Vermächtnis aktueller denn je 100. Geburtstag: In Bayreuth war Willy Brandt öfter

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Nach Bayreuth kam er öfter. Als SPD-Politiker, als Vizekanzler und später sogar als Nobelpreisträger. Willy Brandt besuchte Bischofsgrün und später auch Warmensteinach. Seine Besuche gerieten für die Sozialdemokraten stets zu großen Familienfesten. Brandts Auftritte elektrisierten die Menschen. Besonders bedeutsam war sein Besuch in Bayreuth im Herbst 1969.

 
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Der 20. September 1969 war ein schöner Tag, wie sich Karin Heimler (74) erinnert. Fast 4000 Menschen versammelten sich an dem Freitagnachmittag auf dem damaligen Luitpoldplatz, um Willy Brandt zu hören. Der damalige Oberbürgermeister Hans Walter Wild begrüßte den Vizekanzler, der wenige Wochen später zum Kanzler einer sozialliberalen Koalition wurde. Oberbürgermeister Wild schien Brandt fast die Schau zu stehlen, als er für die meisten völlig überraschend die Forderung nach einer Universität für Bayreuth aus dem Hut zauberte und den lauschenden Brandt um Hilfe bat, die „Grenzland-Universität“ zu gründen. „Der spinnt, dachten in dem Moment viele Bayreuther“, erinnert sich Karin Heimler. Der Luitpoldplatz jedenfalls bebte anschließend.

„Er sprach langsam, mit tiefer, sonorer Stimme"

Dann hatte Brandt das Wort und sprach etwas länger als eine halbe Stunde. „Er sprach langsam, mit tiefer, sonorer Stimme. Man spürte, dass er dachte und gleichzeitig sprach“, erinnert sich Jörg Heimler (78). Der Klang der Stimme und die Worte Brandts waren für ihn ein Genuss. Brandt habe dabei ein Vertrauen ausgestrahlt, das er nie wieder bei einem Politiker in dieser Intensität gespürt habe. Brandt sprach über seine Themen: Mehr Demokratie wagen, soziale Gerechtigkeit, Aussöhnung und Frieden.

 „Was ihn bewegte, das konnte er auch sagen“, so Karin Heimler über Brandt. Er sei ein zurückhaltender, aber nicht unnahbarer Mensch gewesen, der damals die verkrusteten Verhältnisse aufbrechen wollte und mit seinen Gedanken über Demokratie und soziale Gerechtigkeit die Menschen begeisterte.

Darin erinnert sich auch Heinz Kögler (75), der bei der Kundgebung als Ordner eingesetzt war und nicht unweit von Brandt stand. „Er faszinierte die Menschen mit seinem Charisma“. Ähnlich spricht auch Reinhold Glaser (73) über die Kundgebung im Herbst 1969. Brandt erreichte die Herzen der Bayreuther. „Willy Brandt war für uns der Übervater“, so Glaser. Selbst die Jusos standen in dieser Zeit zur Mutterpartei und kämpften für deren Ziele. Über den Auftritt Brandts beim Unterbezirkstreffen in Warmensteinach auf dem Sportplatz sagt Glaser: „Wir waren alle total begeistert - der Hang war voller Menschen. Brandt verstand es, die Menschen zu einen.“ Für den damaligen SPD-Unterbezirk war es wohl das größte Ereignis seiner Geschichte überhaupt.

Beflügelnde Auftritte

Brandts Auftritte beflügelten die Sozialdemokraten in der Region. Bei der Kommunalwahl 1972, bei der sich Karin Heimler um ein Stadtratsmandat bewarb, kam die SPD auf 23 Sitze, die absolute Mehrheit. Begeistert von "Willy" traten etliche Bayreuther der SPD bei, erinnert sich Heinz Kögler.

Dem Geist, der in der SPD mit Willy Brandt herrschte, trauern heute gerade die älteren Sozialdemokraten nach. Ein Mann für Frieden und soziale Gerechtigkeit sei Brandt gewesen, sagt Gustl Hacker (83). Die SPD von heute müsse sich an diese Ideale erinnern. Brandts Gedanken aufzufrischen, wäre eine Aufgabe, die sich jeden Tag aufs Neue stelle, so Hacker.

Brandts Ideen gehören auch für Jüngere nicht auf den Schrottplatz der Geschichte. Der Schüler Cosmas Tanzer (18), der das Gymnasium Christian Ernestinum besucht, will sich mit Willy Brandt im Rahmen einer Seminararbeit befassen. Was ihn darauf gebracht hat? „Brandt war für seine Zeit ein mutiger und moderner Politiker, der die innenpolitischen wie außenpolitischen Verhältnisse aufbrechen wollte“, so der 18-Jährige, der sich der Jugendorganisation der SPD angeschlossen hat. Die SPD, die gerade eine große Koalition mit der CDU eingegangen ist, sollte sich auf die Ideen des großen Politikers besinnen.„Es bringt nichts, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu gewinnen, wenn der Preis dafür ist, anschließend kein Sozialdemokrat mehr zu sein“, habe der Parteichef gesagt. Brandt habe von seiner SPD auch verlangt, mehr Visionen als Pragmatismus zu entwickeln. Und dafür kann sich der 18-Jährige begeistern.

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