Auf die besorgte Frage einer finnischen Journalistin bei der üblichen Pressekonferenz nach dem Treffen mit Rinne versucht Merkel deshalb, Sorgen über ihren Gesundheitszustand beiseite zu wischen. "Mir geht es gut", sagt die Kanzlerin. Sie erinnert an die beiden früheren Vorfälle der letzten Wochen: Sie habe ja neulich schon gesagt, sie sei in "einer Verarbeitungsphase der letzten militärischen Ehren mit dem Präsidenten Selenskyj". Sie schiebt hinterher: "Die ist offensichtlich noch nicht ganz abgeschlossen. Aber es gibt Fortschritte. Und ich muss damit jetzt eine Weile leben." Einen Weile leben? Es ist, als ob Merkel fürchtet, dass es nicht der letzte Vorfall dieser Art in der Öffentlichkeit bleiben wird.
Als ein Journalist nachhakt, ob die Öffentlichkeit angesichts der Häufung dieser Zitter-Vorfälle nicht den Anspruch habe, zu erfahren, wie es ihr gehe, antwortet Merkel mit einem ihrer etwas geschraubt wirkenden Sätze: "Ich glaube, dass meine Äußerungen dazu getan wurden heute. Und ich denke, dass meine Aussage, dass es mir gut geht, Akzeptanz finden kann." Sie glaube, "dass es so, wie es gekommen ist, eines Tages auch vergehen wird. Aber es ist noch nicht so weit." Und als wollte Merkel jeden Zweifel an ihrer Fähigkeit ausschließen, ihr Amt verlässlich auszuüben, setzt sie hinterher: "Ansonsten bin ich ganz fest davon überzeugt dass ich gut leistungsfähig bin."
Doch die Fragen werden bleiben, da wird sich auch Merkel keine Illusionen machen. 18 Jahre lang, bis vergangenen Dezember, war sie CDU-Vorsitzende, seit bald 14 Jahren ist sie Kanzlerin. Nur selten musste Merkel in dieser Zeit wegen Krankheit kurz pausieren. Bei ihren Verhandlungspartnern ist ihre Robustheit in durchverhandelten Nächten legendär und gefürchtet. Und nun diese Zitterattacken.
Genau genommen ist es sogar schon das vierte Mal, dass Merkel mit einem solchen Schüttelanfall zu kämpfen hat. Bereits bei einem Besuch in Mexiko-Stadt im Juni 2017 zittern ihr beim Empfang durch den damaligen Präsidenten Enrique Peña Nieto die Beine - genau wie jetzt beim Abspielen der Nationalhymnen. Bis sie zum Abschreiten der Ehrenformation losgehen kann.
Am 18. Juni wird ein solcher Zitterkrampf Merkels beim Empfang des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dann erstmals öffentlich in Deutschland wahrgenommen. Es ist brütend heiß, als Ursache nennt Merkel später Wassermangel.
Nur neun Tage später erleidet Merkel dann erneut einen Zitteranfall. Bei der Ernennung von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue ist es diesmal nicht besonders warm. In Regierungskreisen wird schon damals die Erklärung nachgeschoben, es hänge mit der psychologischen Verarbeitung des Vorfalls an der Seite von Selenskyj zusammen.
Noch an diesem Dienstagnachmittag schien die Kanzlerin alles im Griff zu haben. Beim Jahresempfang des Diplomatischen Corps auf Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung nördlich von Berlin, muss sie eine geschlagene halbe Stunde lang mehr als 100 in Berlin akkreditierte Botschafter begrüßen. Sie steht dort wie festgeschraubt auf einem markierten Platz - aber nichts passiert.
Doch nun, genau eine Woche vor ihrem 65. Geburtstag, ist die Gesundheitsfrage wieder ganz oben in den Schlagzeilen. Im Raum steht die Frage, ob Merkel wirklich so selbstbestimmt den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden kann, wie sie es sich immer vorgenommen hat.
Vor mehr als 20 Jahren schon hatte Merkel der Fotografin Herlinde Koelbl gesagt, sie wünsche sich, nicht als "halbtotes Wrack" aus der Politik auszusteigen. Nach den Zitter-Szenen der vergangenen Wochen kann sich auch die Kanzlerin eigentlich kaum wundern, wenn sich nun viele Menschen fragen: Hat sie sich im Dauer-Krisenmodus der vergangenen Jahre zu viel zugemutet?