„Wir müssen alles hinterfragen“, sagt Erl. Er ist Berufsjäger und beim Staatsforst angestellt und erhebt mit der Art, wie er im Revier rund um den Ochsenkopf mit dem Rotwild umgeht, keinen Absolutheitsanspruch. Es ist eher das Ringen um einen Mittelweg. Es geht einerseits darum, die Bäume für Forst und Waldbauern zu schonen, andererseits wollen private Jäger möglichst viele Tiere, um „Strecke zu machen“. Zuerst geht es aber darum, das Rotwild überhaupt zu erhalten.
Die Schäden, die das Wild anrichten, können teuer werden. Wenn Erl die Tiere nicht füttert, gehen sie an die Bäume. Das mächtige Rotwild knabbert an den saftigen Stämmen die Rinde ab und kaut sie wie Kaugummi. „Schälen“ nennt das der Fachmann und es hinterlässt tiefe Wunden am Baum. Wächst der weiter, trägt er die Narbe immer mit sich. Im schlimmsten Fall wird der Baum schwach und hält Schnee und Sturm nicht mehr stand. Auf jeden Fall aber mindert es den Wert des Baumes.
Jedes Jahr machen die Forstbetriebe Inventur im Wald. Die zeigt, dass zwischen 0,3 und einem Prozent der Bäume neu von den Tieren angeknabbert werden. Eine eigentlich geringe Zahl, die einige private Jäger gern anzweifeln. Wenig Schäden, weniger Abschuss. Aber den Gewinn der Wald- und Holzbauern gefährdet das nicht.
Um mehr Schäden zu verhindern, füttert der Forstbetrieb. 20 000 Euro zahle der Forstbetrieb Fichtelberg aus Steuergeld fürs Futter der Hirsche, sagt Martin Hertel, der Leiter der Einrichtung. Die Idee dahinter: Man bekommt die Baumschäden nicht ganz weg, sondern beeinflusst sie nur. „Rotwild wird nicht mehr hauptsächlich bejagt, sondern bewirtschaftet“, lautet die Devise. Teil des Rotwild-Konzeptes im Revier ist die natürliche Äsung, also den Tieren das zu füttern, was sie auch sonst fressen würden.
Warum kümmern sich die Jäger überhaupt ums Rotwild, trotz der Schäden? Zumal die bayerische Staatsregierung die Devise „Wald vor Wild“ ausgegeben hat. „Weil wir von jedem Afrikaner erwarten würden, dass er Elefanten schützt. Und bei uns soll das beim Rotwild wegen der Baumschäden nicht gehen?“, sagt Torsten Rademacher, Chef der Hochwild-Hegegemeinschaft Fichtelgebirge: 48 500 Hektar mit 69 Revieren erstrecken sich über die Landkreise Bayreuth, Tirschenreuth, Hof und Wunsiedel. „Es ist halt kein Urwald mehr.“
Tiere füttern, Bäume pflegen, Bestände kontrollieren, verkommt der Wald nicht immer mehr zum Zoo? Alles sei eben nur noch Kulturlandschaft, jeder Baum sei gepflanzt oder stamme von einem gepflanzten ab, um Nutz- oder Feuerholz zu bekommen. „Der Wald an sich wächst ohne uns alle“, sagt Hertel.
Ursprünglich sind die Tiere im Winter aus dem Fichtelgebirge in die Auen gezogen, runter ins Tal, wo sie dann noch ausreichendes Futter fanden. „Nur da hat der Mensch Bayreuth hingebaut.“ Und aus war’s mit dem natürlichen Lebensraum der Wildtiere. Die Bereiche, in denen Rotwild sein darf, sind seit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg eingegrenzt. Diese wenigen Gebiete haben immer noch Geltung. Verlassen die Tiere ihr „Spielzimmer“, dürfen sie – in der Jagdzeit – geschossen werden, da außerhalb der Gebiete, so der Gesetzgeber, kein Rotwild sein darf. „Und jahrelange Arbeit ist dahin“, sagt Alexander Becker, Berufsjäger und Leiter des privaten Jagdzentrums Oberfranken. Besser sei es, die Tiere überall zuzulassen. Denn wenn ein Hirsch außerhalb seines Spielzimmers erlegt wird, fehlt er für die Blutauffrischung – und das kann sich auf den Bestand negativ auswirken. Es kommt, so Becker, zur „genetischen Verinselung“.
Der wirtschaftliche Nutzen von Rotwild ist gering – außer dass es gut schmeckt. „Der Mensch ist ein Teil der Natur, aber er hat tief in sie eingegriffen – und das Rotwild fast ausgerottet.“ Etwa 2400 Stück Rotwild trieben sich in den Wäldern rund um den Ochsenkopf in den 1970er Jahren herum, zwanzig Jahre später waren es nur noch 300 Stück. „Das war der Tiefpunkt“, sagt Rademacher. Und ein Wendepunkt im Umgang mit den Tieren. Die Hege trat in den Vordergrund. Heute schätzt Rademacher die Zahl des Rotwildes im Fichtelgebirge auf 500 Stück.