Thema: Mordfall Lübcke Aufhören mit sinnloser Fragerei in Richtung Osten

Leserbrief von Norbert Horn, Bayreuth
 Quelle: Unbekannt

Zum Artikel „Da läuft es einem kalt den Rücken runter“, Kurier vom 6./7. Juli.

 
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Zufällig habe ich die Sendung „Kontraste“ gesehen und Augen und Ohren nicht getraut. Auch das ist Deutschland, auch das sind unsere Landsleute, nicht weit weg von uns. Was machen wir bloß falsch? Die Frage treibt mich um.

Freilich blühen noch nicht überall die Landschaften, freilich fehlen noch ein paar Euro zur angeglichenen Rente. Trotzdem ist es „drüben“ viel grüner als bei uns. Nicht so zugebaut und eng. Trotzdem können sich viele Dresdner und Chemnitzer so manchen Traum erfüllen, auch wenn noch vieles zu wünschen übrig bleibt. Gegönnt sei ihnen alles, die jahrelang nur Verzicht kannten in ihrem eingegrenzten Sein.

Die Antworten auf die Fragen der Reporter am Rande der Dresdner Demo sind allerdings nicht hinnehmbar. Die Staatsanwaltschaft ist schon am Ball. Wie sagte einer auf die Frage, ob Mord eine menschliche Reaktion sei: „Ja, wie es in den Wald hinein gerufen wird, so schallt es wieder raus.“

Ich glaube nicht, dass dieser Mann zu Hause in aller Ruhe diesen Satz wiederholen würde. Er wird sich schämen, ohne das laut zu sagen. Er wird sich sagen, man habe ihn gereizt, drum war er so maßlos. Da könnte was dran sein.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass Reporter eine Art des Fragens haben, dass bei den Beteiligten der Blutdruck steigt. Kaltschnäuzig, herausfordernd, in die Enge treibend. Auf die Schnelle soll ein aufgeheizter Demonstrant antworten, der in seiner Wut weit über das Ziel hinausschießt.

Er weiß natürlich, was man von ihm hören will, was der Medienmann für seinen Bericht braucht. Die provokante Art des Fragens macht die Wut noch wütender und den Hass noch hässlicher, als er so schon ist. Sie müssen mich schon ausreden lassen, wenn Sie wissen wollen, was ich dazu meine, sagte kürzlich ein Genervter in einer Runde.

Zurück zur Frage, was machen wir bloß falsch. Wir sollten aufhören mit unserer völlig sinnlosen Fragerei in Richtung Osten. Kein Mensch dort drüben kann uns eine klare Antwort geben, warum sie sich in ihrer Haut so unwohl fühlen. Sie meinen die Merkel und den ganzen politischen Betrieb.

Aber selbst wenn wir dort oben alle Maßgeblichen austauschen würden, käme noch längst keine Ruhe rein. Der Unmut richtet sich nicht zuletzt gegen uns alle, die aus den alten Bundesländern stammen. Wir hätten eine hochnäsige Art drauf. Würden die da drüben nicht ganz ernst nehmen.

Auch da könnte was dran sein. Der ostdeutsche Stolz fühlt sich verletzt. Drum meine ich, sollten wir aufhören mit unseren nicht ganz ehrlichen Scheinfragen. Wir wissen doch sowieso schon, was der andere sagen wird, und wir wissen es vor allem vermeintlich viel besser.

Dabei wissen wir eigentlich gar nichts, weil niemand dort drüben in aller Ruhe und ohne ständige Unterbrechung in der Öffentlichkeit oder in kleiner Runde zu Ende reden darf, was ihn letztlich bewegt, was er selbst noch gar nicht so genau formulieren kann, jenseits lautstarker Schlachtrufe.

Das geduldige Zuhören und zu begreifen versuchen, das viel Zeit kostet, die niemand mehr hat, ist freilich nicht ganz einfach. Ist aber nach meinem Gefühl das Gebot der Stunde, unser Volk zusammenzuführen.