. "Unsere Mutter würde sich im Grab umdrehen", sagen die Schwestern.
"Ich kann es nicht glauben", sagt Aviva Weldon. Der Kontrast zu Barack Obama sei einfach zu groß. "Wir hatten acht Jahre einen Präsidenten, der redegewandt, klug und vernünftig war, ebenso seine Frau", sagt sie. "Allein schon ihn zu sehen, ihm zuzuhören, hat mich beruhigt. Ich fühlte mich sicher."
Das sei nun vorbei. Sie habe erlebt, wie Trumps Kampagnen-Manager Chris Christie als Gouverneur ihres Bundesstaats New Jersey das Bildungs- und Rentensystem herunterwirtschaftete.
Aviva Weldon hat eine lesbische Tochter. Sie macht sich Sorgen, dass ihr Land unter Trump wieder rückständiger wird, sie Probleme bekommt. Und sie sagt: "Wenn ich einen schwarzen Sohn hätte, würde ich jetzt Angst bekommen."
Immer wieder hat sie in ihrem Bekanntenkreis von Fällen gehört, in denen Schwarze von der Polizei schikaniert wurden. Unter einem Präsidenten Trump wird das schlimmer, fürchtet Weldon.
Sie geht weiter: "Jede einzelne seiner Positionen ist eine Bedrohung." Ihre Schwester June sagt: "Er hat doch zu nichts eine klare Haltung."
Am Morgen stand die kleine Gruppe Amerikaner in der Eingangshalle des Hotels, unterhielt sich. Da kam ein italienischer Geschäftsmann auf sie zu und fragte gleich: "Wie geht es Ihnen?", erzählt June Kaplan.
"I said: schrecklich! Er versuchte uns Mut zu machen und sagte: Wir haben Mussolini überlebt", sagt sie. "Das sind die Vergleiche, die die Leute jetzt ziehen."