Philipp Jordan übers Meistersingererlebnis

Von Michael Weiser

Kein Wagnerianer, aber jemand mit unheimlich viel Respekt vor dem Genie: Philipp Jordan (42), Chefdirigent der Wiener Symphoniker, wird als Dirigent der „Meistersinger“ gefeiert. Wir sprachen mit dem Schweizer über Sekten, Lautstärke, Deutschtümelei und Nachsicht gegenüber dem argen Wort vom "welschen Tand".

 
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Sie kamen als sehr junger Dirigent nach Bayreuth, um den „Parsifal“ zu dirigieren. Wie war das Erlebnis damals?

Philipp Jordan: Superspannend. Zum ersten Mal in Bayreuth, und das mit diesem Stück, das er extra für dieses Haus geschrieben hat, als er schon wusste, wie das Haus funktioniert, wie er das Orchester zusammenstellen musste - das war schon aufregend. Man fragt sich nochmals, wie er als Komponist, aber auch als Dirigent arbeitete. Und dann steht man vor der Aufgabe, sich selber reinzudenken und sich zu fragen, wie man Höhepunkte aufbaut und sich in der Tempodramaturgie verhält. Beim „Parsifal“ ist alles fließender, es gilt, am Text zu bleiben, die Lautstarke sorgfältig zu dosieren. Man muss sich seinen Wagner noch mal ganz neu überdenken. Als würde man Wagner neu kennenlernen.

Hört sich fast an, als sei da ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.

Jordan: Das habe ich nicht gesagt. Bayreuth war für mich früher mal ein rotes Tuch, weil mir jeder Fanatismus zuwider ist. Ich würde mich nie als Wagnerianer bezeichnen, weil ich dahinter eine Art Geheimlehre vermuten würde.

Da haben Sie als Schweizer vielleicht einen anderen Zugang. Sind die Schweizer distanzierter?

Jordan: Ich komme aus Zürich, der Bezug zu Frankreich und Italien ist ein anderer als in Deutschland. Ich habe ihn sozusagen lateinischer gesehen und nicht so teutonisch, deswegen war Bayreuth für mich als Pilgerstätte immer etwas Fremdes. Bayreuth war mir zunächst nicht so wichtig, auch als ich Assistent von Barenboim war. Erst als ich in Paris den Ring dirigiert habe und zufällig in Bayreuth vorbeikam, dachte ich mir, es kann nicht sein, dass ich eine der ganz wichtigen Komponenten nicht kenne, die Akustik. Ich bin dann zu den Generalproben gefahren und war überrascht zu sehen, wie entspannt und natürlich die Art hier ist, mit Wagner umzugehen. Es ist mehr Liebe als Fanatismus. Da habe ich es verstanden. Die machen das, weil sie Wagner und seine Musik lieben. So können die auch so entspannt spielen. Abgesehen von den ganzen technischen Mitteln, die man verstehen muss, um zu versuchen, Wagner noch besser zu spielen, schätze ich die entspannte Art. Es war kein Traum von Anfang an. Ich wollte einfach nur dirigieren.

Die Wagnerianer haben wirklich was von einer Sekte.

Jordan: Etwas Fanatisches, Sektiererisches haftet dem an. Da bin ich skeptisch. Ich halte ihn für den Größten, aber man muss kritische Distanz halten können. Und als Schweizer habe ich diese Distanz sozusagen per se. Deswegen habe ich ein unverkrampftes Verhältnis zu Wagner.

"Der Schlussmonolog ist für mich nicht problematisch"

Und jetzt dirigieren Sie mit den „Meistersingern“ ein Stück, das für manche besonders problematisch ist...

Jordan: Der Schlussmonolog zum Beispiel ist für mich nicht so problematisch. Ich kann das anders sehen. Was deutsch und echt ist – das ist für mich eine Suche nach Authentizität, nicht Nationalismus. Dass das missbraucht wurde, bis heute in eine bestimmte Richtung missverstanden werden kann, ist klar; ich sehe es aber als Herzensangelegenheit. Was Hans Sachs da singt, ist der Versuch, Tradition weiterzugeben, sich zu vergewissern, wer wir sind, zu fragen: Was macht uns aus? Und zwar nicht martialisch und laut, sondern leise, wie aus einem inneren Drang heraus. Das ist etwas Wahres und Kostbares. Eine andere Deutung.

Wie läuft’s ’s mit Regisseur Kosky?

Jordan: Es ist unglaublich bereichernd, ich muss sagen, dass ich seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr so viel Freude gehabt habe. Herheim war damals eine ähnliche Ausnahme. Das sind ganz große Regisseure, ganz groß als Theaterpraktiker. Es sind Leute, die ihren Beruf in- und auswendig beherrschen, die Geschichten erzählen wollen, die diese Geschichten nicht einfach bebildern wollen, sondern sich damit auch auseinandersetzen. Es ist nicht nur konzeptionell und intellektuell gedacht, sondern die beiden fragen sich auch, wo man dem Publikum eine Geschichte erzählen, es verführen, bezaubern muss. Und so macht Barry das mit den Sängern, er kennt sich aus, weiß den Text auswendig. Er ist außerdem sehr flexibel. Er hat immer sofort eine andere Lösung bereit. Und er hat eine unglaubliche Probenökonomie. Ich habe lange niemanden erlebt, der so mit dem Chor arbeitet.

Sie wirken in der Tat sehr entspannt. Nicht ganz so unwichtig bei einem solchen Massiv wie den „Meistersingern“.

Jordan: Ja, es ist lang, und der längste Akt kommt auch noch am Schluss. Zum Glück ist das ein schöner Akt. Gute Sänger, eine gute Regie, die sind das A und O für die „Meistersinger“. Man kann als Dirigent das alles nicht alleine führen. Es passiert zu viel gleichzeitig. Als Dirigent ist man fixiert auf den, der gerade singt, Aber da sind immer drei, ach was – 20 Leute, die singen. Da wird es schwierig. Es hat mal jemand gesagt, wenn alles stimmt, ist Oper das größte Kunstwerk überhaupt. Dass alles funktioniert, ist natürlich selten, aber das Gefühl sagt gerade: Es macht Spaß.

Nach Ihrem Einstand mit dem „Parsifal“ – ein Wechselbad?

Jordan: „Parsifal“ ist das denkbar einfachste Stück in dieser Akustik, und jetzt habe ich das denkbar schwerste. Es ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, da irgendetwas transparent zu nennen. Das ist Lortzing, Mendelssohn, Weber, es ist eine Spieloper, und diese gewisse Leichtigkeit, diesen Esprit, diesen Konversationston zu etablieren, ist ganz wichtig, das ist das A und O. Dann kommt das Zusammenspiel, es funktioniert die kontrapunktische Konstruktion. Das ist wie ein Uhrwerk. Man hört jede Kleinigkeit. Derlei geht beim „Parsifal“ in der allgemeinen Harmonie schon mal unter.

"Aus dem Ärmel schütteln, bei höchster Konzentration"

Sind Sie nervös?

Jordan: Nervös würde ich nicht sagen, aber man muss das schon zusammenbringen, diese Entspanntheit und diese Notwendigkeit, vieles zu antizipieren, auszugleichen. Die „Meistersinger“ müssen sozusagen aus dem Ärmel geschüttelt werden, aber das bei höchster Konzentration.

Ihre zweite Saison in Bayreuth erleben Sie mit großem Abstand.

Jordan: Es hat mir gefehlt. Und wenn man fünf Jahre nicht hier war, dann muss man in gewisser Hinsicht neu anfangen. Die Führung ist da, Gott sei Dank, aber klar, es ist ein Neuanfang. Ich muss vieles antizipieren, mich mit Barrie (Kosky) absprechen, mit dem Bühnenbild und mit der Akustik des Bühnenbildes arrangieren. Das hat er auch sofort verstanden. Wir haben immer wieder diskutiert, da waren Sachen dabei, dass ich gesagt habe, Barrie, so werde ich es nicht schaffen. Aber er hat immer einen Plan B.

Das Theatertier Kosky

Er ist souverän?

Jordan: Schon, das ist er, absolut!

Was hat Sie bewegt zurückzukehren?

Jordan: Es ist vor allem wegen Bayreuth. Für alle sind die Gagen gleich, keiner ist schlechter, keiner besser bezahlt. Es sind vor allem die Möglichkeiten, die man hier hat. Wo gibt es das, dass man im fertigen Bühnenbild schon probieren kann?

Und, wie war’s bei der Rückkehr? Hat es sich gleich gut angehört?

Jordan: Vom ersten Tag an war ich schon sehr zufrieden. Die machen toll mit. Diese Leichtigkeit, die man da braucht, haben schnell verstanden. Einen Grundkonsens haben wir sehr schnell gefunden. Die haben schon bei den ersten Proben Lust gehabt, die strahlten, die Sänger haben sich Blicke zugeworfen.

"Das kleine Schlagen lernt man in Bayreuth"

Um von der Anstrengung im Graben auszuruhen – was ist Ihr Rezept?

Jordan: Viel Ruhe. Das bietet der Ort hier. Ich hab noch ein Konzert in Bregenz, mit den Wienern, ansonsten nichts. Ich kann mich konzentrieren. Das ist selten. Und man muss nur einmal pro Woche ran. Wenn der Tag der Vorstellung ist, dann hat man den ganzen Tag, um sich auf die Vorstellung zu konzentrieren.

Sie sind ein agiler Typ. Und dann müssen Sie im Bayreuther Orchestergraben die ganze Zeit sitzen.

Jordan: Man ist Teil einer Maschine, es ist eine Werkstatt, es ist gut, wenn man sitzt. Woanders, in Paris - dort einen „Ring“ durchzustehen, das erfordert Elan. Da zeigt man Präsenz. Hier kommt man weg von den großen Gesten. Es ist nicht nur eine körperliche, es ist auch eine technische Sache. Das kleine Schlagen - das lernt man in Bayreuth. Sonst hat man ein Dauer-Fortissimo. Aber die Leichtigkeit, dass es wie aus dem Handgelenk kommt, ist gerade bei den „Meistersingern“ wichtig. Das ist richtig gut geschrieben.

"Menschen, keine Götter"

Sind die „Meistersinger“ Ihre Lieblingsoper?

Jordan: Schwer zu sagen. Ich habe es immer gemocht. Es ist am dichtesten am Menschen Wagner dran, es sind Menschen, keine Götter und Helden. Sachs ist ein Mensch, Beckmesser ist ein Mensch. Dadurch ist sich Wagner noch näher als im „Tristan“. Beide Stücke präsentieren die Essenz von Wagner. Nur so war er in der Lage, den „Ring“ zu schreiben, wie er ihn schließlich fertiggeschrieben hat.

Sie sind als Pianist auch Liedbegleiter. Was reizt Sie daran?

Jordan: Es ist gut, mal wieder für die Noten selbst verantwortlich zu sein, mit Musikern zu kommunizieren, man bekommt ein anders Verständnis. Es ist intim, und dieses Verständnis, was technisch ab und zu funktioniert und manchmal nicht, ist wichtig. Man bekommt auch ein anderes Verständnis, wie man effizient probt, wie man seine Zeit ausschöpft. Es würde mir als Dirigent etwas fehlen. Es geht mehr zur Essenz. Man gebraucht nicht den großen Pinsel, sondern auch mal den Bleistift. Ich komme von der Oper und der Symphonie her. Aber wenn Sie mich fragen: Die größte Musik ist für mich die Kammermusik.

"Wagner ist gar nicht so laut"

In letzter Zeit kommt es häufiger vor, dass Wagner-Sänger auch mal CDs mit Liedern aufnehmen.

Jordan: Das ist gut so. Ich seh‘ das ja auch bei Volle, bei Schwanewilms. Volle hat bei mir den Jesus in der Matthäus-Passion gesungen. Der war dankbar, auch mal was anderes zu singen. Er sagte, alle denken, ich kann nur Scarpia und Wotan, und Jesus in der Passion zu singen - keiner bietet mir das an. Er hat sich dafür bedankt. Man braucht Schmiegsamkeit, ja, das tut dem Wagnergesang auch gut. Man singt ihn dann aus dem Geiste des Textes und brüllt nicht nur. Wagner ist ja auch gar nicht so laut.

Ja?

Jordan: Das ist ein großes Missverständnis. Im Vorspiel zum ersten Aufzug beispielsweise steht oft nur Forte – und nicht Fortissimo. Alle spielen da laut, martialisch, nationalistisch, sozusagen als Manifest - aber da steht nur „laut“, als eine Einladung zu einer Komödie, zu einem menschlichen Spiel, das aus der Melodie heraus wächst. In Bayreuth ist es schon so, dass der Graben dämpft, es geht die Wucht verloren, man muss das einkalkulieren. Es muss schon oben was rauskommen. Das wichtigste ist zu differenzieren, Mezzoforte und Mezzopiano, Forte und Fortissimo. Mehr geben, das muss man schon, aber man muss sich auch fragen: Wer darf das? Bratschen und Celli sitzen in der Mitte, da ist kein Deckel. Dass man diese Instrumentengruppen auch wieder runternimmt, das muss man einkalkulieren. Man muss das immer übersetzen – da ist man wie ein Simultanübersetzer. Daher gehen die Kollegen auch immer in die Proben der anderen, um ein Gefühl für den Raum zu bekommen.

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