Satirischer Blick auf die DDR

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Die Szene könnte sich in jeder Stadt abspielen: Ein Junge rast mit seinem Roller durch die Straßen seines Wohngebietes. Passanten bleiben stehen, manche schauen verdutzt, andere verärgert, wieder andere lächeln. Nicht die rasante Fahrt des Jungen erregt die Aufmerksamkeit, sondern dessen lautes Rufen: Heil Hitler, Heil Hitler schreit der Rollerfahrer ein ums andere Mal.

 
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Frank Michael Wagner, Pressesprecher der Stadt Rudolstadt, hat eine bitterböse Satire über die DDR verfasst. ⋌Foto: Andreas Harbach Foto: red

Erst ein alter Mann bringt ihn zum Schweigen. Er stoppt den Jungen, nicht mit Worten, sondern mit Schlägen. Als die Mutter des stark ramponierten Jungen an die Tür des Alten trommelt, um ihn zur Rede zu stellen, öffnet dieser nicht. Später im Buch wird klar: Der Parteiveteran erlitt nach dem Vorfall einen Schlaganfall, an dem er stirbt. Der Junge verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Er besuche jetzt eine Sonderschule in einer anderen Stadt, erklärt später der Volkspolizist.

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Bitterböse Satire

Betroffenheit über die Schilderung dieses Geschehen in einer "Miefbude" auf dem "Gebiet der DDR" kommt bei den leider nur wenigen Zuhörern nicht auf. Sie kennen den Autor Frank Michael Wagner persönlich, wissen schon lange von seinen Plänen für dieses, sein neuestes Buch, das er am Donnerstagabend in der Black Box der Stadtbibliothek vorstellt. Und sie können sich sicher sein, dass es sich bei "Das unreife Wanken des Schlüpferdiebes in der Wolfsschanze" nicht um einen trockenen Historienroman über die Siebziger Jahre im realsozialistischen Bruderstaat namens DDR handelt, sondern um eine bitterböse Satire. Der Pressesprecher der Bayreuther Partnerstadt Rudolstadt, vor 59 Jahren in der DDR geboren und dort aufgewachsen, schildert mit ironischem Unterton das Leben in einer miefigen Kleinstadt in den Siebziger Jahren, wo das "Dünnschisskombinat" das Einkommen der moralinsauren spießigen Kleinbürger sichert, wo die nach Zwiebeln stinkenden Abgase des Chemiebetriebes für juckende Hautausschläge sorgen.

Im Mittelpunkt stehen jedoch vier Jugendliche, die drei Wochen in einem Ferienlager im tschechischen Bruderstaat verbringen. Kaum angekommen, schlüpfen die präpubertären Knaben in die Rollen von Hitler, Himmler, Goebbels und Rommel und spielen den Zweiten Weltkrieg nach. Und begehen damit wahrscheinlich den schlimmsten aller Fehler, die sie in diesem antifaschistischsten aller antifaschistischen Staaten begehen können.

Ist Krieg spielen lustig?

Ob Krieg spielen lustig ist? Eigentlich nicht, aber in Wagners Roman darf man, nein muss man schmunzeln. Nicht über das Geschehen an sich, sondern über die teils versteckten Informationen und Anspielungen, die der Autor geschickt auf den 300 Seiten verteilt. Allerdings dürften seine Schilderungen des Lebens in einem sozialistischen Ferienlager eher den Leser mit DDR-Biografie zum Lachen animieren als den Wessi-Leser, dem viele dieser Details unbekannt sein dürften.

Sei es drum: Nach der Lektüre hat sich das Wissen über die DDR des in der Alt-BRD aufgewachsenen Lesers gehörig erweitert. Allein dieser Wissenszuwachs ist die Lektüre wert.

Info: Frank Michael Wagners Buch "Das unreife Wanken des Schlüpferdiebs in der Wolfsschanze" ist im Verlag Größenwahn erschienen.