Prozess: Ein Dieb will kein Mörder sein

Von Manfred Scherer

Angriff ist die beste Verteidigung – unter diesem Motto stand am Freitag der erste Tag des Indizienprozesses um den gewaltsamen Tod des 88-jährigen Bayreuthers Friedrich Kuhn an Ostern vergangenen Jahres. Zum Auftakt schiebt einer der beiden wegen Mordes angeklagten Männer dem anderen die Schuld am Tod Friedrich Kuhns zu.

 
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Anton S. hat am ersten Tag des Mordprozesses den Mitangeklagten Firat T. schwer belastet. Links sein Verteidiger Uwe Krechel, rechts sein zweiter Verteidiger Oliver Kollmann. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Als Angeklagte stehen vor dem Schwurgericht: Anton S., gerade 36 geworden, aus einem Vorort von Augsburg. Er gibt seinen Beruf als Gebäudesanierer an. Firat T. ist aus demselben Ort, zwei Monate älter und gibt seinen Beruf als Lagerist an.

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Nach der Anklage, die von den Staatsanwälten Jochen Götz und Holger Gebhardt vertreten wird, sollen S. und T. gemeinsam für den Tod von Friedrich Kuhn verantwortlich sein. Die beiden Männer sollen sich am 12. April 2017 unter einem Vorwand Zutritt zum Haus des Rentners in der Innstraße am Roten Hügel verschafft haben, dort Friedrich Kuhn bestohlen und getötet haben.

In der Anklage legt die Staatsanwaltschaft alternative Tatvarianten vor: Entweder sei der Senior getötet worden, um einen Diebstahl zu verdecken oder um einen Diebstahl zu ermöglichen – Verdeckungs- oder Raubmord also. Es droht lebenslange Haft.

Zwei Männer auf Diebestour bei älteren Menschen

Nach der Geschichte, die Anton S. erzählt, waren die zwei Angeklagten Berufsverbrecher und bestritten ihren Lebensunterhalt als Einschleichdiebe, die – immer Handschuhe gegen Fingerabdrücke in der Tasche – vor allem ältere Menschen an der Haustüre überlisten. Beide Männer waren in der Vergangenheit schon im Gefängnis und dort, in der Justizvollzugsanstalt Aichach bei Augsburg, habe man sich im Jahr 2009 kennengelernt.

Im Januar 2017 soll der „finanziell klamme“ Firat T. den erfahrenen Trickdieb Anton S. gefragt haben, ob er ihn mit auf Diebestour nähme. Anton S. sagt, er habe T. angelernt, ihm die Tricks gezeigt, wie man ältere Herrschaften an der Haustüre dazu bringt, jemand Fremden hereinzulassen. Er habe ihm eingeschärft, freundlich zu sein und sofort zu gehen, wenn jemand sagt „Gehen sie“.

Laut S. könne man als Einschleichdieb 5000 bis 10.000 Euro Profit pro Woche machen, wenn man zwei oder drei Mal „erfolgreich“ gewesen sei. Dafür müsse man pro Monat an 80 bis 100 Haustüren klingeln. Schmuck, Gold könne man jederzeit absetzen, auch bei namhaften Juwelieren, ohne Ausweis – dann gebe es halt „zwei Euro pro Gramm weniger“.

Anton S. sagt, er und Firat T. seien am 12. April 2017 in Bayreuth gewesen. Da sei ihm spontan Friedrich Kuhn eingefallen, der allein in der Innstraße wohnt: Im Jahr 2016 sei er nämlich schon einmal bei dem Rentner gewesen, mit einem Mittäter, der er nicht nennen will. Und deshalb sei Firat T. an diesem Tag als „Ablenker“ an die Haustür in der Innstraße gegangen.

Ihren beliebten Trick, sich als „Wasserwerker“ vorzustellen, die wegen eines Rohrbruchs in der Nähe mal in den Keller müssten, um im Haus das Wasser abzudrehen, hätten sie modifiziert: Mit einer Flasche Wein und einem Stück Kuchen habe T. sich als neuer Nachbar bei Friedrich Kuhn vorgestellt, sei eingelassen worden und habe die Eingangstüre nur angelehnt.

Anton S. will sich eingeschlichen haben, er habe T. und den Senior in der Küche sitzen sehen. Anton S. durchsuchte die Räume, leerte Schmuckschatullen und will dann vor Verlassen des Hauses seinem Komplizen ein verabredetes Zeichen geben haben: Fertig, wir können verduften. Anton S. sagt: „Ich bin raus ins Auto, habe den Motor gestartet und gewartet, dass er kommt. Doch er kam nicht.“ S. machte den Motor des für ihre Tour gemieteten Audi wieder aus und wartete. „30 bis 40 Minuten.“ Doch Firat T. sei nicht aufgetaucht.

"Er sagte: Verdammt, es ist ein Unfall passiert"

„Ich ging zurück, habe geklopft und geklingelt. Er hat aufgemacht und gesagt: „Komm rein. Verdammt, es ist ein Unfall passiert.“ Erst dann will Anton S. den Körper von Friedrich Kuhn am Fuß einer Treppe liegen sehen: „Er hat gestöhnt, er war nicht ansprechbar. ich dachte, er ist k.o. Ich dachte nicht, dass er in Lebensgefahr ist. Firat hat gesagt: Es war ein Unfall, es sei irgendwie passiert, Kuhn sei umgefallen, hingefallen.“

Laut Anton S. fuhren die Männer aus Bayreuth weg, Richtung Mannheim, wo S.’ Schwester wohnt. In Crailsheim gab es einen Stopp, S., der kein Mobiltelefon dabei hatte, ging am Crailsheimer Bahnhof zu einem Münztelefon und rief die Polizei an: „Für mich war wichtig, dass ein Krankenwagen in die Innstraße geschickt wird. Ich habe meine Stimme mit einem ausländischen Akzent verstellt und ich habe dramatisiert, damit der Krankenwagen so schnell wie möglich kommt.“

In Mannheim will Anton S. Firat T. die Beute überlassen haben: „Ich habe mich distanziert, es war ja was Schlimmes passiert. Ich wollte nichts von dem Profit.“ Firat T. habe den Schmuck verkauft und per per Western Union 2400 Euro nach Südamerika überwiesen. Dort habe T. Probleme mit der „kolumbianischen Mafia“.

Schwere Verletzungen mit einem Knockout verwechselt?

Zusammengefasst sagt Anton S.: Ich bin nur ein Dieb, aber kein Mörder.

Sagt er die Wahrheit? Kann ihm seine Geschichte widerlegt oder bewiesen werden? Staatsanwälte und der Richter haben Fragen. Hat Anton S. wirklich nicht erkannt, dass Friedrich Kuhn im Sterben lag? War in S.’ Crailsheimer Notruf ein Stück Wahrheit, als er sagte „Ein alter Mann liegt in seinem Blut“? Tatsächlich hatte Friedrich Kuhn schwere Kopfverletzungen. Am Karfreitag starb der 88-Jährige im Krankenhaus.

S.’ Hauptverteidiger Uwe Krechel, ein Spezialist für Tötungsfälle und ein Mann, der vorführt, dass es auch Verteidigerroben mit goldfarbenem Besatz gibt, hat Antworten auf Fragen der Verteidigung von Firat T. abgeblockt. Eine Frage der Staatsanwälte leitet über zu dem, was im Fortgang des Prozesses kommen wird. Auf die Frage sagt S.: „Stimmt nicht.“ Die Frage hatte gelautet: „Der Mitangeklagte sagt, er sei überhaupt nicht am Tatort gewesen. was sagen sie dazu?“

Wenn T. nicht bewiesen werden kann, am Tatort gewesen zu sein, wenn eine DNA-Spur vom Tatort nicht als Indiz gegen T. reicht, dann hat Anton S. ein Problem. Dann stellt sich die Frage: Was ist seine Geschichte noch wert? Wer war mit ihm im Haus in der Innstraße, wenn es nicht Firat T. war? Der Gegenangriff der Verteidigung von Firat T. wird kommen.