Psychologe erklärt Was authentisch sein heißt – und wie es geht

Lotta Wellnitz
Viele Menschen glauben, einschätzen zu können, wann ihr Gegenüber authentisch ist – und liegen dabei oft falsch. Foto: imago/Zoonar//Zoonar.com/Ziga Plahutar

Wer anderen den Eindruck vermittelt, er selbst zu sein, gilt als echt und authentisch. Aber was heißt das überhaupt? Wann sind wir authentisch? Studien zeigen, gerade wer glaubt, besonders authentisch zu sein, wirkt auf andere gar nicht so. Ein Psychologie-Professor klärt auf.

 
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Egal, ob neue Ausbildung, Studium oder Job – fängt man irgendwo an, wo einen keiner kennt, haben Freunde oft einen Rat: „Sei authentisch, dann wird das schon.“ Das ist sicher gut gemeint, aber nicht ganz einfach. Wann sind wir authentisch? Zu Hause auf dem Sofa oder unterwegs mit Freunden? Und: Was ist mit der Arbeit? Sind wir dort etwa nicht authentisch, weil wir uns anders verhalten als zu Hause?

Der Begriff „authentisch“ kommt aus dem Griechischen und wird mit „echt“ übersetzt. Authentisch sein bedeutet laut „Dorsch – Lexikon der Psychologie“, sich gemäß seinem „wahren Selbst“ zu verhalten. Heißt: sich etwa seinen Gedanken, Gefühlen, Bedürfnissen oder Werten entsprechend auszudrücken und nach ihnen zu handeln.

Personen, die wir als authentisch wahrnehmen, sagen, was sie denken, und tun, was sie für richtig halten. Sie sind im Reinen mit ihren Gedanken und Gefühlen, stehen für sich, ihre Werte sowie Stärken und Schwächen ein.

Einfach in der Theorie, kompliziert in der Praxis

Wer authentisch sein will, muss einfach er selbst sein. Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis kompliziert. Oliver Schultheiss, Professor für Allgemeine Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, spricht in Bezug auf Authentizität von einem komplexen, schillernden Konstrukt, das man nicht in einem Begriff zusammenfassen kann.

Um authentisch zu sein, muss man sein „wahres Selbst“ kennen. Das sei aber keine fixe, stabile Struktur, sagt er. „Unsere Persönlichkeit ist kontextabhängig. Denn mit jedem Menschen, auf den wir uns tiefer einlassen, entwickeln wir eine eigene Selbstpräsentation.“

So sei man etwa auf der Arbeit ein anderer als zu Hause mit dem Partner, könne aber in beiden Situationen authentisch sein. Das liege daran, dass unterschiedliche soziale Rollen unterschiedliche Aspekte des Selbsts erfordern und andere Teile der Persönlichkeit zum Vorschein bringen, sagt der Psychologe: „Man kann authentisch sein, obwohl man sich unterschiedlich verhält, je nach Menschen, Umfeld, Situation.“

Man darf auch mal inauthentischer sein

Auch sollte man nicht immer authentisch sein. „Manchmal ist es angebracht, ein Stück weit inauthentischer zu sein“, sagt Schultheiss. So gebe es Momente, in denen man nicht sagt, was man denkt – etwa, weil man eine Person nicht verletzen will. Oder Situationen, in denen man wisse, dass es starke negative Konsequenzen haben könnte, wenn man komplett authentisch sei. Denn wer würde seinem Chef lautstark die Meinung geigen, wenn das Risiko besteht, gefeuert zu werden?

Auch präsentiere man sich in Bewerbungsgesprächen ja oft so, wie man glaube, dass andere einen sehen wollen, sagt er. Das sei in diesem Fall aber okay, denn man wolle sich ja von seiner besten Seite zeigen.

„In zentralen Lebensbereichen wie etwa der Partnerschaft sollte man aber die Person sein können, die man ist – innerhalb eines gewissen Rahmens natürlich“, so der Psychologe.

Denn wenn man sich immer verstelle, nie der sein könne, der man ist, könne einen das einholen – im schlimmsten Fall entwickele man Depressionen oder Angststörungen. „Ein glücklicher Mensch, der zufrieden mit sich ist und sagt: Ich erfahre Glück und Bedeutung im Alltagsleben, und gleichzeitig inauthentisch ist, ist eher schwer vorstellbar“, sagt er.

Allerdings habe Unglück viele Ursachen, sagt Schultheiss. Und: Man kann auch authentisch und unglücklich sein. Etwa, weil man bei anderen anecken könne, wenn man immer sage, was man denke.

Authentische Menschen zu erkennen ist schwer

Kann man authentische Menschen überhaupt erkennen? Nicht unbedingt, Authentizität ist subjektiv. Auch äußert sich authentisches Verhalten je nach Persönlichkeit unterschiedlich. Wer also meint, dass eine andere Person authentisch ist, muss erst deren wahres Selbst kennen.

Eine Untersuchung der Managementexpertinnen Erica Bailey und Aharon Levy von der Columbia University hat 2021 sogar gezeigt, dass Menschen kaum korrekt bewerten können, ob eine Person authentisch auftritt oder entgegen ihrem Wesenskern handelt, um Erwartungen zu erfüllen.

Fühlten sich die Befragten gerade im Einklang mit ihrem wahren Selbst, beschrieben sich also als authentisch, wurden sie von anderen nur selten so wahrgenommen. Allerdings schätzen sie ihre Mitmenschen als authentisch ein.

Auch legen andere Untersuchungen nahe, dass sich Menschen als authentischer einschätzen, wenn sie sich von ihrer besten Seite präsentieren können oder sich sozial erwünscht verhalten. Nach ihren schlechteren Taten sagen sie, sie wären nicht sie selbst gewesen – obwohl beides mit ihrer Persönlichkeit und ihren Werten in Einklang steht.

Selbstreflexion kann ein Zeichen für Authentizität sein

Auch Schultheiss tut sich schwer festzulegen, woran man authentische Menschen erkennt. Er glaubt, vielleicht daran, dass diese deutlich reflektieren und das Ergebnis offen kommunizieren. Denn dann könne man ihnen zutrauen, bei sich selbst hinzuschauen – nicht nur bei angenehmen Dingen, sondern auch denen, die wehtun. Stichwort: eigene Schwächen.

Zudem glaubt er, Menschen, die inauthentisch sind, sind die, bei denen alles zu einfach ist. „Denn jede neue soziale Situation fordert mich heraus. Wenn ich da bei mir selbst bleiben und ehrlich sein möchte, bin ich immer wieder aufs Neue gefordert, reflektiere darüber und erkenne das auch.“ Jemand, der immer souverän erscheint, egal wie neu etwas ist, wirkt doch weniger authentisch als jemand, der dann unsicher ist und das auch anspricht.

Ehrlichkeit kann helfen, authentischer zu werden

Und wie wird man jetzt authentischer? Schultheiss rät, zum einen sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Zum anderen den Menschen gegenüber, die bereit sind, diese Ehrlichkeit aufzufangen.

Das könne man auch trainieren, sagt er. Etwa, in dem man immer wieder sagt und zeigt, was man gerade erlebt, wie man sich fühlt. So könne man authentischer in den Beziehungen werden, die wirklich zählen.

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