Seit 80 Jahren sind die Wilds im Geschäft Von Kerwa zu Kerwa: Das Leben der Schaustellerfamilie Wild

Von Maria Timtschenko
Die Schaustellerfamilie Wild sorgt in Betzenstein für gute Unterhaltung . Foto: Kerstin Goetzke Foto: red

Die Kerwa in Betzenstein ist in vollem Gange und mittendrin ein Urgestein der Schaustellerriege – die Familie Wild. Seit über 80 Jahren verdrehen sie Kinderwelten auf ihren Karussells.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Ja, manchmal hat Jürgen Wild Momente, da fragt er sich: Was wäre, wenn er einen leichteren Job hätte, geregelte Urlaubstage und ein festes Gehalt? „Das würde schon einiges erleichtern“, sagt der 54-Jährige. Aber, wenn er heute in ein Büro kommt, dann muss er erst einmal die Fenster weit öffnen. Sonst fühle er sich eingesperrt, beengt. Er braucht die Freiheit.

Älteste Schaustellerfamile im Nürnberger Land

Jürgen Wild gehört zur ältesten Schaustellerfamilie im Nürnberger Land. Seit etwa 80 Jahren betreiben die Wilds Karussells, Losbuden, Schießstände und süße Hütten. Väterlicherseits waren die Wilds Komödianten, kamen aus dem Schauspielbereich und trieben sich deswegen auf Marktplätzen und Festen herum. Mütterlicherseits waren seine Vorfahren einst Metzger in Fürth.

Doch vor einigen Jahrzehnten konnte ein Schausteller beim Metzger seine Schulden nicht bezahlen und musste mit seiner Riesenschaukel dafür bürgen. Der Metzger hingegen bekam das Karussell nicht mehr los und musste fortan als Schausteller durch die Lande ziehen.

„Wenn ein Schausteller etwas kaufen will, dann ist es nichts wert, aber wenn er etwas verkaufen will, dann ist es Gold wert“, sagt Jürgen Wild. So begann eine nun fast ein Jahrhundert andauernde Familientradition.

Auch eine Schießbude aufgebaut

Von April bis Oktober ziehen die Wilds von Kerwa zu Kerwa und von Volksfest zu Volksfest. Danach beginnt die Zeit der Weihnachtsmärkte. Dieses Wochenende sind sie auf der Kirchweih in Betzenstein. Dort hat seine Schwester auch einen Schießstand aufgebaut und Wilds 87-jähriger Vater verkauft Lose an der Bude. Von Freitag bis Montag, danach wird wieder abgebaut und weitergezogen. Am Wochenende danach haben die Wilds frei. Doch an Urlaub ist nicht zu denken. Bei der Frage schaut Jürgen Wild verwundert seine Frau Elvira an. Urlaub haben die beiden noch nie gemacht, obwohl sie schon über 35 Jahre zusammen sind. Kein Geld, keine Zeit.

Normalerweise wohnen die Wilds während der Sommermonate in einem Wohnwagen. Voll ausgestattet mit Küche, Bad, Schlafzimmer. Doch im vergangenen Jahr gab es einen Kurzschluss um die Weihnachtszeit. Der Wohnwagen brannte vollständig aus. 60 000 Euro Schaden. Unversichert. Deswegen wohnen die Wilds in dieser Saison in ihrer Wohnung in Hersbruck. Viele aus ihrer Stadt haben damals für die Familie gesammelt. 2500 Euro kamen zusammen. Bis heute hat Jürgen Wild das Geld nicht angerührt. Es liegt zu Hause in einer Kiste.

Anstrengend durch die Bürokratie

Das Leben als Schausteller ist vor allem durch die Bürokratie anstrengender geworden. Gema-Gebühren für die Lieder, die während der Karrussellfahrten gespielt werden oder Hygiene- und Sicherheitsvorschriften erschweren den Job des Oberfranken.

Vor elf Jahren fiel er beim Aufbau seines Fahrgeschäfts hinunter und brach sich Knochen in Armen und Beinen. Seit dem bezieht er Berufsunfähigkeitsrente: „In solchen Momenten denkt man natürlich, dass du in einem anderen Job einfach krankmachen könntest. Für mich bedeutet so etwas gleich die Bedrohung der Existenz.“

Seine Freude am doch abwechslungsreichen Beruf findet Wild dann spätestens wieder, wenn er in Engelthal auf der Kirchweih ist. Dort wird immer eine Gruppe Kindergartenkinder zum Karussellfahren eingeladen. „Die bedanken sich immer ganz süß bei meiner Frau. Einmal haben sie sogar ein kleines Karussell aus Holz gebaut“, erzählt Wild selig.

Eine Runde Karussell für 1,50 Euro

Vom Schaustellerdasein zu leben, fällt ihm derzeit schwer. „Meine Mutter hat immer gesagt, wir sollen zusätzlich einen ordentlichen Beruf lernen. Deswegen bin ich Bürokaufmann, mein Sohn ist Drucker und meine Tochter Einzelhandelsverkäuferin“, erzählt Wild. Die Familie macht immer noch die billigsten Preise auf dem Platz. Eine Runde Karussell fahren, kostet nur 1,50 Euro. Aber von 22 Kindern, die darauf Platz hätten, kommen vielleicht drei Viertel.

„Früher gingen ganze Familien gemeinsam auf die Kerwa und die Kinder bekamen Geld zum Fahren. Heute brechen die Familien auseinander. Außerdem haben die Kinder das ganze Jahr tolle Spielsachen und freuen sich nicht mehr so auf die Attraktionen“, meint Wild die Ursache gefunden zu haben.

Aufhören wird er mit seinem Job trotzdem nicht. „Vielleicht mit 100 Jahren“, sagt er und freut sich. Sein Sohn will auch ins Schaustellergeschäft einsteigen. „Ich hab ihm gesagt, er soll lang genug etwas Normales machen, und wenn wir dann gar nicht mehr können, dann darf er gern übernehmen.“