Umgang mit dem Tod Der „Boandlkramer“ kommt als Freund

Uschi Geiger
Viel Weisheit und Humor: Peter Dermühl (rechts) zeigt mit seinem Buch „Sepp, jetz geht’s dahi“, wie unsere Vorfahren mit dem Tod umgingen. Hubert Tremls tiefgründige Lieder trafen die Zuhörer mitten ins Herz. Foto: /U.G.

Das Sterben gehört zum Leben. Doch keiner denkt gerne daran. Ein Vortrag zeigt, wie die Gesellschaft früher mit dem Tod umgegangen ist.

 
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Wunsiedel - Wie hält’s der Bayer mit dem Tod? Dass der Abschied von dieser Welt auch seine pragmatischen, rebellischen und sogar komischen Momente haben kann, beweisen allein schon Geschichten wie die vom „Boandlkramer“. Einer, der sich besonders gut mit der bajuwarischen Seele auskennt, ist Peter Dermühl. Der Germanist und Politikwissenschaftler, Dokumentarfilmer und Autor hat eine kleine bayerische Kulturgeschichte vom Tod verfasst: „Sepp, jetz geht’s dahi“. Auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung im Landkreis Wunsiedel (KEB) und der Hospiz-Initiative Fichtelgebirge stellte Dermühl sein Buch nun mit einer Lesung in der Fichtelgebirgshalle vor. Für den musikalischen Part konnte KEB-Geschäftsführer Johannes Geiger Hubert Treml aus Weiden begrüßen. Der „Musikpoet und Bühnenmensch“ aus der Oberpfalz wusste sein Publikum auch an diesem Abend mit tiefgründigen, mal wehmütigen, mal humorvollen Liedern zu begeistern.

Zum Schluss meist alleine

Obwohl in den Medien Mord und Totschlag zur Ansicht frei Haus geliefert würden, so Dermühl, müsse man im Gegensatz zu früher dem Tod, „wenn er im richtigen Leben kommt“, oft allein gegenübertreten: Dass jeder einmal sterben muss, werde in unserer lebenshungrigen Gesellschaft beiseitegeschoben. „In den allerletzten Momenten eines Menschen war für unsere Altvorderen jedoch seit jeher die Gemeinschaft das tragende Element“, erinnert Dermühl. Und die Wurzeln all dieser gemeinsamen Rituale und zum Teil abergläubischen Vorschriften würden weit in die Vergangenheit zurückreichen – bis in die antike Mythologie. Der mürrische Fährmann Charon, der als Lohn für das Übersetzen über den Totenfluss eine Münze verlangte, habe sich in der bayerischen Totenkultur zunächst als liebenswerter Christophorus manifestiert, der wiederum als Vorläufer des „Boandlkramers“ gelte. Auch er, der „Knochensammler“, sei dem Menschen gesprächsbereit gegenübergetreten. In Franz von Kobells berühmtem Stück „Die Gschicht vom Brandner Kaspar“, 1871 erschienen, seien Erzählungen aus der Bevölkerung eingeflossen. Auch Ludwig Thomas humoristische Satire „Ein Münchner im Himmel“ von 1911, in der die bayerische Regierung vergeblich auf die göttliche Eingebung wartet, stelle den Tod nicht als grausamen Schnitter dar.

Salböl und Hostie

Wie müsse man sich aber nun die letzten Erdenstunden auf die ländliche altbairische Art vorstellen? Ein Beispiel dafür sei von dem niederbayerischen Pfarrer und Volkskundler Josef Schlicht Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeschrieben worden: Für einen Bauern, der sein Ende nahen fühlt, sich von seinem Nachbarn bereits aus dem Katechismus hat vorlesen lassen und auf einer neuen Hose (um bei der Auferstehung präsentabel zu erscheinen) bestanden hat, wird nach dem Priester geschickt. Der macht sich sogleich mit dem Salböl für die letzte Ölung (heute Krankensalbung) und einer geweihten Hostie für die letzte Kommunion auf den sogenannten Versehgang. Vorher hat ein Ministrant noch die kleinste Glocke der Pfarrkirche geläutet, damit jeder weiß: Da ist einer am Sterben. Viele Dörfler schließen sich an, wird von der Kirche doch für die Begleitung eines Versehgangs ein Sündenablass versprochen. Ängstlich achten die Leute darauf, ob dabei ein Hund bellt oder eine Henne gackert: Denn dann würde der Tote später keine Ruhe finden und im Dorf „umgehen“. In der Stube des Sterbenden hat die Bäuerin zur Abwehr böser Geister Rosmarin und eine Zitronenscheibe aufs Fensterbrett gelegt. Die Familie samt der kleinen Kinder, Nachbarn, Freunde drängen sich in dem Raum und beten laut den Rosenkranz, während der Bauer die letzte Beichte ablegt. Die Gemeinschaft führt allen die eigene Endlichkeit vor Augen und nimmt dem Sterbenden auch die Angst vor dem, was kommt: Er ist getragen von einem tröstenden Ritual, das allem Geschehen Sinn und Ordnung verleiht. Auch das Verzeihen und Versöhnen mit Gott und der Welt sind am Ende gelungen. Die Sterbekerze wird angezündet, die bis zur Beerdigung nach drei Tagen Totenwache brennen muss. Die Bäuerin bindet ihrem verstorbenen Mann schließlich die großen Zehen zusammen, damit er sich nicht aus dem Grab davonmachen kann. Auch die Leichenfrauen, die „Seelweiber“, die den Toten waschen, müssen sich beeilen: Kein draußen wartender „Untoter“ darf Wasser und Tuch erwischen und damit ins Haus gelangen. Beides wird vergraben.

Engel auf der Treppe

Hubert Tremls Lieder, ausnahmslos in Weidener Mundart, passen wunderbar in diesen Kontext: „Die beste Medizin is a Seel, däi mit mir gäiht, daaß ich wem wichtig bin…“ singt er und erzählt von einem Sterbenden, der die weinenden Angehörigen ermahnt habe: „Eitz lacht’s holt aa amaal!“ Böse Geister gibt es bei ihm nicht, nur einen „Engel aaf der Stäign“, der sich zu einem ratlosen und verzweifelten Menschen, der draußen auf den Treppenstufen sitzt, hinzugesellt, „… wenn a Nacht niard aafhörn wüll.“

Der katholischen Kirche, erläutert Dermühl, sei es nie gelungen, ihren Gläubigen die heimliche Pflege vorchristlichen Aberglaubens auszutreiben. Auch wenn wir selbst damit nichts mehr anfangen könnten: Der selbstverständliche Umgang mit Tod und Sterben, die festen Rituale hätten die Menschen vor Alleinsein und Verzweiflung in ihren letzten Stunden bewahrt. „Der ‚Gevatter Tod‘ war kein Feind.“ Oder wie Hubert Treml es ausdrückt: „Ich wünsch‘ mir, daaß ich mit’m Toud a bissl tanzen kaa.“

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