Theatergruppe "Waldlust" spielte eine selbst verfasste Komödie Hauptmann von Köpenick in Kulmbach

Von Wolfgang Schoberth
Heinz Rühmann spielte den Hauptmann von Köpenick im Film 1956. Foto: red

Vor 110 Jahren lacht die halbe Welt über den „Hauptmann von Köpenick“, der mit einem Trupp Grenadiere den Bürgermeister im Rathaus festgesetzt und die Stadtkasse geplündert hat. Auch die Kulmbacher haben ihren höllischen Spaß. Die Kauerndorfer Theatergruppe „Waldlust“ bringt schon vier Wochen später eine selbst verfasste Komödie auf die Bühne. Und der Kulmbacher SPD wuchsen Flügel.

 
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Es gibt Geschichten. Es gibt Geschichte. Und es gibt Geschichten, die so skurril sind, dass sie Weltgeschichte schreiben. Über das, was sich heute vor exakt 110 Jahren in Köpenick – im Vorhof Berlins – zugetragen hat, hat man nicht nur in der Reichshauptstadt gelacht. In ganz Deutschland, von Zypern bis Australien hatte man seinen Spaß. Und selbst der säbelrasselnde, gefährlich schnauzbärtige Kaiser Wilhelm II. nahm’s mit Galgenhumor: „Da kann man sehen, was Disziplin heißt. Kein Volk der Erde macht uns das nach!“

Am 16. Oktober 1906 kauft Wilhelm Voigt, ein Schuster, der von seinen 57 Lebensjahren 30 im Knast verbracht hat und eben entlassen worden ist, auf dem Trödelmarkt eine Hauptmanns-Uniform. In einer Toilette zieht er sie an.

Der falsche Hauptmann kommandiert zehn Soldaten

In seiner Maskerade befiehlt er den nächstbesten Soldaten – zehn Grenadiere des 1. Garderegiments, die gerade vom Tegeler Schießplatz kommen – ihm zu folgen. Mit dem Trupp zieht er ins Köpenicker Rathaus ein, konfisziert auf „allerhöchsten Befehl“ die Stadtkasse mit knapp 4000 Mark. Den Kassier und den Bürgermeister Dr. Georg Langerhans lässt er verhaften, später in Droschken setzen und zur Neuen Wache in Berlin abführen. Er selber begibt sich nach dem Coup zum Bahnhof und entschwindet in einem Regionalzug.

Der tollkühne Handstreich schlägt ein. Da ist es einem kleinen Mann gelungen, Militär, Polizei und gebildete Beamtenschaft zu narren und den wilhelminischen Untertanengeist lächerlich zu machen. Seine Courage wird bewundert. Die Presse steigt groß ein, Extra-Blätter werden auf den Markt geworfen, Karikaturen und Spottgedichte erscheinen.

Zwei Lokalzeitungen berichten

Auch die beiden hiesigen Zeitungen „Kulmbacher Nachrichten“ und „Kulmbacher Tagblatt“ berichten ab dem 18. Oktober 1906 täglich spaltenlang über das Husarenstück und die fieberhafte Jagd nach dem falschen Hauptmann. Spürbar ist, dass die Journalisten, und gewiss auch ihre Leser, an der Blamage Berlins nicht nur klammheimliche Freude haben. Genüsslich breiten die „Kulmbacher Nachrichten“ am 20. Oktober das „ungeheuere Hohngelächter“ aus, „das an allen Ecken und Enden ausbricht“. Um dann spitz zu enden: „Ei, ei, ihr Herren von Köpenick. So nahe an Berlin, der ’Metropole der Intelligenz’, und doch so leicht düpiert von dem ersten besten hergelaufenen Subjekt“.

Spontane Idee für eine Posse in drei Akten

Der Kulmbacher Klub „Waldlust“ („Der Verein hat den Zweck, seinen Mitgliedern gesellige Unterhaltungen und weitere Vergnügungen zu bereiten“, wie es in seinem Gründungsstatut von 1903 heißt) muss sofort die Idee gehabt haben, die Komödie auf die Bühne zu bringen. Sein Vorsitzender Ernst Merk, ein Maschinenmeister, macht sich gleich ans Werk und schreibt eine Posse in drei Akten.

Am 3. November erfahren die Kulmbacher Zeitungsleser den Premierentermin: 18. November, Kauernburger Schlösschen. Vielleicht deutschlandweit die erste Aufführung der Köpenickiade. Sofort muss ein unerhörter Run auf Karten eingesetzt haben, der Saal ist schon Stunden später ausverkauft.

Man wüsste zu gerne, wie sie ausgeschaut hat – 25 Jahre bevor Carl Zuckmayer sein berühmtes Stück schreibt, das zum Kassenschlager wird, bis die Nazis den Schriftsteller als „Asphaltliteraten“ diffamieren und das Stück von der Bühne verbannen. 1956, 50 Jahre nach dem Köpenicker Vorfall, wird dann Helmut Käutner den Stoff mit Heinz Rühmann in der Titelrolle verfilmen und dem Hauptmann cineastische Unsterblichkeit verleihen.

Der kleine Bürger sieht seine Chance

Durch die Desavouierung der Berliner Autoritäten wittern auch die kleinen Leute in Kulmbach ihre Chance, gegen die Obrigkeit zu löcken. Zwei Wochen nach dem Vorfall bezichtigt der Brauereiarbeiter Andreas Reuter den rechtskundigen Bürgermeister und Königlichen Hofrat Wilhelm Flessa des Amtsmissbrauchs. Er habe Unternehmern amtliche Dokumente zugesteckt und damit die Arbeiterschaft verraten. Er ruft zu einer Volksversammlung am 4. November 1906 im Geutherschen Saal in der Pörbitsch auf. Über die genauen Hintergründe soll Michael Goller, aus dem Oberhacken, referieren. Er hat 1902 einen SPD-Ortsverein gegründet und ist der politische Kopf der sich formierenden Arbeiterschaft.

Stadtmagistrat spricht Verbot aus

Der Stadtmagistrat, dem Flessa vorsteht, lässt sich die Provokation nicht gefallen. Er verhängt ein polizeiliches Verbot und verkündet dies in den Zeitungen. Doch die SPD-Anhänger lassen sich nicht mundtot machen. Im Gegenteil: Sie laden den prominentesten bayerischen Sozialdemokraten nach Kulmbach ein: Dr. Dr. Max Süßheim, gebürtiger Kronacher, Landtagsabgeordneter, Mitglied des Staatsgerichtshofs, brillanter Jurist und Rhetoriker. Wenige Stunden vor der Aufführung des „Köpenick“-Stückes in Kauernburg spricht er im Saal Geuther über die „Feinde der Arbeiterbewegung“.

Der falsche Hauptmann mischt Kulmbach auf

Die Kampfbereitschaft der SPD trägt Früchte. Bei der Landtagswahl am 31. Mai 1907 erreicht Goller mit 2178 Stimmen den dritten Platz hinter Kommerzienrat Wilhelm Meußdoerffer und dem Hummendorfer Gutsbesitzer Luitpold Weilnböck. Kein Zweifel: Der falsche Hauptmann hat Kulmbach kräftig aufgemischt.

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