Der Blick von Klaus Wunderlich schweift über ein eingezäuntes Stück Land voller Baumstümpfe. Sein Land. Kahlschlag zwischen Wald und Äckern. Was ist hier geschehen? Bei einem Menschen würde man von einer Amputation sprechen. Bei einem Nutztier von Notschlachtung. Ein Tier war es auch, das für diesen Kahlschlag verantwortlich ist. Ein winzig kleines Tier: der Borkenkäfer.

Wenn es im März und April schon sonnig, warm und trocken ist, füllen sich in den Städten die Cafés und Fußgängerzonen. Doch während sich die Menschen in der Stadt über die Wärme freuen, bahnt sich in den Wäldern im Verborgenen ein Drama an, beginnt ein Kampf auf Leben und Tod. Denn das Wetter, das die Menschen erfreut, bietet auch ideale Voraussetzungen für den Borkenkäfer. Wird es warm, beginnt er zu schwärmen. Und sucht sich neue Bäume, die er befallen kann. Der Borkenkäfer bohrt ein kleines Loch in die Rinde. Und bohrt sich weiter unter der Rinde am Stamm entlang. Der Baum reagiert wie ein Mensch, wenn er verletzt wird. Er blutet. Mit Harz versucht er, die Wunde zu schließen und den Eindringling zu vernichten. Denn wenn der Borkenkäfer erst genug Gänge unter der Rinde gebohrt hat, ist der Wasserhaushalt des Baumes unterbrochen, er ist zum Tode verurteilt.

Doch der Baum kann sich nur wehren, wenn er genug Feuchtigkeit hat. Der wenige Schnee im Winter und der Regenmangel der vergangenen Wochen und Monate haben die Bäume geschwächt. Sind sie zu trocken, können sie kein Harz produzieren und sind dem Käfer hilflos ausgeliefert.

Kommt die Wärme und Trockenheit so früh wie dieses Jahr, steigt die Gefahr durch den Borkenkäfer. Unter idealen Bedingungen braucht er für eine Generation nur sechs Wochen. So lange dauert es, bis die Eier, die in den Gängen unter der Rinde abgelegt sind, zu Larven und schließlich wieder zu Käfern werden. Ist es kalt und feucht, dauert es doppelt so lange. Egal, ob sechs Wochen oder drei Monate: Ist der Käfer ausgewachsen, schwärmt er aus und sucht sich neue Bäume. Der Borkenkäfer kommuniziert dabei über Duftstoffe, sogenannte Pheromone. Ist ein Käfer in einem Baum erfolgreich, zieht das weitere Käfer an. Trotz dieser Rudelbildung wächst die Verbreitung des Borkenkäfers exponentiell. Das heißt, erst wird ein Baum befallen. Die nächste Generation befällt mehrere umstehende Bäume. Und so weiter. In wenigen Monaten kann ein ganzes Waldstück befallen sein. In einem normalen Jahr schafft der Borkenkäfer zwei Generationen. Dieses Jahr, mit der frühen Wärme und Trockenheit, könnten es drei Generationen werden, befürchtet Dirk Wahl. Der Revierleiter des Forstreviers Goldkronach berät die Besitzer von Privat- und Stadtwäldern.

„Das ist nicht normal, dass jetzt schon der Raps blüht“, sagt Klaus Wunderlich, als er mit Wahl zwischen Gothendorf und Wasserknoden unterwegs ist, wo sich Waldstücke mit gelb blühenden Äckern abwechseln. Klaus Wunderlich weiß um die Gefahr durch den Borkenkäfer, eigentlich. Der Gothendorfer ist Vollerwerbslandwirt, hat Milchkühe. Und 30 Hektar Wald. Etwa alle 14 Tage macht er sich im Sommerhalbjahr zu Fuß auf den Weg durch seinen Wald. Immer auf der Suche nach den untrüglichen Zeichen für den Borkenkäfer: braunes Bohrmehl am Fuß des Baumes. Oder Rindenplatten am Boden, die die Fraßspuren des Käfers an der Innenseite zeigen. „Man muss laufen, wenn es windstill ist und eine Weile nicht geregnet hat. Sonst sieht man das Bohrmehl nicht. Und ab 50 muss man schon fast eine Brille mitnehmen“, sagt der bullige Mann mit dem Lockenkopf und schmunzelt. Klaus Wunderlich geht durch seinen Wald, auch wenn eigentlich die Landwirtschaft Vorrang hätte. Wenn er läuft, schaut er gezielt an Waldrändern. Oder er schaut nach oben. Bäume mit gelben Kronen nimmt er immer besonders in Augenschein. Er schaut besonders an Süd- und Südwesthängen. Wo die Sonne hinscheint, steigt die Käfergefahr.

Klaus Wunderlich macht eigentlich alles richtig. Und doch war ihm der Käferbefall in jenem nun kahlen Stück Wald entgangen. Bis zum August vergangenen Jahres. Da war es schon zu spät. An die 100 Bäume waren befallen, mussten in kürzester Zeit mit dem Harvester gefällt werden. Dabei hatte Wunderlich Glück im Unglück. Die Bäume waren fast ausgewachsen, und auch Käferholz kann man mit Abschlägen noch verkaufen, da die Käfer nicht den Stamm selbst zerstören. Sein Schaden beschränkte sich so auf rund 1500 Euro, schätzt er. „Das Problem sind Waldbesitzer, die nicht vor Ort sind, die vielleicht Wald geerbt und wenig Interesse daran haben, oder auch solche, die alles im Wald selber machen wollen und nicht hinterherkommen“, beschreibt Förster Wahl das Problem.

Der Borkenkäfer kennt keine Grundstücksgrenzen. Ein sorgloser Waldbesitzer schafft auch seinem Nachbarn Probleme. Denn wenn die Bäume den Kampf im Verborgenen schon verloren haben, dann beginnt das Drama für den Waldbesitzer erst. Deswegen will Klaus Wunderlich diesen Sommer lieber einmal zu viel als einmal zu wenig durch seinen Wald laufen.