Sie ist wieder da - mit Streetart

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Bayreuth spielt in der Weltliga mit. Mit dem Weltkulturerbe Opernhaus, na klar. Auch das Festspielhaus hat Weltrang. Aber auch mit der Kunstform des 21. Jahrhunderts hat Bayreuth ein Zeichen gesetzt. Streetart. Eine Kunst mit einer besonderen Sprache. Eine Kunst, die generationsübergreifend die Menschen anspricht, sie fasziniert. Sie dazu animiert, um die halbe Welt zu reisen, um den Stars der Szene nahe zu sein, sie beim Arbeiten zu beobachten. Und - fast noch wichtiger - ein Bild von sich selbst und dem Werk eines der Meister zu schießen und dann auf Instagram oder sonst wo zu posten.

 
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Jessica Matijevic, gebürtige Bayreutherin und Galeristin mit dem Schwerpunkt Streetart, und der Kunstlehrer Stefan Mayer vom Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasium (MWG) haben ein Kunststück geschafft: Sie haben, unterstützt vom Förderkreis Skulpturenmeile Bayreuth, fünf internationale Künstler der Streetart-Szene nach Bayreuth geholt, zu einem ungewöhnlichen Streetart-Festival, das Bayreuth fünf Werke hinterlässt, die - jedes für sich - mehr als nur Hingucker sind. Bilder, die Geschichten erzählen. Die den Faden hin zu der Frau spinnen, ohne die Bayreuth sicher nicht Weltliga wäre: Wilhelmine.

Übersetzt in die Jetztzeit

Dass Wilhelmine wieder da ist, übersetzt in die Jetztzeit an den Wänden, und nicht nur über allem schwebend im Welterbe, liegt an Ideenreichtum, Mut, hartnäckiger Arbeit und einigen glücklichen Zufällen. Einer der glücklichen Zufälle ist, dass Mayer, der vor zwei Jahren den weltbekannten Fotografen Michael Wesely für ein Schülerprojekt ans MWG geholt hatte, einen sehr kurzen Draht zu Jessica Matijevic hat: sie ist die Freundin seines Sohnes Kevin. Mit ihr hat er schon vor längerer Zeit geplaudert und die Idee gesponnen, "dass man doch auch mal Streetart nach Bayreuth holen konnte". Um die Schüler mit ins Boot nehmen zu können, "sie heranführen und in den Prozess der Kunst auf vielfältige Weise einbinden zu können", wie Mayer sagt. Ein Seminar - das mit dem aktuellen Schuljahr startete - sollte bei der Hintergrundarbeit mithelfen. "Antragstellung und die vielen Dinge, die notwendig sind", sagt Mayer.

Die Stadt mitreißen

Gleichzeitig kristallisierte sich schnell das Thema heraus: die Wiedereröffnung des Welterbes. Und die Idee, "die Stadt mitzureißen. Dass die Leute einen Anknüpfungspunkt haben, sehen, dass sich Künstler mit dem Thema auseinander setzen. Und dass die Eröffnung nicht nur ein geschlossener Kreis ist, sondern dass jeder dabei sein kann", sagt der Kunstlehrer. Schließlich "habe ich noch nie eine Kunstform wie die Streetart erlebt, die jede Generation anspricht", sagt Matijevic.

Ein Logo, das Türen öffnet

Allerdings braucht es eine gewisse Kaltschnäuzigkeit: Jessica Matijevic, die nach der Schule in Bayreuth Kunstgeschichte in München studiert hatte, ist erst seit Herbst vergangenen Jahres als Galeristin im Geschäft. "Ich sollte also internationale Künstler nach Bayreuth, in die Provinz, holen. Alles andere als leicht", sagt die 24-Jährige. Einzige Verbindung: Während des Studiums hatte sie den Künstlern Case Maclaim, Matthias Mross und Stohead (Christoph Hässler) "an der Wand assistiert". Stohead ist auch derjenige, der das Logo ihrer Galerie "I know a guy" gestaltet hat. Den Namen, sagt Matijevic, "wollte ich unbedingt, weil in der Branche der wichtigste Faktor Vitamin B ist. Dass man jemanden kennt." Und in Zweifel auch den richtigen Maler für die richtige Wand an der hand hat. "Das Logo war es letztlich, das mir bei den Künstlern die Tür geöffnet hat", sagt Jessica Matijevic. "Denn Stohead hat wichtige Sachen für die heutige Graffiti-Generation geschaffen. Er ist weltweit anerkannt - eine Legende. Nychos beispielsweise ist einer der Künstler, die Stohead als Idol sehen."

Einmal um die Welt gereist

"Mit der Karte bin ich um die Welt gereist, um die Künstler zu treffen und zu überzeugen, nach Bayreuth zu kommen." Nychos, der aus Wien stammt und weitere Studios in Los Angeles und San Francisco betreibt, versucht Matijevic in Los Angeles zu treffen. "Über Tage haben wir immer wieder telefoniert, bis er mir schließlich ein Gespräch einräumt. Zehn Minuten. Aus zehn Minuten sind zehn Stunden am Stück geworden. Und im freundschaftlichen Dienst ist er nach Bayreuth gekommen." Und mit ihm "Leute aus den Top Ten der Streetart-Szene weltweit", sagt Mayer. Case Maclaim, zum Beispiel, der in den 90er Jahren den Fotorealismus mit der Dose an die Wand gebracht hat, "nach ihm ist der Sprühkopf benannt, mit dem sie alle arbeiten, die Maclaim-Cap", sagt Matijevic.

Tränen fließen bei der Abreise der Künstler

Zwischen vier und neun Tagen sind Case, Mross, Stohead, Nychos, Eliot The Super (München) und Drew Merrit (Los Angeles) in Bayreuth. Einige von ihnen arbeiten auch am MWG, bereiten die Kunst an der Wand vor. "Sie haben sehr geduldig die Fragen der Schüler beantwortet, ihre Geschichte erzählt, die künstlerische Position, die sie haben, erläutert. Haben den Schülern gezeigt, was Kunst für sie ist. Vom pädagogischen Standpunkt war das Gold wert", sagt Mayer. "Die T-Shirts, die die Künstler ihnen signiert haben, haben sie fast täglich an im Unterricht, das wird nicht gewaschen." Als die Künstler wieder gefahren sind, "sind bei einigen Tränen geflossen". Bei der Finanzierung der Kunstwerke hilft der Förderkreis Skulpturenmeile entscheidend mit, sagt der Vorsitzende Jörg Lichtenegger. Lichtenegger und der Schatzmeister Guntram Preißinger bauen Brücken unter anderem zur Oberfrankenstiftungen, helfen bei den Genehmigungen weiter. „Alle sind für sich genommen genial“, sagt Lichtenegger, selbst Streetart-Fan. "Benjamin Lotze von der Stadt Bayreuth hat ebenso wie die Stadtbaureferentin Urte Kelm den Weg geebnet, dass wir die Wände bekommen haben", sagt Mayer.

Viele Bayreuther schauen zu

Die Murals, die Kunstwerke an der Wand, selbst entstehen unter großer Anteilnahme der Bayreuther. "Nur positive Reaktionen", sagt Matijevic. Auch die Welt schaut auf Bayreuth. Die Aktion - eine der wenigen Streetart-Festivals mit einer Themavorgabe - verbreitet sich rasend schnell übers Netz. Allein das Video von der Entstehung des Nychos-Kunstwerks in der Badstraße 27 ist mehr als 50.000 Mal angesehen worden.

Die Kunstwerke und ihre Wände - und die Geschichte dahinter

Drew Merrit, Münzgasse 8: Die Schöne an der Wand "zeigt Drews Interpretation von Wilhelmines Tochter Sophie", sagt Jessica Matijevic. "Casanova hatte sie als die schönste Prinzessin bezeichnet." Die Übersetzung in die Neuzeit gelingt mit "einer Freundin von Case, Schauspielerin und Model Veronica Dash". Sie ist "so positioniert, dass sie auf das Opernhaus blickt", sagt Stefan Mayer.

Stohead, Richard-Wagner-Straße 21: "Für eine Bibliothek die geniale Lösung. Eines der Werke, die inhaltlich und formal am besten passen", sagt Mayer. Stohead hat für sein Mural eine Tirade Wilhelmines gegen den Markgrafen zu Ansbach gewählt. Hinstellen, genau hinschauen. Die Schüler haben es geschafft, die Schrift zu entziffern.

Matthias Mross, Richard-Wagner-Straße 42: Die Hähne heißt das Werk von Mross. Und es schlägt, sagt Matijevic, die Brücke "zu Wilhelmines Bediensteter Alzire, so benannt nach einem Bühnenstück Voltaires, das Wilhelmine geliebt hat". In dem Stück geht es um zwei Kontrahenten, die um die Inka-Tochter Alzire buhlen.

Case Maclaim, Badstraße 33: Die Schöne an der Wand ist die Galeristin selbst. Eine eher spontane Entscheidung von Case, sagt Matijevic. "Fünf Stunden, bevor das Mural entstanden ist, mussten wir nach einer neuen Wand suchen, am Liebesbier, wo das Bild geplant war, ging es nicht. Familie Groh-Walther hat sich sehr kurzfristig bereit erlärt, ihre Wand zur Verfügung zu stellen." Was Case charmant fand: "Ich habe am gleichen Tag Geburtstag wie Wilhelmine. Und versuche als junges Stadtkind eine neue Kunstform nach Bayreuth zu bringen." Eine weitere Parallele: Wilhelmine brachte den Freimaurer-Mopsorden von Frankfurt nach Bayreuth. "Und Case stammt aus Frankfurt."

Nychos, Badstraße 27: "Das Masterpiece", sagt Stefan Mayer. Ein irres Bild, das Wilhelmine und ihren Hund Folichon in der Mitte auseinandergeschnitten zeigt. "Ein Markenzeichen von Nychos, das Aufschneiden von Tieren und Menschen." Der Künstler, "ein Kind der 80er", wie Maijevic sagt, stammt aus einer Jäger-Familie, ist mit dem Thema früh konfrontiert. Anatomie begeistert ihn wie einst Michaelangelo oder Leonardo da Vinci. Die Show des Heavy-Metal-Fans beim Arbeiten sei verrückt gewesen. "Von links nach rechts und von oben nach unten ist er gesprungen." Eine Arbeit, komplett "frei Hand mit der Dose", sagt Matijevic. Die Details beeindrucken, fesseln. "Wie zum Beispiel das Skalpell neckisch über Folichon blitzt..." Viele Blogger, sagt Matijevic, hätten schon den Weg zu den Murals in Bayreuth gesucht, "und sich cool davor in Szene gesetzt".

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