Nahezu intime Atmosphäre
Und das geht so: Hannes und Lara singen abwechselnd hinter der Scheibe. Davor in der Fußgängerzone stehen zwei Hocker. Über Kopfhörer sind die Zuhörer mit den Musikern in Verbindung. Alle anderen hören von der Musik nichts, wodurch eine nahezu intime Atmosphäre zwischen Solist und Zuhörer entsteht. Durch das Eintauchen in die Musik kann der „Konzertgast“ alles um sich herum ausblenden. Erstaunlich: Es gelingt tatsächlich, für einige Minuten zu vergessen, dass man mitten unter freiem Himmel in der Stadt sitzt.
Kultur in der Innenstadt
Andreas Türk stimmte das Ganze vor ab mit den Behörden ab, wie er erzählt. Er durfte nicht für das Konzert werben, damit keine Menschenansammlung entsteht. Auch auf einen To-Go-Getränke-Ausschank muss verzichtet werden. Die Stühle und Kopfhörer sind nach jedem Gebrauch zu desinfizieren. Trotzdem entsteht etwas Besonderes. „Wir wollten das Feeling zurückholen, denn wir haben alle seit einem halben Jahr keine Live-Musik mehr gehört“, sagt er zufrieden. Wenn nicht gerade Corona ist, wird sonst einmal im Monat ein Konzert im Bottles gegeben. Türk fehlt es, nicht mehr Gastgeber sein zu dürfen. Mit dem Schaufensterkonzert wolle er auch zeigen, dass Kultur in der Innenstadt Raum finden kann.
Ein völlig anderes Gefühl
Auch für Hannes Wölfel ist das Schaufensterkonzert ein ungewöhnliches Musikerlebnis. „Ich wollte hier sowieso mal spielen“, sagt der normalerweise als Solist und mit Band unterwegs ist. „An Ostern habe ich mein erstes Online-Konzert gegeben.“ Als Musiker vermisse er die Live-Atmosphäre und das Kribbeln im Bauch vor einem Auftritt. „Hinter einer Glasscheibe ist das auch wieder ein völlig anderes Gefühl, aber man sieht sein Publikum wenigstens.“
Im vergangenen Jahr habe er im Sommer „wunderschöne Konzerte“ spielen können, sagt Hannes Wölfel („Play again Sam“). Die meisten Musiker hätten gehofft, dass es nach Ostern wieder losgehe. „Leider ist es ein bisschen wie ein Lotteriespiel. Jetzt sinken die Zahlen wieder, also steigt die Hoffnung.“ Auch die Veranstalter könnten nicht richtig planen, sagt der Berufsmusiker und Gitarrenlehrer. Für das Schaufensterkonzert bereitete Hannes Wölfel eine Playlist mit 30 Songs vor. Von Ed Sheeran, den Beatles über Leonard Cohen oder Reamon, durften sich die Zuhörer etwas wünschen.
Der Kunst wieder Raum geben
Lara Neumann ist semiprofessionelle Musikerin und hat eine Gesangsstimme, die unter die Haut geht. „Mir macht das Spaß, wieder Musik zu machen und der Kunst wieder Raum zu geben“, sagt die Singer-Songwriterin.„Ich schreibe meine eigenen Songs und mache das ziemlich leidenschaftlich und zielstrebig.“ Als Atem- und Stimmlehrerin hat sie auch eine Gesangsausbildung gemacht. „Mich strengt das hier nicht an und es ist schön, wenn sich die Leute freuen.“
Über den Kopfhörer ist sie mit den Zuhörern „in einer eigenen Klangwelt“ unterwegs. Sie spricht mit ihnen, doch sie können nicht antworten. Nur Zeichen geben oder eben applaudieren. Die spontanen Zuhörer freuen sich über die tolle Akustik und ein besonderes musikalisches Erlebnis. „Überirdisch“, „megaschön“, „total gut“, lauten ihre Kommentare. Und viele wären am liebsten viel länger sitzen geblieben, als nur ein, zwei Song lang.