Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte der Zeitung „Welt am Sonntag“: „Eine Finanzierung der Sexualassistenz ist für mich vorstellbar.“ Kommunen könnten dann über entsprechende Angebote vor Ort beraten.
Pflegebedürftige und schwer kranke Menschen sollen künftig Sex mit Prostituierten bezahlt bekommen können. Das fordert die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Scharfenberg (Grüne) aus Rehau im Landkreis Hof. An dem Vorschlag entzündete sich Kritik.
Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte der Zeitung „Welt am Sonntag“: „Eine Finanzierung der Sexualassistenz ist für mich vorstellbar.“ Kommunen könnten dann über entsprechende Angebote vor Ort beraten.
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Die Voraussetzungen für den Sex auf Rezept sollen jedoch streng sein. Per ärztlichem Attest müssten Pflegebedürftige und Schwerkranke nachweisen, dass sie sich nicht auf andere Weise befriedigen und die Dienstleistung nicht selbst bezahlen können.
Vorbild für das Konzept ist die Niederlande: Dort gibt es bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit, sich als Pflegebedürftiger die Dienste sogenannter Sexualassistentinnen – zertifizierter Prostituierter – bezahlen zu lassen. Laut Scharfenberg ein Thema, das man auch in Deutschland diskutieren sollte. Natürlich bekomme auch in Holland nicht jeder Sex auf Krankenschein. Die Voraussetzungen hierfür sind sehr streng.
„Diese Leistung wird von Betreuern eingefordert, die ihre Arbeit ernst nehmen“, erklärt Scharfenberg. Denn: „Nur weil Menschen ins Pflegeheim gehen, ist doch das Thema Sex nicht abgeschlossen.“ Aus Gesprächen mit vielen Heimleitern und Pflegekräften wisse sie um die Notwendigkeiten.
In Deutschland wirbt die Beratungsstelle Pro Familia seit Jahren dafür, zu klären, ob sich Ansprüche einzelner auf Finanzierung der Sexualassistenz durch die Krankenkassen, die Sozialhilfe- oder andere staatliche Leistungsträger ableiten lassen. Nach Einschätzung von Experten wünschen sich viele Männer und Frauen mit Behinderungen sexuelle Dienstleistungen.
Scharfenbergs Äußerungen stoßen auf viel Kritik. „Der Shitstorm kommt aus Richtung derer, die die Versklavung von Prostituierten anprangern“, sagte sie. Ihr Vorschlag habe nichts mit Zwangsprostitution zu tun. Es gehe um Frauen und Männer, „die freiwillig diese Sexualassistenz anbieten“. Selbstverständlich gebe es auch Männer, die als Sexualassistent arbeiten und „Frauen, die dies abrufen“.
„In jedem Knast ist es Usus, dass Sexualität gelebt wird“, betont Scharfenberg. „Sagt man aber, ‚auch ältere Leute wollen Sex‘, dann komme das einem Tabubruch gleich.“ „Und was ist mit den vielen jungen, behinderten Menschen in den Heimen? Sollen die auf Sexualität verzichten?“ Viele Pflegekräfte, sagt Scharfenberg, wüssten aus der täglichen Arbeit um die Problematik der Sexualität in Heimen. „So kommt es bei dementen Menschen häufig zu einem gesteigerten Sexualtrieb.“ Gerade weibliche Pflegekräfte würden damit häufig konfrontiert.
Dass das Thema in den Medien hohe Wellen schlägt, spricht laut Scharfenberg „für die Verlogenheit der Debatte“. Natürlich sei das Thema nicht die pflegepolitische Nummer eins. Im Bereich der Pflege liege viel im Argen: „So gibt es immer noch viel zu wenige gut ausgebildete Pflegekräfte“, sagt Scharfenberg weiter. Dennoch möchte sie das heikle Thema aus der Tabuzone holen. „Ich finde, es ist wert, diskutiert zu werden. Denn Sexualität gehört zum Gesamtbild der Menschenwürde dazu.“
„Sexualität hört nicht im Alter auf, sondern wird nur nicht im Heim befriedigt“, sagt Helmut Walraffen von der Sozialholding in Mönchengladbach. „Für uns als Heimträger ist das Thema ein ganz, ganz Wichtiges.“ Er steht Scharfenbergs Vorschlag aufgeschlossen gegenüber. Die „Bild“-Zeitung zitiert die Sexualberaterin für Pflegeheime, Vanessa del Rae: Prostituierte seien ein „Segen“ für Heimbewohner und Pflegepersonal. Walraffen, der auch Kurator im Kuratorium Deutsche Altershilfe ist, stimmt dem zu. Es sei an der Zeit, dieses Thema endlich zu enttabuisieren.
Kerstin Dolde