Sind Bürgerwehren gefährlich?

Weil sich Bürger bedroht fühlen, patrouillieren sie auf eigene Faust. Nicht immer haben Bürgerwehren eine weiße Weste, warnt Thüringens oberster Verfassungsschützer.

 Foto: red

Thüringens Verfassungsschutzpräsident bescheinigt Bürgerwehren eine besondere Anziehungskraft auf Rechtsextreme. Im Interviewsagt Stephan J. Kramer, diese Gruppen bedienten unter anderem die Sehnsucht vieler Rechtsextremisten nach Uniformierung sowie „martialischem, militärisch anmutendem Auftreten“.

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Für wie gefährlich halten Sie Bürgerwehren?
Stephan J. Kramer: Bürgerwehren sind zunächst einmal Ausdruck einer subjektiven Empfindung von Gefährdung. Inwiefern sie dabei selbst eine Bedrohung darstellen, hängt natürlich von der konkreten Ausgestaltung der Aktivitäten der jeweiligen Bürgerwehr ab. Die Bandbreite reicht hier von Patrouillen in der Nachbarschaft bis hin zur Möglichkeit der Selbstjustiz. Während ersteres möglicherweise noch legitim erscheint, sind wir bei letzterem natürlich längst im Bereich der Straftat. Stellt eine Bürgerwehr das staatliche Gewaltmonopol auch durch konkrete Taten infrage, hat sie den Boden der Rechtstaatlichkeit verlassen und kann mit Fug und Recht als gefährlich angesehen werden.

Wer steckt dahinter?
Kramer: Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Bandbreite reicht auch hier von der besorgten Nachbarschaft, die Angst vor Einbrüchen hat und einfach ein wachsames Auge halten will, bis hin zu Gruppen, in denen tatsächlich Rechtsextremisten aktiv sind oder sie gar initiiert haben. Generell lässt sich sagen, dass das Prinzip der Bürgerwehr für Rechtsextremisten eine starke Anziehungskraft hat.

Weshalb?
Kramer: Es bedient gleich mehrere ideologisch gefärbte Bedürfnisse von Rechtsextremisten. Da ist zum einen die reine Propaganda, indem man eine möglicherweise tatsächlich vorhandene Bedrohung instrumentalisiert, um den Staat und seine Handlungsfähigkeit nicht nur infrage zu stellen, sondern gezielt verächtlich zu machen. Bürgerwehren bedienen aber auch die Sehnsucht von Rechtsextremisten nach Uniformierung, geschlossenen martialischem, militärisch anmutendem Auftreten sowie der Ausgrenzung von Minderheiten, um sich selbst aufzuwerten.

Wirft der Verfassungsschutz ein Auge auf Bürgerwehren?
Kramer: Insofern es Bezüge zu extremistischen Bestrebungen gibt, schaut auch der Verfassungsschutz hier genau hin. Ob es zu einer konkreten Beobachtung kommt, hängt von den jeweiligen Aktivitäten der Bürgerwehr ab. Eine pauschale Beobachtung von Bürgerwehren durch den Verfassungsschutz findet jedenfalls nicht statt. In den wenigen Fällen, wo es tatsächlich zur Bildung einer Bürgerwehr kommt, lassen sich wiederum nur selten tatsächlich auch Bezüge zu extremistischen Gruppierungen oder Einzelpersonen feststellen. In den allermeisten Fällen ist zudem die Existenz einer Bürgerwehr nur von vorübergehender Dauer.

Stephan J. Kramer ist seit Dezember in Thüringen Verfassungsschutzpräsident. Der 47-Jährige war zuvor zehn Jahre lang Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Kramer ist studierter Sozialpädagoge mit Masterabschluss an der Fachhochschule Erfurt.