Stimmen aus Region Bayreuth Respekt und Unverständnis für Merkel

Von Barbara Struller
Die Zustimmung und das Vertrauen in die Regierung – hier Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) und Vizekanzler sowie Finanzminister Olaf Scholz (SPD, rechts) – schwindet nicht nur in der Bevölkerung. Auch viele Politiker der Region kritisieren das Corona-Krisenmanagement der vergangenen Tage deutlich. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die Corona-Politik des Bundes und die Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) lassen viele Menschen verständnislos zurück. Befremden hat vor allem die jüngste, mittlerweile zurückgenommene, Verkündigung zur Osterruhe hervorgerufen. Das sagen unsere politischen Vertreter dazu.

 
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Bayreuth - Der Kurier hat am Donnerstag (25. März 2021) einige Politiker der Region Bayreuth befragt.

Tim Pargent (MdL, Bündnis 90/Die Grünen) hält den strengen Corona-Kurs für unausweichlich. „Bundesregierung und Ministerpräsidentenkonferenz haben in die dritte Welle hineingelockert und nicht die nötigen Testkapazitäten organisiert, um einen Weg aus dem Lockdown zu gehen.“ Auch die Digitalisierung der Gesundheitsämter und eine höhere Impfstoffproduktion seien nicht genug vorangetrieben worden. „Die Menschen müssen deshalb weiter auf Lockerungen warten.“ Weil die MPK nur noch nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner arbeite, kamen Fehler zustande. Künftige Entscheidungen sollten in Bundestag und Bundesrat beraten werden, fordert der Grünen-Landtagsabgeordnete. „Dann würden solche Vorschläge gründlicher durchdacht.“ Die Entschuldigung der Kanzlerin hat seinen Respekt: „Eine bessere Fehlerkultur würde der Politik gut zu Gesicht stehen.“

Es werde trotz steigender Zahlen immer schwieriger, die Akzeptanz der Menschen aufrechtzuerhalten, sagt Gudrun Brendel-Fischer (MdL, CSU): „Wir werden doch auch zappelig und ungeduldig.“ Dass man beim Wettlauf gegen die Mutationen aufgrund der Impfstoff-Panne einen Fehlstart hinlegt, ärgere die Menschen. „Die Mehrheit steht zu Beschränkungen, sieht diese aber kritischer, weil sie die Auswirkungen selbst zu spüren bekommt.“

Die berechtigte Empörung über die Osterruhe bestätigte, dass über Konsequenzen der Regelung nicht gesprochen wurde. „Derartige Marathon-Sitzungen sind nicht das geeignete Format, weil die Aufmerksamkeit zwangsläufig nachlässt. Fragen wie: ,Wer bezahlt den Urlaubstag? Darf in der Fleischbranche gearbeitet werden? Gilt das Lkw-Fahrverbot? Dürfen Bäckereien offen haben?‘ haben ab Dienstagfrüh mein Büro erreicht.“ „Ich rechne es der Kanzlerin hoch an, dass sie so spontan agiert hat, als bemerkt wurde, dass die Ruhezeit-Verordnung mit einer Kettenreaktion an Ungereimtheiten verbunden war“, sagt die Landtagsabgeordnete. „Vielleicht sollte sie vor Feiertagswochenenden mal wieder selber einkaufen gehen, um einzuschätzen, was da abgeht.“

Hans Dötsch, 75 Jahre alt, hat sein Leben lang Kommunalpolitik für die SPD gemacht. Dötsch war 18 Jahre lang Bürgermeister von Heinersreuth, 17 Jahre Kreisvorsitzender und zwölf Jahre stellvertretender Unterbezirksvorsitzender. „Fehler zu machen ist menschlich“, sagt Dötsch. „Die Entschuldigung der Kanzlerin zeugt von Größe.“ Er fragt sich, was überhaupt nach der Entscheidung für die Osterruhe passiert sei: „Eigentlich nicht so viel. Wir hatten ein paar Stunden Unsicherheit.“ Dass die Kanzlerin neue ethische Maßstäbe gesetzt hat, glaubt der Sozialdemokrat nicht. „Eine Entschuldigung muss immer drin sein.“ Der Anlass für Merkel sei ein kleiner gewesen. Viel mehr ärgere sich Dötsch über die EU-Kommission mit Präsidentin Ursula von der Leyen. Sie habe bei der Beschaffung von Impfstoff versagt. Ob er sich in seiner langen politischen Laufbahn entschuldigen musste? „Nein“, sagt er. Daran würde er sich erinnern.

Thomas Hacker (MdB, FDP) nennt die Osterruhe-Entscheidung „einen unüberdachten Vorschlag“, der nicht zu erklären sei. „Das ständige Hin und Her ist nicht mehr vermittelbar“, sagt der Abgeordnete aus Bayreuth. Er verweist auf den Sieben-Punkte-Plan der FDP mit Öffnungsschritten bei Hygienekonzepten. „Wir brauchen medizinischen Schutz und eine wirkungsvolle Impfstrategie, die aber durch eine Öffnungsstrategie bei Kitas, Schulen, Gastronomie und Kultur untermauert wird.“ Die Menschen hätten vor der MPK mit weniger Einschränkungen gerechnet. „Stattdessen zaubern sie diesen schlechten Aprilscherz aus dem Hut.“ Das verunsichere.

Hacker kritisiert, die MPK-Runden seien „gefühlt zum höchsten Entscheidungsgremium der Republik“ geworden. „Im Bundestag sitzen aber die Volksvertreter.“ Vor Gipfeln des Europäischen Rates informiere die Kanzlerin dort über ihre Strategie. „Das erwarten wir auch vor Treffen mit Ministerpräsidenten.“ Zur Entschuldigung der Kanzlerin, so Hacker, kam es „weniger aus eigener Selbsterkenntnis heraus“. Vielmehr habe Merkel intern starken Druck verspürt. „Die Union ist in Aufruhr. Die Entschuldigung war eher eine Notbremse, ehe die eigenen Leute die Gefolgschaft kündigen.“ Nun werde sich Merkel durch den Rest der Kanzlerschaft retten. „Nach diesem Schritt muss sie die Vertrauensfrage wohl nicht mehr stellen.“

„Die Belastungen für die Bevölkerung sind enorm und ich habe tiefes Verständnis für alle, die nicht mehr können“, sagt Annette Kramme (MdB, SPD). „Trotzdem müssen wir alle damit umgehen. Es ist unerlässlich, erneut in einen strengen Lockdown zu gehen.“ Die Intensivstationen würden voller werden. „Wenn wir den Kollaps des Systems verhindern wollen, müssen wir das Ruder herumreißen.“ In einer einzigartigen Krise blieben Fehler nicht aus. Manche Entscheidung würde man im Rückblick anders treffen. Sie selbst war oft bei Verhandlungen bis tief in die Nacht dabei. Manche Entscheidungen, klingen erst richtig, stellen sich aber als nicht durchsetzbar oder zielführend heraus, so Kramme. „Die Ruhetagsregelung war eine solche Entscheidung.“ Mit der Entschuldigung habe die Kanzlerin Verantwortung für die Bundesländer mit übernommen. „Das ist sehr anerkennenswert“, findet die SPD-Bundestagsabgeordnete.

Tobias Matthias Peterka (MdB, AfD) kritisiert die Regierung deutlich. „Die kopflosen Detailmaßnahmen versteht keiner mehr.“ Ursachen seien eine falsche Beratung durch das staatsnahe Robert-Koch-Institut sowie der Drang der Ministerpräsidenten, recht zu haben. „Wahrscheinlich ist auch der Mensch Merkel inzwischen einfach überfordert.“ Bei den MPK handle es sich um „Verfassungsbruch“. Die Konferenzen sehe das Grundgesetz nicht vor. Die Entschuldigung von Merkel habe Peterka „in der Tat überrascht“. Das reiche aber nicht. Es werde „weitergemerkelt“. Deshalb fordert der Bayreuther Abgeordnete die Vertrauensfrage. Das wäre ein ehrlicher Schritt. „Diese Woche hat man im Bundestag gesehen, dass keiner aus der SPD mehr hinter der Kanzlerin steht. Auch in der Union brodelt es.“

Silke Launert (MdB, CSU) lehnt die Vertrauensfrage strikt ab. „Wir können doch nicht in der schlimmsten Phase der Pandemie eine Regierungskrise riskieren. Ich würde auf keinen Fall jetzt Neuwahlen wollen.“ Sie hält die Entschuldigung der Kanzlerin für „einen taktisch klugen Schachzug“. Vorher habe Merkel „Schwäche gezeigt“. Man müsse sich fragen, ob es Sinn mache, Konferenzen um 14 Uhr zu beginnen. „Nachts gibt es dann in den Ministerien keinen, der Vorschläge überprüfen kann“, bemängelt die Bundestagsabgeordnete.

Rational findet sie die Entscheidung richtig, durch eine Fortsetzung des Lockdowns kein Risiko eingehen zu wollen. „Der Verstand erreicht die Menschen aber nicht so wie das Gefühl“, sagt Launert. Merkel habe unterschätzt, dass die Leute nach so vielen Monaten Lockdown „einfach mürbe und im Lagerkoller“ seien. Es müssten dringend kleine Dinge möglich sein. „Ich habe auch nicht verstanden, warum Urlaub in einer Ferienwohnung nicht geht.“ Launert erlebe den Drang, rauszukommen, bei Bürgergesprächen. „Da hat sich die Kanzlerin zu wenig hineinversetzt.“

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