Presseschau Lob für Musik, Fragen zur Regie

In Blau getauchtes Metaphern-Reservoire: Piotr Beczala als Lohengrin, Waltraud Meier (Ortrud), Tomasz Konieczny (Telramund), Georg Zeppenfeld (König Heinrich) und Egils Silins (Heerrufer). ⋌Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Quelle: Unbekannt

BAYREUTH. Malerstar Neo Rauch würde die Szene beherrschen, Christian Thielemanns „Lohengrin“-Dirigat in Bayreuth sein bestes (auch weil erstes) werden, und Yuval Sharon würde es als Regie-Einspringer schwer haben. So viel war vielen schon vorher klar. Was aber sagte die Fachwelt nach der Premiere tatsächlich? Unsere Presse-Lese nach der Eröffnungspremiere.

 
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Hans-Klaus Jungheinrich in der Frankfurter Rundschau

„Geradezu modellhaft führte der amerikanische Spielleiter Yuval Sharon vor, wie doppeltalentierte Wagner-Ahnungslosigkeit und die Vermeidung einer schlüssigen Personenführung einen ,Lohengrin’, dessen interessante Zurichtung hundertfach als möglich bewiesen ist, schlicht an die Wand fahren macht. Wagnerfern war einst auch Schlingensief, aber er hatte Genie. Sharon ergeht sich in ranzigen Chortableaus, teils (wie auf einen imaginären Hilferuf nach ,action, action’ reagierend) verschusselt. Mitunter denkt man an den alten Everding, der ebenfalls die Darsteller stundenlang herumstehen ließ, um dann das Publikum mit zwei, drei schrillen Gags aufzuwecken.“

Reinhard J. Brembeck in der Süddeutschen Zeitung

„Lohengrin ist ein barmherziger Bruder, der Gesandte einer allmächtigen Hilfsorganisation, die ihre Emissäre mit Zauberkräften ausstattet. So einer muss als Sänger ein Strahlemann sein. Diesen Typus vertritt Piotr Beczala perfekt, vom Aussehen her wie von der Stimme. Er agiert wie ein italienischer Tenor, voller Sehnsucht, warm im Stimmklang. (... ) Thielemann ist immer Klangzauberer. Er kann auch antreiben, Genauigkeit einfordern, große Bögen aussingen, Martialisches krachen lassen und Volkstümliches hinschunkeln. vor allem aber kann er den Klang auffächern, auffälteln, in sein Farbspektrum zerlegen, abdämpfen, wattieren, anschmirgeln. (... ) Der Bruder ist der grüne Mann, er ist wie Elsa ein Hoffnungsträger in der Welt der uniformen Graumenschen. Deshalb sinkt dann in dieser Inszenierung auch nicht Elsa, wie von Wagner verordnet, entseelt zu Boden, sondern dies tun die frauenfeindlichen und kriegslüsternen Heerscharen. Um im Hintergrund bleibt auch Ortrud stehen. Diesen beiden Frauen wird die Zukunft gehören.“

Jan Brachmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Mag Sharons Chor- und Solistenführung manchmal auch so statisch sein wie bei Wolfgang Wagner 1967, mag auch das Duell zwischen Telramund und Lohengrin als Luftkampf zwischen Blitzkrieger und Kleidermotte in seiner kindlichen Theatralität auch ungewollt die Grenze zum Lächerlichen überschreiten – eines hat Sharon sehr sensibel ausinszeniert: die asymetrische Bezehiung zwishen Lohengrin und Elsa. Man sieht Elsas Scheu und Misstrauen gegenüber ihrem Retter von Anfang an. Und dieser Retter kennt keine Empathie für seine Frau, die er wie ein Mündel behandelt. (...) Der Tenor Piotr Beczala, erst einen Monat vor der Premiere in der Titelrolle eingesprungen, ist ein Volltreffer für diesen Lohengrin. (...) Anja Harteros ist eine kundige, erfahrene Elsa (...). Christian Thielemann dirigiert seinen ersten ,Lohengrin’ in Bayreuth mit Lust und Kenntnis, mit dichtem Anschluss an die Szene, feinsten Akzenten, schönster Transparenz in großer Zartheit. Das Geheimnisvolle des Klangs, dessen Herkunft nicht enträtselbar sein soll, das indirekte Leuchten wird vielleicht erst in den Folgevorstellugnen gänzlich glücken. Auch wenn dieser ,Lohengrin’ szenisch eher zurückhaltend ist, beschreibt er doch in Musik und Bühne ein so hohes Niveau, wie es nach Bayreuth unbedingt gehört.“

David Allen in der New York Times

„In den 142 Jahren, seit Richard Wagner noch in New York die Schlagzeilen der Titelseiten mit seinen ersten Bayreuther Festspielen beherrschte, haben Amerikaner in Bayreuth gesungen und dirigiert, und zahllose Amerikaner sind zum Grünen Hügel gepilgert, um in dem Tempel vor Hitze zu vergehen, den der Komponist seiner eigenen Kunst aufgerichtet hatte. Doch bis in die Gegenwart war kein Amerikaner mit der Regie betraut worden. Das hat Yuval Sharon (39) nun brillant geändert, mit einer Eröffnungspremiere, die konzeptuelle Schwächen mit atemberaubenden Bildern und hinreißender Musikalität überwindet. (...) Nicht, dass dieser zur Gänze Sharon gehört. Als er im Jahre 2016 Alvis Hermanis als Regisseur ablöste, hatte das Künstler-Ehepaar Neo Rauch und Rosa Loy schon mehrere Jahre an Bühne und Kostümen gearbeitet. Als ein außerordentlich kooperativer Regisseur tat Sharon, was er konnte.“

Bernhard Neuhoff in BR- Klassik

„Als Metaphern-Reservoire geben Rauchs Bilder durchaus was her: Lohengrin, der gescheiterte Charismatiker, als dekonstruierter Held der Arbeit; die Elektrizität als gefährliche Kraftquelle – warum nicht, da hätte man doch was draus machen können. Wenn man denn vor starken Bildern auch starkes Theater gespielt hätte. Leider setzt Regisseur Yuval Sharon auf statische Chormassen, gemessenes Schreiten und hausbackene Gesten. Ein Hauch der 80er liegt in der Bühnenluft und legt sich wie Mehltau auf die Inszenierung. Die Brautjungfern schreiten minutenlang artig nach vorn und werfen Blüten, paarweise, fad und symmetrisch wie zu Wolfgang Wagners Zeiten. Wenn es gefährlich wird, hebt der Chor kollektiv die Hände – oh weh, oh weh.“

Jürgen Liebing im Kritikergespräch im Deutschlandfunk Kultur:

„Yuval Sharon musste sich hier irgendwie integrieren. Und das ist ihm nicht gelungen. Alles ist sehr statuarisch. Es wird wirklich sehr viel rumgestanden.“

Werner Theurich in Spiegel online

„Gleich zu Beginn trumpft Anja Harteros als „Elsa“-erfahrene Sopranistin mit einer kraftvollen, dennoch lyrisch-emotional gesungenen Traumerzählung („Einsam in trüben Tagen“) auf, die den sängerischen Standard der Produktion auf den Punkt bringt. Was Christian Thieleman im ätherisch schimmerndem Vorspiel schon an Frische und treibender Energie aus dem perfekt eingestellten Orchester herausholt, ist schlicht sensationell. Und es reißt alle immer wieder mit. Seien es der Chor der Bürger und Adeligen – von der Regie meist hübsch sängerfreundlich als Grundierung hinten auf der Bühne oder flankierend platziert – oder die Solisten, die allesamt das dunkle Blau mit kraftvollem Gesang durchdringen. Einmal wirkt der Chor so animiert, dass er sogar das flotte Orchester überholt. Nur einen Moment, aber bezeichnend. Kein schlimmer Patzer, eher amüsant inmitten der fabelhaften Ensemble-Leistung. Ansonsten gelingt die Abstimmung zwischen Orchester und Bühne lückenlos. (...) Ein weiterer großer Wurf war das Hügel-Comeback der Wagner-Diva Waltraud Meier als Ortrud, nach 18 (!) Jahren Festspiel-Abstinenz. (...) Festspielchefin Katharina Wagner kann zufrieden sein: Nach den erfolgreichen ,Meistersingern’ im vergangenen Jahr nun der kachelblaue, glänzend besetzte neue ,Lohengrin’. Die Festspielmacher dürfen erst mal durchatmen.“

Raimund Meisenberger in der Passauer Neuen Presse:

„Der US-amerikanische Regisseur Yuval Sharon verschafft Wagner in seiner Neuinszenierung Genugtuung: In Bayreuth 2018 siegt die Möglichkeit der Revolution. Damit dies möglich wird, deuten der Regisseur und Darstellerin Waltraud Meier die Intrigantin Ortrud um zu einem notwendigen Faktor in der Entwicklung Elsas: vom Opfer eines fundamentalistischen Regimes zur selbstbestimmten Frau, die unhinterfragten Gehorsam auch dann verweigert, wenn er dem aus neuen Welten erschienenen Helden Lohengrin gilt. Wagners Musiktheater erfährt hier eine aufklärerische, ja, feministische Wendung. Die Frau, die zweifelt und fragt, stürzt nicht, sie wird autonom.“

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