Psychiater für Kinder dringend gesucht

Von Peter Rauscher

Im Osten Oberfrankens gibt es zu wenige Kinder- und Jugendpsychiater. Wer ärztliche Hilfe braucht, muss unter Umständen mehrere Monate darauf warten. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat die Region nun in ein Förderprogramm aufgenommen, um die „drohende Unterversorgung“ zu beheben. Doch neue Ärzte sind schwer zu finden.

 
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Ganze drei niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater kümmern sich nach den Daten der KV derzeit um die gut 67.000 Kinder und Jugendlichen in den Städten und Landkreisen Bayreuth, Kulmbach, Hof und Wunsiedel. Fünf sollten es sein, um nach den amtlichen Vorgaben eine ausreichende Versorgung sicherzustellen.

Hoffen auf neue Bedarfszahlen

Und auch das seien womöglich zu wenige, sagt Birgit Grain, Sprecherin der KV in München. „Der Bedarf an Kinder- und Jugendpsychiatern ist definitiv gestiegen, ebenso wie an Nervenärzten und Psychiatern für Erwachsene.“ Dies zeige auch die hohe Nachfrage nach Facharztterminen bei den Terminservicestellen. Es sei zu hoffen, dass ein für Sommer erwartetes Expertengutachten für den Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen zu realistischeren Bedarfszahlen für verschiedene Facharztgruppen komme und dann diese Zahlen entsprechend erhöht würden.  Um die drohende Unterversorgung abzuwenden, fördert die KV seit kurzem Investitionen in die Anstellung von Kinder- und Jugendpsychiatern sowie in nicht-ärztliche Praxisassistenten in Ost-Oberfranken. Es gibt bis zu 15.000 Euro Zuschuss.

Unterversorgung ist längst da

Dr. med. Peter Nölkel ist einer der drei bei der KV registrierten niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater in Ost-Oberfranken. Seit 28 Jahren hat er seine Praxis in Bayreuth. Dass die Kassenärztliche Vereinigung erst jetzt eine Förderung aufgelegt hat, um eine drohende Unterversorgung zu beheben, findet er seltsam. „Das hätte man schon vor Jahren sehen können“, sagt Nölkel dem Kurier. Als er aber vor drei Jahren eine Förderung beantragt habe, weil er seine Praxis nach dem Rentenalter von 65 Jahren weiterführen wollte, sei ihm die zunächst verweigert worden. Wenn zwei von drei Ärzten in Oberfranken Ost über der Altersgrenze liegen, könne man nicht von drohender Unterversorgung sprechen, die Unterversorgung sei längst Fakt.

Ob das neue KV-Förderprogramm etwas bringen wird, bezweifelt Nölkel. Er suche seit Jahren Nachfolger und finde keine. Grain verweist hingegen auf die nördliche Oberpfalz, wo es dank der Förderung schon gelungen sei, eine Unterversorgung mit Kinder- und Jugendpsychiatern abzubauen.

Fünf Monate Wartezeit

500 junge Patienten versorgt Nölkels Praxis seinen Angaben zufolge jedes Quartal, pro Jahr kämen 250 neue Patienten dazu. Wer einen Termin bei ihm braucht, muss derzeit fünf Monate Wartezeit einkalkulieren. Ausnahme sind dringende Fälle wie Magersucht, Suizidgefahr oder Schulphobie, die zu langen Fehlzeiten führe. Nölkel räumt ein, bei so langen Wartezeiten könnten sich Eltern ausgeliefert und hilflos fühlen. Fünf Monate Wartezeit seien definitiv zu viel, drei Monate fände er in Ordnung. Es habe sich gezeigt, dass die Wartezeiten auch eine Art Filter seien. Manche Fälle seien nicht so dringlich, wie sie im ersten Moment erschienen. Bei viel Nachfrage müssten Prioritäten gesetzt werden.

Der Andrang hat zugenommen

Lange Wartezeiten gibt es auch bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) am Bezirkskrankenhaus in Bayreuth. „Die Nachfrage ist in allen Bereichen groß“, sagt Leitende Oberärztin Stephanie Steinmann, die seit mehr als 20 Jahren an der Klinik tätig ist. „In den Jahren hat der Andrang nach meinem Eindruck zugenommen.“ Das belegen auch die Zahlen: Im Jahr 2010 nahm die KJP 305 Patienten stationär auf, im vergangenen Jahr waren es schon 543.

"Das tut mir als Ärztin weh"

Wenn nicht gerade ein Notfall vorliege, könne die Wartezeit mehrere Wochen bis Monate betragen, sagt Steinmann. „Das tut mir als Ärztin weh, wenn ich nicht gleich helfen kann.“ Wegen des Ärztemangels könnten die niedergelassenen Kollegen zu wenige Patienten abfangen. Viele Kliniken bauten wegen der steigenden Nachfrage die Kinder- und Jugendpsychiatrie aus und suchten Personal. Auch in Bayreuth, wo diese Woche ein neuer Chefarzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie seinen Dienst angetreten hat, sind Stellen frei. Der räumliche Ausbau der Kinder und Jugendpsychiatrie in Bayreuth ist schon beschlossene Sache und soll Ende des Jahres beginnen, und zwar sowohl der Ambulanz als auch der  Tagesklinik als auch des stationären Bereichs.

Es wird genauer hingeschaut

Auf die Frage, warum immer öfter die Hilfe von Kinder- und Jugendpsychiatern nachgefragt wird, verweist Steinmann auf eine Studie des Robert-Koch-Instituts. Demnach haben zumindest in den vergangenen 15 Jahren die psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen nicht zugenommen. Allerdings schauten Eltern, Lehrer, Erzieher und Kinderärzte heute genauer hin. „Wenn früher Kinder einfach als unerzogen abgestempelt wurden, wird heute mehr darauf geachtet, ob dieses Kind nicht vielleicht Hilfe braucht.“ Außerdem sei die Psychiatrie zumindest teilweise entstigmatisiert. Das heißt: Wer dort Hilfe sucht, wird nicht gleich abgestempelt.

Es gibt immer viele Gründe

Für psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen gebe es nie die eine Ursache, immer wirkten viele Faktoren zusammen. Steinmann und Nölkel nennen an erster Stelle zerbrechende, nicht mehr funktionsfähige Familien und steigenden Druck in der Schule. Auch mit neuen Störungsbildern  hat man es zu tun: Cybermobbing, Internetsucht  und psychische Erkrankungen junger Geflüchteter, die traumatisiert sind oder in Deutschland Ausgrenzung erleben müssen. Was Steinmann auffällt: Patienten, die sich selbst verletzen oder bei denen Suizidgefahr besteht, werden immer jünger.

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