Tschernobyl ist noch immer da

Von Peter Engelbrecht
Tschernobyl rüttelte die Menschen auf - auch in Bayreuth. Foto: Martin Ritter/Archiv Foto: red

https://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/tschernobyl-wo-einen-das-leben-hinstellt_469675Sie sind in der Region nach 30 Jahren noch immer messbar: Die Folgen der Atomkatastrophe von Tschernobyl in der Ukraine vom 26. April 1986. Bis zu 20 Prozent der erlegten Wildschweine sind mit Radioaktivität über dem gesetzlichen Grenzwert belastet und müssen entsorgt werden. Eine Bilanz.

 
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„Es tut einem im Herzen weh, wenn ein Wildschwein auf den Müll geworfen werden muss“, sagt Karl-Heinz Inzelsberger. Er meint damit das gesetzlich vorgeschriebene Entsorgen von Wildschweinen, wenn sie höhere Cäsium-Radioaktivitätswerte als 600 Becquerel pro Kilogramm aufweisen. Als Vorsitzender des Jägervereins Pegnitz kennt er die Ergebnisse der eigenen Messstation in Langenreuth bei Pegnitz. Rund 20 Prozent der überprüften Wildschweine wiesen im vergangenen Jahr mehr als 600 Becquerel pro Kilo auf. Der Rekord lag bei 2700 Becquerel, berichtete Inzelsberger. Ingesamt wurden 350 erlegte Tiere gemessen, 70 lagen über dem Limit. Sie dürfen nicht an Handel, Gaststätten oder sonstige Kunden verkauft, sondern müssen über die Tierkörperverwertungsanstalt entsorgt werden. Für ein verstrahltes, zwei Jahre altes Tier, einen sogenannten Überläufer, zahlt der Staat dem Jäger eine Entschädigung von rund 100 Euro. Das Messgerät ist amtlich überprüft.

„Es wird auch in 50 Jahren noch Radioaktivität im Waldboden sein“, vermutet Inzelsberger. Das Schwarzwild sucht dort vor allem im Herbst und Winter Nahrung und nimmt dabei die Radioaktivität auf. Bei Rehen gibt es keine Probleme – sie suchen ihre Nahrung auf freiem Feld.

Auch beim Veterinäramt der Stadt Bayreuth befindet sich eine Messstation des Landesjagdverbandes. Es handelt sich um eine amtlich geeichte Station. Im laufenden Jahr wurden bislang 112 Wildschweine und ein Reh auf radioaktive Belastung überprüft. In 14 Fällen wurde der Grenzwert von 600 Becquerel überschritten, teilt die Stadt Bayreuth mit. In den vergangenen Jahren hätten konstant fünf bis zehn Prozent der untersuchten Proben den Wert überschritten.

Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hält einen Verzehr von Wildbret, das über dem Grenzwert liegt, für nicht gefährlich. Der Verzehr einer Malzeit mit mehr als 600 Becquerel pro Kilogramm entspreche gerade einmal 0,15 Prozent der durchschnittlichen jährlichen Strahlenbelastung einer Person in Deutschland, heißt es im Jahresbericht 2014 der Behörde.

Selbst Waldpilze seien mit großer Wahrscheinlichkeit „ziemlich unbelastet“, berichtet Rainer Reichel, Pilzsachverständiger aus Pegnitz. Der Jägerverein Pegnitz untersucht mit seinem Messgerät auch Pilze.

Die Reaktorkatastrophe hat die Menschen verändert. „Ich habe ein Stück weit den Glauben an die Politik verloren“, sagt Reinhard Birkner, der Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz in Bayreuth. Anfangs habe es geheißen, es bestehe keine Gefahr durch die freigesetzte Radioaktivität, doch dann sei scheibchenweise herausgekommen, dass es doch Probleme gibt. Politik und Großindustrie hätten immer nur das zugegeben, was die Medien ans Licht gebracht hatten, erinnert sich Birkner. Das Thema Atomkraft habe der BN-Kreisgruppe Zulauf gebracht: Heute zählt die Kreisgruppe den Rekord von 2800 Mitgliedern.

Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geht davon aus, dass aufgrund der Halbwertszeit des Cäsiums von rund 30 Jahren die Radioaktivitätsbelastung im Waldboden nur sehr langsam abnimmt.

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