Pegnitzer im Ausland Lockdown wird zum Slowdown

Kerstin Goetzke
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„Wir versuchen, die Normalität für unsere Kinder weiter zu leben“, erklärt der ehemalige Pegnitzer Jörg Polzer. Der dreifache Vater lebt seit knapp 16 Jahren in der Schweiz und berichtet im nächsten Teil unserer Serie, wie er die Corona-Pandemie in seiner neuen Heimat, dem 7000 Einwohner großen Birmensdorf, einem Vorort von Zürich, erlebt.

 
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Pegnitz/Schweiz - Die maximale Zahl von Personen, die sich treffen dürfen, liegt in der Schweiz aktuell bei fünf. „Eins meiner Kinder hatte kürzlich Geburtstag, da haben wir mit vier anderen Kindern aus der selben Schule eine Schnitzeljagd durch unser Dorf gemacht. Am Ende haben wir uns in Fünfer-Gruppen draußen an einem Abenteuerspielplatz getroffen und gegessen. Es war ein halbwegs normaler Kindergeburtstag“, berichtet er. Die Erwachsenen haben dabei Masken getragen.

Am Lagerfeuer Stockbrot backen

Generell unternehmen er und seine Familie im „Lockdown light“ – die Regeln sind inzwischen lockerer als in Deutschland – viel draußen: In der Schweiz gibt es im Wald viele Stellen, wo am Lagerfeuer Cervelat-Würste und Stockbrot „gebrötelet“ werden. Das ist für Familien das ganze Jahr über eine typische Beschäftigung. Das Grillen verbinden die Polzers mit Spaziergängen an der frischen Luft. Zu Menschenansammlungen komme es dabei höchstens an Feuerstellen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sind, berichtet der Ex-Pegnitzer.

Für Bewohner der Schweiz seien außerdem die Skilifte geöffnet. Polzer sucht dann die Skigebiete aus, von denen er weiß, dass sie nicht überlaufen sind. „Das ist hier in der Schweiz etwas anderes als beispielsweise im Fichtelgebirge, wohin sich an einem schönen Tag halb Nordbayern zum Skifahren begibt. In der Schweiz verläuft sich das viel mehr“, erklärt der 45-Jährige. Beim Anstehen an den Liften müssen außerdem Masken getragen werden.

Er sei froh, dass Schulen und Betreuungseinrichtungen für Kinder weiterhin geöffnet sind. Er fährt meistens in die Firma, wo er sein eigenes Büro hat, und seine Frau nutzt das Büro im Eigenheim. „So bekommen wir keinen Lagerkoller“, sagt er.

Vor der Pandemie musste Polzer, der im Sportmarketing tätig ist, geschäftlich viel reisen. „Ich bin schon für 48 Stunden über eine Zeitzone zu einem Meeting geflogen“, gibt er zu. „Jetzt finden Treffen virtuell statt. Die Technik ist so gut, dass man fast alle Sinne anspricht. Nur mit dem Riechen klappt es nicht.“ Generell erlebe die Digitalisierung in seinem Arbeitsumfeld einen großen Aufschwung. So organisiert seine Firma Wettbewerbe für zu Hause. Menschen treten beispielsweise auf dem Fahrrad gegeneinander an und bezahlen dafür Geld.

Auch wenn viele Sportveranstaltungen wegen Corona ausfallen, laufen beispielsweise Bandenwerbung und Fernsehproduktionen weiter. Weil seine Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, wovon er als Mitglied der Geschäftsführung ausgenommen ist, hat Polzer deren Aufgaben übernommen.

Während der Papa in der Arbeit gut beschäftigt ist, geht es auch für die Kinder relativ normal weiter. „Mein Sohn geht zum Beispiel zum Karate. Auch Musikunterricht findet vor Ort statt“, berichtet Jörg Polzer, der seit eine permanente Aufenthaltserlaubnis hat und die Doppelstaatsbürgerschaft anstrebt. Auch Schlittschuhlaufen sei erlaubt. Wenn Kinder alt und reif genug sind, dürfen sie das alleine, ohne Erwachsene, machen. Diese Regeln gelten meist nur für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren.

Erwachsene müssen sich weitgehend alleine beschäftigen. Der Waldstock-Begründer Jörg Polzer hat in der Pandemie, die er als „Slowdown“ erlebt, eine App für sich entdeckt, über die er mit seiner Band Musik macht: Dienstagabend setzt er sich an sein e-Drum-Set und trifft sich mit seinen Kollegen zur digitalen Probe. „Ich habe auch schon ein paar Leute in der alten Heimat angeschrieben. Wer weiß, vielleicht machen wir bald mal wieder zusammen Musik, auch wenn wir hunderte Kilometer voneinander entfernt sind“, sagt der Schlagzeuger.

Weil nicht nur geschäftliche, sondern auch private Reisen weggefallen sind, haben die Polzers das Kochen neu für sich entdeckt: „Um Reisen, Restaurant- und Heimatbesuche gewissermaßen kulinarisch zu kompensieren, sind unter anderem viele alte Familien-Rezepte meiner Großmütter, wie böhmisches Gulasch mit Hefeknödel, auf den Tisch gekommen. Aber auch die perfekte Pizza Napoli oder viele asiatische Köstlichkeiten wie Phad Krapao“, berichtet der Wahl-Schweizer.

Auf eigene Kosten auf Corona getestet

Seine Eltern und seine Schwiegermutter hat er im vergangenen Jahr nicht so oft besucht, wie in normalen Jahren: nur zweimal. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr haben er und seine Frau sich auf eigene Kosten auf Corona testen lassen. Mit dem negativen Ergebnis in der Tasche hat die Familie dann die Eltern in Pegnitz besucht. „Umarmt haben wir uns trotzdem nicht. Und meinen Neffen, der gut ein Jahr alt ist, habe ich auch noch nicht im Arm gehalten, nur gesehen.“

Nach dem Deutschland-Besuch vor Beginn der zweiten Welle im Herbst musste sich Polzer für ein paar Tage in Quarantäne begeben: Es stellte sich raus, dass einer seiner Freunde, mit denen er sich getroffen hatte, positiv getestet wurde. „Es war schwer, meiner vierjährigen Tochter zu erklären, warum ich die Maske nicht abnehmen darf.“

Den Sommerurlaub hat er mit seiner Familie weitgehend normal campend in einer ruhigen Ecke Frankreichs verbracht. „Das war recht entspannt, wir konnten anderen Touristen gut aus dem Weg gehen“, berichtet er.

Viel unternommen haben bis zum Beginn der Pandemie auch die Senioren in der Schweiz. Sie seien sehr rüstig und haben eine hohe Lebenserwartung, hat Polzer beobachtet. Die Pandemie treffe sie hart: Ein Großteil der 540 000 Infizierten und über 9000 Toten gehört zur älteren Generation. Bleibt zu hoffen, dass für sie – ebenso wie die Kleinsten – das Leben bald wieder normal weiter geht.

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