Macrons Strategie ging nicht auf
Denn nichts deutet darauf hin, dass nach dem Rekordergebnis für das RN in der ersten Wahlrunde nun die Zustimmung für die Rechtspopulisten bröckelt. Nach einer Umfrage des Instituts Ipsos sind 74 Prozent der Wähler in Frankreich mit Macron unzufrieden. Und seine Strategie, die Parteien links und rechts seines Mitte-Lagers als unwählbare Extremisten oder deren Verbündete zu disqualifizieren, ging erkennbar nicht auf.
Der Liberale Macron und sein laut Prognosen ab nächstem Sonntag deutlich kleineres Lager im Parlament stehen auf jeden Fall vor einer enormen Herausforderung. Denn selbst wenn es im Schulterschluss mit dem Linksbündnis gelingen sollte, den Griff der Rechten nach der Macht zu stoppen, müssten die beiden Lager mit bislang meist konträren Vorstellungen sich für ein Regierungsprogramm zusammenraufen. Mit der Ablehnung der extremen Rechten als wesentlichem gemeinsamen Nenner droht dies in politischem Chaos und Stillstand zu enden.
EU mahnt Sparkurs statt zusätzlicher Milliardenausgaben an
Die hohe Verschuldung Frankreichs bietet nüchtern betrachtet ohnehin kaum Spielraum für kostspielige neue Zukunftsvisionen. Vor zwei Wochen erst startete die EU-Kommission auch gegen Frankreich ein Defizitverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung. Statt üppiger Zusatzausgaben im Umfang von Dutzenden Milliarden Euro, mit denen das Linkslager um Stimmen warb, müsste Frankreich eigentlich einen radikalen Sparkurs abstecken, zu dem selbst Macron bislang nicht bereit war.
Dass der junge Premierminister Gabriel Attal, auf den Macron bei dessen Ernennung Anfang des Jahres noch viel Hoffnung setzte, bei den potenziellen künftigen Machtkonstellationen wohl nicht im Amt wird bleiben können, scheint klar. Aber wen Macron zum Premier ernennen könnte, sollte der Coup einer Art großen Koalition gegen rechts überraschend gelingen, ist offen. Das Linksbündnis, zu dem Grüne, Kommunisten, Sozialisten und die Linkspartei gehören, war selber nicht mit einem Spitzenkandidaten in die vorgezogene Parlamentswahl gegangen - und es wird auch niemand als Favorit gehandelt. Sicher ist aber, dass dem künftigen Premier angesichts veränderter Machtverhältnisse mehr Einfluss zukommen wird. Macron hingegen wird an Macht verlieren.
Rechte Regierung Schreckgespenst für Berlin und Brüssel
Aus Sicht etlicher Linker, Franzosen mit Migrationsgeschichte und wohl auch Berlin und Brüssel wäre aber viel mehr noch als ein blockiertes Frankreich eine RN-Regierung das Schreckgespenst. Nicht nur haben die Rechtsnationalen für den engen Partner Deutschland wenig übrig, auch wollen sie den Einfluss Brüssels massiv eindämmen. Statt wie Macron zur Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Aggressor strategisch nicht zu viel ausschließen zu wollen, setzt die Partei mit nachgesagter Russlandnähe klare Grenzen, etwa bei Waffenlieferungen.
Die Verantwortung für diese mitunter als düster wahrgenommenen Perspektiven, auf die Frankreich zusteuert, trägt am Ende Macron. Denn er war es, der die Neuwahlen erst anzettelte, sei es aus Naivität oder Selbstüberschätzung. Sein Taktieren um mehr Macht ist gescheitert. Ein Rechtsruck und eine Machtverschiebung sind Frankreich gewiss. Egal, wie die Stichwahlen ausgehen, fest steht: Dieses Mal hat der zur Impulsivität neigende Stratege Macron sich verrannt.