Salböl und Hostie
Wie müsse man sich aber nun die letzten Erdenstunden auf die ländliche altbairische Art vorstellen? Ein Beispiel dafür sei von dem niederbayerischen Pfarrer und Volkskundler Josef Schlicht Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeschrieben worden: Für einen Bauern, der sein Ende nahen fühlt, sich von seinem Nachbarn bereits aus dem Katechismus hat vorlesen lassen und auf einer neuen Hose (um bei der Auferstehung präsentabel zu erscheinen) bestanden hat, wird nach dem Priester geschickt. Der macht sich sogleich mit dem Salböl für die letzte Ölung (heute Krankensalbung) und einer geweihten Hostie für die letzte Kommunion auf den sogenannten Versehgang. Vorher hat ein Ministrant noch die kleinste Glocke der Pfarrkirche geläutet, damit jeder weiß: Da ist einer am Sterben. Viele Dörfler schließen sich an, wird von der Kirche doch für die Begleitung eines Versehgangs ein Sündenablass versprochen. Ängstlich achten die Leute darauf, ob dabei ein Hund bellt oder eine Henne gackert: Denn dann würde der Tote später keine Ruhe finden und im Dorf „umgehen“. In der Stube des Sterbenden hat die Bäuerin zur Abwehr böser Geister Rosmarin und eine Zitronenscheibe aufs Fensterbrett gelegt. Die Familie samt der kleinen Kinder, Nachbarn, Freunde drängen sich in dem Raum und beten laut den Rosenkranz, während der Bauer die letzte Beichte ablegt. Die Gemeinschaft führt allen die eigene Endlichkeit vor Augen und nimmt dem Sterbenden auch die Angst vor dem, was kommt: Er ist getragen von einem tröstenden Ritual, das allem Geschehen Sinn und Ordnung verleiht. Auch das Verzeihen und Versöhnen mit Gott und der Welt sind am Ende gelungen. Die Sterbekerze wird angezündet, die bis zur Beerdigung nach drei Tagen Totenwache brennen muss. Die Bäuerin bindet ihrem verstorbenen Mann schließlich die großen Zehen zusammen, damit er sich nicht aus dem Grab davonmachen kann. Auch die Leichenfrauen, die „Seelweiber“, die den Toten waschen, müssen sich beeilen: Kein draußen wartender „Untoter“ darf Wasser und Tuch erwischen und damit ins Haus gelangen. Beides wird vergraben.