Irlands Regierungschef Leo Varadkar sagte dem irischen Rundfunksender RTÉ am Freitag, die Verhandlungsteams beider Seiten seien in Kontakt. "Wir loten aus, was möglich ist", so Varadkar. Die zu überwindende Kluft sei aber noch "sehr weit". Johnson zeigte sich bei einem Auftritt in Nordengland "vorsichtig optimistisch", dass noch ein Deal möglich sei.
Juncker sagte dem Deutschlandfunk am Freitag hingegen, er sei nicht optimistisch, was alternative Vereinbarungen zum sogenannten Backstop angehe. Er hoffe weiter auf Alternativvorschläge, aber, so Juncker, "die Zeit wird knapp".
Johnson lehnt die im bisherigen Austrittsabkommen vereinbarte Garantieklausel für eine offene Grenze (Backstop) kategorisch ab. Sie sieht vor, dass ganz Großbritannien solange einen gemeinsamen Außenzoll mit der EU gegenüber Drittstaaten beibehalten soll, bis eine andere Lösung gefunden ist. Dadurch wären jedoch bilaterale Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und Drittländern wie den USA zunächst unmöglich. Unter anderem deshalb war das Abkommen drei Mal im britischen Unterhaus abgelehnt worden.
Das Versprechen einer erheblichen Erhöhung des Handelsvolumens mit Staaten wie den USA, China oder Indien nach dem EU-Austritt gehört zum zentralen Mantra der Brexit-Hardliner. Das, obwohl die Mehrzahl der Experten davon ausgeht, dass die erwarteten Vorteile bei Weitem von den Nachteilen des EU-Austritts aufgewogen werden.
Der Ausweg im Brexit-Streit, so die Spekulationen, könnte sein, dass nur das verhältnismäßig kleine Nordirland eng an EU-Regeln gebunden bliebe. Dadurch wären jedoch Kontrollen für Waren notwendig, die aus Großbritannien nach Nordirland kommen.
Das lehnte die DUP bislang strikt ab, von deren Stimmen die Minderheitsregierung der im Juli zurückgetretenen Theresa May im Parlament abhing. DUP-Brexit-Experte Sammy Wilson dementierte auch umgehend den "Times"-Bericht in einem BBC-Interview am Freitag. Es habe aber einen Fortschritt in Form einer veränderten Einstellung gegeben, so Wilson.
Trotz des Dementis wollen die Spekulationen nicht abbrechen. Johnson ist weitaus weniger abhängig von der DUP als seine Vorgängerin, weil er keine Unterhaus-Mehrheit mehr hat. Er spekuliert auf eine Neuwahl.
Sollte die EU nicht auf den Backstop verzichten, will Johnson notfalls ohne Abkommen aus der EU ausscheiden. Eine Mehrheit der Abgeordneten im Parlament will den No-Deal-Brexit dagegen unbedingt verhindern und hat ein Gesetz verabschiedet, das den Premier zum Beantragen einer Verlängerung der Austrittsfrist verpflichtet, sollte nicht rechtzeitig ein Abkommen ratifiziert sein. Johnson lehnt das aber kategorisch ab. Lieber will er "tot im Graben" liegen.
Der scheidende Präsident des britischen Unterhauses, John Bercow, warnte Johnson am Donnerstagabend davor, das Gesetz zu ignorieren. "Das wäre das fürchterlichste Vorbild, das man für den Rest der Gesellschaft abgeben könnte", sagte Bercow bei einer Rede am Donnerstagabend in London.
Versuche, einen Rechtsbruch im Namen des Brexit-Votums zu rechtfertigen, seien vergleichbar mit einem Bankräuber, der seine Beute an eine Wohltätigkeitsorganisation spenden wolle. Das Parlament werde das nicht zulassen. Die von Johnson auferlegte umstrittene fünfwöchige Zwangspause des Parlaments kritisierte er scharf. Bercow will sein Amt am 31. Oktober abgeben.
Am Mittwoch hatte die Regierung unter dem Druck des Parlaments ein Dokument mit Annahmen für den Fall eines ungeregelten Brexits veröffentlicht. Dem sogenannten "Yellowhammer"-Dokument zufolge könnte es anderem zu Lebensmittel- und Medikamentenknappheiten kommen. Auch Unruhen werden befürchtet. Reisende müssten sich auf lange Wartezeiten einrichten und würden in der EU keinen automatischen Krankenversicherungsschutz mehr genießen.
In diesem Lichte geradezu absurd wirkte die Ankündigung der britischen Regierung von Dienstag, bei einem No-Deal-Brexit seien wieder Duty-Free-Einkäufe bei Reisen aufs europäischen Festland möglich. Der Kauf einer Flasche Wein könne so beispielsweise um 2,23 Pfund (rund 2,50 Euro) billiger sein als bisher, hieß es.
Juncker bezeichnete den geplanten EU-Austritt Großbritanniens im Deutschlandfunk-Interview als "Höhepunkt einer kontinentalen Tragödie" und als "ahistorisch". Er sei der Problemlage, die es in Europa gebe, nicht angemessen, sagte Juncker. Die Entscheidung der Briten müsse aber respektiert werden.
Der Austrittsvertrag könne nicht wieder aufgemacht werden, sagte Juncker weiter. Es gehe nun darum, welche Vereinbarungen für die Zukunft möglich seien. Ein ungeordneter Brexit werde zu einem heillosen Chaos führen, auf den Inseln wie auf dem Kontinent. Juncker fügte nach Angaben des Deutschlandfunks hinzu: "Wer sein Land liebt - und ich gehe doch davon aus, dass es in Großbritannien noch Patrioten gibt - der möchte seinem Land ein derartiges Schicksal nicht wünschen."
David Cameron hält ein zweites Brexit-Referendum nicht für ausgeschlossen. Das sagte der frühere britische Premierminister in einem Interview der «Times» (Samstag). «Ich glaube, man kann es nicht ausschließen, weil wir in der Klemme sitzen», sagte Cameron. Gleichzeitig kritisierte Cameron das Vorgehen des aktuellen Regierungschefs Boris Johnson. Er unterstütze weder die von Johnson auferlegte Zwangspause des Parlaments noch den Fraktions-Rauswurf von 21 Tory-Abgeordneten, die gegen die Regierung gestimmt hatten. Beides sei «nach hinten losgegangen». Auch ein EU-Austritt ohne Abkommen, wie von Johnson angedroht, sei keine gute Idee. Cameron war nach dem Brexit-Votum der Briten im Jahr 2016 zurückgetreten. Er hatte das Referendum unter anderem abgehalten, um seine Position in der Konservativen Partei gegen die EU-Kritiker zu festigen.