Die Bundesregierung hatte argumentiert, die Nichtanwendung des EU-Rechts sei gerechtfertigt. Dies habe die Europäische Kommission in einer Mitteilung über die Abwehr hybrider Bedrohungen infolge des Einsatzes von Migration als Waffe und die Stärkung der Sicherheit an den EU-Außengrenzen aktuell bestätigt. Die deutschen Maßnahmen seien zudem temporär und auf bestimmte Personengruppen beschränkt.
Dublin-Verfahren in Grenznähe möglich
Dass Asylsuchende nach einem Grenzübertritt automatisch länger in Deutschland bleiben können, bedeutet die Entscheidung aber nicht, wie das Gericht selbst feststellt. In einer Mitteilung heißt es, das Dublin-Verfahren könne auch an der Grenze oder im grenznahen Bereich durchgeführt werden, "ohne dass damit zwangsläufig eine Einreisegestattung verbunden sein müsse".
Dobrindts Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD) hatte in den letzten Wochen ihrer Amtszeit an der Eröffnung von zwei sogenannten Dublin-Zentren mitgewirkt. Diese Zentren in Hamburg und im brandenburgischen Eisenhüttenstadt sollen helfen, die Verfahren zu beschleunigen. Denn Rückführungen nach Dublin-III-Verordnung sind nur in den ersten sechs Monaten nach Einreise möglich – in der Vergangenheit scheiterten sie häufig an der Frist.
Grüne sehen sich bestätigt
Kritiker der neuen Grenzkontrollen fühlen sich durch die Entscheidung des Gerichts bestätigt. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Marcel Emmerich, sagte: "Der Beschluss entlarvt Dobrindts Symbolpolitik als das, was es ist: ein offener Rechtsbruch." Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) müsse die rechtswidrigen Zurückweisungen umgehend stoppen. Die SPD dürfe nicht mehr länger schweigend zusehen.
Auch in den Reihen des Koalitionspartners SPD gibt es Zweifel an Dobrindts Vorgehen. "Das Bundesinnenministerium ist offensichtlich weder ausreichend in die Abstimmung mit unseren Partnerländern gegangen, noch hat es einen klar rechtssicheren Weg für Zurückweisungen eingeschlagen", sagte SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Er plädierte für grenznahe, beschleunigte Dublin-Verfahren. "Das scheint mir, zumindest bis zur Einführung des neuen europäischen Asylsystems, der geeignetere Weg", sagte Castellucci.
Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) mahnte: "Das ist ein Urteil, das die Bundesregierung beachten muss." Die Entscheidung des Gerichts dürfte niemanden überraschen.
Die Organisation Pro Asyl teilte mit, sie habe die drei somalischen Antragsteller bei ihrer Klage unterstützt.
Dobrindt: Deutlich mehr Zurückweisungen
Zwischen dem 8. Mai und dem 1. Juni wurden nach Dobrindts Angaben 2.850 Menschen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen. In 179 Fällen sei ein Asylgesuch gestellt worden. In 138 dieser Fälle habe es eine Zurückweisung gegeben, 41 Fälle hingegen hätten zu den vulnerablen Gruppen gehört.