Und damit wird seiner Ansicht nach auf beiden Seiten der Grenze viel verschenkt, vor allem im Handel und im Tourismus. Die Feststellung Riedls ist nicht einfach aus der Luft gegriffen. Sie basiert auf einer Studie, die er gut zwei Jahre lang gemeinsam mit der Universität Pilsen und dem Weidenberger Marketingverein „Access Marketing Management“ durchgeführt hat. Jeweils rund 1000 Menschen wurden in Nordostbayern sowie in den beiden tschechischen Regionen Karlsbad und Pilsen befragt.
Das Ergebnis: Den Schwarzen Peter haben eigentlich die Deutschen. Jahrzehntelang habe man im sogenannten Zonenrandgebiet über die Grenze geklagt, sagt Riedl. „In dieser Klage hat man sich ganz gut eingerichtet.“ Die Menschen in Nordostbayern orientierten sich nach Westen und Süden, nicht aber nach Osten.
Das bekommen oft auch die Tschechen zu spüren, die ihren Nachbarn in Deutschland einen Besuch abstatten. Laut Studie hat jeder Dritte schon Erfahrungen mit Intoleranz oder beleidigendem Verhalten in bayerischen Geschäften oder Dienstleistungsbetrieben erfahren. Mehr als die Hälfte der Besucher berichtet jedoch von einer freundlichen Einstellung der Deutschen.
Doch ein freundlicher Empfang alleine reicht nicht aus, um die Nachbarn als zahlende Kundschaft oder Touristen anzulocken. Es mangelt an tschechischer Ausschilderung, Speisekarten oder Ansprechpartnern in Restaurants und Geschäften. „So etwas wird sehr positiv aufgenommen“, sagt Riedl. Und Martin Lochmüller, der an der Studie mitgewirkt hat, fügt hinzu: „Deutsche, die nach Tschechien fahren, erwarten ganz selbstverständlich, dass man dort Deutsch spricht.“
Dass man mehr tun kann, um Besucher aus Tschechien anzulocken, streiten die hiesigen Tourismus-Verantwortlichen nicht ab. „Wir müssen aber schauen, dass wir unsere knappen Ressourcen effizient einsetzen“, sagt Ferdinand Reb von der Tourismuszentrale Fichtelgebirge. Sandra Schneider von der Tourismuszentrale Fränkische Schweiz stößt ins gleiche Horn, wenn sie sagt: „Es ist sehr schwer, Auslandsmärkte zu bearbeiten. Da muss man gleich richtig Geld reinstecken.“ Tschechien ist zwar nah, aber andere Zielgruppen sind vielversprechender.
Nichtsdestotrotz wird etwas für den grenzüberschreitenden Besucherverkehr getan. Unter anderem soll der Internetauftritt der Tourismuszentrale Fichtelgebirge im kommenden Jahr auch auf Tschechisch verfügbar werden. Gleiches gilt für die Seite der Tourismus- und Marketing GmbH Ochsenkopf. Deren Geschäftsführer Andreas Munder beobachtet steigende Besucherzahlen aus dem Nachbarland – vor allem zur Wintersaison an den Liften und Loipen. Er sagt: „Viele kommen als Tagesgast und tauchen deshalb nicht in der Übernachtungsstatistik auf.“
Doch nicht nur den Austausch zwischen den Grenzregionen haben Joachim Riedl und sein Team von Wissenschaftlern im Auge. In einer Folgestudie wollen sie sich anschauen, wie sich Nordostbayern und Westböhmen als gemeinsame Tourismusregion vermarkten könnten. Und sie legen die Messlatte hoch. Denn zum Vergleich schauen sie sich den Raum Schwarzwald, Baden, Südpfalz und das französische Elsass an. „Die haben eine gemeinsame Positionierung schon geschafft“, sagt der Professor. Einen Eisernen Vorhang gab es im deutsch-französischen Grenzgebiet nicht. „Die haben 45 Jahre Vorsprung“, sagt Riedl.
Dort könne man sich abschauen, erfolgreich den Ruf einer hochwertigen Tourismusregion aufzubauen. Auch wenn er hier gute Ansätze sieht, aus den vorliegenden Studien gehe hervor: „Das Fichtelgebirge ist lange noch keine überregional hochwertige Destination.“
Messlatte Schwarzwald? „Natürlich ist es interessant zu sehen, was es im deutsch-französischen Grenzgebiet gibt“, sagt Andreas Munder. „Da kann man erkennen, was es für Verbesserungsmöglichkeiten gibt.“ Die Anziehungskraft der Tourismusregionen spiegelt sich in den Zahlen wider. Während im Schwarzwald der Anteil ausländischer Touristen bei 40 Prozent liegt, ist es im Fichtelgebirge nur jeder Zehnte. Martin Lochmüller stellt fest: „Das Potenzial ist da. Es muss nur besser ausgeschöpft werden.“
Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier.