Sein Körperbau befähigte den 1,65 Meter großen Nguyen schon früh zu besonderen Leistungen. Der ehemalige Bundestrainer Andreas Hirsch zählte ihn einst zur Kategorie „Leichtbauweise“. Laut Belenki hatte sein Schützling zudem die Gabe, Neues extrem schnell zu erlernen und auch nach Trainingspausen die alten Übungen sofort wieder abrufen zu können. So arbeitete das Duo jahrelang daran, Nguyens Stärken auszubauen und die Schwächen zu minimieren. Am Barren wurde er absolute Weltspitze, kreierte ein eigenes Element und gewann nicht nur zwei EM-Titel an diesem Gerät, sondern auch die olympische Silbermedaille.
2012 in London gelang dieser Coup, der deshalb nicht die wertvollste Leistung des Turners ist, weil Nguyen sie ebenfalls in London noch übertrumpfte. Mit Silber im Mehrkampf. „Es war ein Traum“, sagte der heute 35-Jährige, als er zurückdachte an den Moment, als der Medaillengewinn seinerzeit feststand. Und um die Bedeutung des damals Erreichten noch zu unterstreichen, ergänzte Belenki: „Silber im Mehrkampf – darauf wird Deutschland lange warten müssen.“
Diskussionen um ein Tattoo
Marcel Nguyen und Valeri Belenki, das wird auch an Tag eins des neuen Lebensabschnitts klar, verstehen sich nahezu blind. „Wie ein Vater“ sei der Coach für ihn teils gewesen, erinnerte sich Nguyen. Und doch hatten die beiden auch ihre schwierigen Momente miteinander. Etwa, als der Turner den Trainer 2012 von seinem Plan erzählte, sich ein Tattoo stechen lassen zu wollen. Was heute gang und gäbe ist, war im Turnen damals undenkbar – und Belenki trieb die Sorge um, so ein Kunstwerk auf der Haut könnte die Kampfrichter dazu veranlassen, Zehntelpunkte abzuziehen. „Drei Monate lang habe ich versucht, es ihm auszureden“, erinnerte sich Belenki. Irgendwann sei Nguyen dann zu ihm gekommen mit der Nachricht: „Heute ist Termin.“ Und anstatt eines kleinen unauffälligen Tattoos zierte fortan ein ganzer Schriftzug die Brust des Turners. „Ich war schockiert“, sagte Belenki – und Nguyen stimmte zu, das Tattoo im Wettkampf erst mal zu überschminken.
Die Kunst auf der Haut ist im Laufe der Jahre zahlreicher geworden bei Marcel Nguyen – und vielleicht hat dies auch ein bisschen die Richtung vorgegeben für sein neues Leben. Der dreimalige Europameister und 18-malige deutsche Meister, der seit 2012 vor allem in Hongkong extrem populär ist, repräsentiert weiter bisherige und neue Sponsoren. Er hat sich aber auch selbstständig gemacht – mit einem Studio für dauerhafte Haarentfernung in München.
„Es läuft ganz gut an“, sagte er – und verabschiedete sich in sein neues Leben. Das beginnt, wie das alte endete: mit einem Spaziergang mit Akira.