Doch dann rettete die "Ocean Viking" am 18. Oktober 104 Menschen vor der libyschen Küste - und wartete und wartete und wartete. Erst nach zwölf Tagen wiesen die italienischen Behörden dem Schiff am Dienstag einen sicheren Hafen zu. Ähnlich erging es der deutschen "Alan Kurdi", die am 26. Oktober Dutzende Migranten gerettet hatte. Erst gut eine Woche später durfte das Schiff in Italien anlegen. Am Sonnag gingen die Menschen schließlich in Tarent in Süditalien an Land.
Entsprechend groß ist die Kritik an Seehofers vermeintlichem Erfolg von Malta: "Offensichtlich gibt es da gar kein Abkommen, das sind alles Lippenbekenntnisse", sagt Gorden Isler, Sprecher der Hilfsorganisation Sea Eye. Und der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt sagt: "Das scheint mehr eine Pressekonferenz als eine Lösung gewesen zu sein." Auch er habe die Einigung im September zunächst begrüßt. Letztlich habe Seehofer den Mund aber zu voll genommen.
Dabei lief es nach der Malta-Einigung zunächst gut. Zwei Mal durfte die "Ocean Viking" recht zügig einen italienischen Hafen ansteuern. Aber warum greift die Vereinbarung schon wenige Wochen später nicht mehr? Warum mussten die "Ocean Viking" und die "Alan Kurdi" so lange warten, ehe sie in einen Hafen einlaufen durften?
Im Fall der "Ocean Viking" habe Italien sich an einem langen Aufenthalt des Schiffs in libyschen Gewässern gestört, hieß es Anfang der Woche aus Teilnehmerkreisen des G6-Innenministertreffens in München. Dies böte einen Anreiz für Schlepper, Boote mit Migranten aus Libyen loszuschicken. Seine italienische Amtskollegin Luciana Lamorgese habe erklärt, sie beobachte die Lage vor Libyen sehr genau, sagte Seehofer. "In dem Moment, wo das nicht mehr Seenotrettung ist, sondern ein Taxidienst, wird hier ein Punkt gesetzt. Aber der ist im Moment nicht erreicht."
Zudem soll die Wahl im italienischen Umbrien eine Rolle gespielt haben. Die regierenden Parteien der linken Mitte wollten womöglich keine Wahlkampfhilfe für die rechte Lega liefern und ausgerechnet kurz vor der Wahl die Einfahrt in einen Hafen erlauben. Falls dies das Kalkül war, ging es nicht auf: Die Kandidatin der Lega gewann am Sonntag die absolute Mehrheit der Stimmen. Ob die Malta-Einigung wirklich greift, muss sich also noch erweisen.
Seehofer und andere europäische Innenminister treibt die Sorge um, sie könnten die unregulierten Flüchtlingsbewegungen nach Europa durch eigenes Zutun verstärken. Sie verweisen auf kriminelle Schlepper und Schleuser, die ihre Kunden ausnehmen und in Lebensgefahr bringen. Die Seenotretter stehen bei manchen Ministern unter Verdacht, mit libyschen Schleusern zusammenzuarbeiten.
Deshalb hat Seehofer sich unlängst auch für einen Verhaltenskodex für Seenotretter ausgesprochen. Details nannte er nicht - trotzdem stößt er schon auf Widerstand: "Wir sehen bei uns kein Fehlverhalten", sagt Isler von Sea Eye. Die Seenotretter hielten sich ohne Abstriche an internationale Gesetze - und machten da auch keine Zugeständnisse. Eine Absprache etwa, wonach die Rettungsschiffe nur eine gewisse Zeit vor der libyschen Küste verweilen, sei unvorstellbar.