Pegnitzer fotografiert Lost Places

Von Marie-Christine Fischer

Jahrelang hat Thomas Lorenz aus Pegnitz Hochzeitspaare, Tiere und Sonnenuntergänge fotografiert. Dann entdeckte er das Schöne im vermeintlich Hässlichen. Sein liebstes Motiv sind seither verlassene Orte. "Je weiter der Verfall fortgeschritten ist, desto interessanter."

Ein aufgegebenes Kalkwerk im Kreis Neustadt an der Waldnaab. In der Einfahrt türmen sich Autoreifen. Gräser und Büsche haben den Asphalt aufgebrochen, holen sich ihren Lebensraum zurück. Die Fensterscheiben des Verwaltungsgebäudes liegen in scharfkantigen Splittern auf dem Boden. Die meisten Menschen machen um diesen Ort einen Bogen. Für Thomas Lorenz (43) gleicht er einer Schatztruhe.

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Eine solche Truhe zu öffnen, ist in vielen Fällen schwierig und in so gut wie allen verboten. Wer unerlaubt ein Gebäude oder auch nur ein eingezäuntes Gelände betritt, begeht Hausfriedensbruch. Als Fotograf verlassener Orte kommt man darum so gut wie nicht herum. Lorenz aber zieht für sich Grenzen: Durch die Lücke eines Bauzaunes schlupfen ja, Schlösser aufbrechen oder Scheiben einschlagen nein.

Nicht nur Verfall, auch Vandalismus

Das Kalkwerk macht es ihm leicht: Einen Zaun um das Gelände gibt es nicht, die Tür zum Gebäude ist nicht verschlossen. Drinnen: Zwei speckige und fleckige Bürostühle, völlig vertrocknete Kakteen, leere, verstaubte Bierflaschen, Aktenordner, auf deren Rücken 2007 und 2008 steht. Für Lorenz eine Fülle an Motiven.

Für seine Fotos verändert und arrangiert er nichts. Außerdem nimmt er nie Inventar mit nach Hause, was nicht für jeden eine Selbstverständlichkeit ist. Nicht nur Fotografen kommen an Orte wie das Kalkwerk, sondern auch Menschen, die klauen, was ihnen nützlich scheint, die Spaß an Zerstörung haben, Wände beschmieren und Müll zurücklassen. "Oft siehe ich nicht nur den natürlichen Verfall, sondern auch jede Menge Vandalismus", sagt Lorenz.

Ihre Orte verraten die Fotografen ungern

52 verlassene Orte hat er fotografiert, seit er die "Lost Places", wie es in der Szene heißt, vor etwas über einen Jahr für sich entdeckt hat. Vor allem in Ostdeutschland war er viel unterwegs, in verlassenen Firmen, Wohnhäusern, Kliniken oder Kinderheimen. Wo genau will Lorenz nicht erzählen. Das gehört zum Ehrencodex der Lost-Places-Fotografen. Auch er, der Einsteiger, musste sich erst in Facebook-Gruppen und Onlineforen das Vetrauen anderer "Urbexer" erwerben, bevor diese ihm fotografierenswerte Orte verrieten.

Jeder Fotograf will der Erste sein

Urbex steht für Urban Exploration, was so viel wie Stadterkundung bedeutet. Wer beim Erkunden einen Lost Place neu entdeckt, ist darauf besonders stolz. "Der Reiz, der Erste zu sein, ist groß." Orte, die so bekannt sind, dass sie von Fotografen überrannt werden, werden schon mal als Urbex-Hure betitelt.

Im Kalkwerk war Lorenz zwar nicht der erste, aber es ist bislang keinen Zerstörungswütigen zum Opfer gefallen. An manchen Stellen scheint es vielmehr, als könnte jedem Moment ein Mitarbeiter hereinkommen und die Produktion weitergehen. An der Abfüllanlage hängen zwei halb volle Kalksäcke, zwei Pallletten fein säuberlich gestapelter leerer Säcke stehen daneben.

Je mehr Inventar desto besser

Viele Lost-Places-Fotografen würden wissen wollen, wann und warum die Firma dicht machte. Sie erforschen die Geschichte der Objekte, die sie fotografieren. Lorenz' Sache ist das nicht. "Mich interessieren vor allem die Bilder", sagt der Fotograf, der hauptberuflich als Produktionshelfer bei BAT arbeitet und vor Jahren sein "Hobby zum Nebenberuf gemacht" hat.

Gruselige Orte

Er will Bilder mit nach Haus, die den Verfall dokumentieren - und möglichst viel von dem Moment konservieren, in dem ein Objekt aufgegeben wurde. "Je mehr Inventar, desto besser." Die stillgelegte, von Kalkstaub überzogene Maschine, der Stromkasten, auf dem Vögel brüten, der zur Hälfte gefüllte Kalksack. Das ist, was ihn reizt.

Manchmal erfährt Lorenz jedoch von anderen Urbexern etwas über die Geschichte eines Gebäudes, noch bevor er es besucht. Wie bei dem Kinderheim, in dem er vor ein paar Monaten war, zusammen mit dem halbwüchsigen Sohn seiner Lebensgefährtin. Dass dort Kinder misshandelt wurden, hatte er gehört. Dann, im Keller: Gitterbetten, vor den Fenstern Matratzen. "Es sah aus, als seien die Kinder dort eingesperrt und die Matratzen dazu da gewesen, dass ihre Schreie nicht nach außen dringen.  Da bekam ich schon Gänsehaut."

Die Rechtslage:

In Paragraf 123 des Strafgesetzbuches heißt es: "Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume (...) widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."

Ferner legt das Gesetz fest, dass der Tatbestand des Hausfriedensbruchs "nur auf Antrag verfolgt" wird. Das lässt Raum für Lost-Places-Fotografen. Denn nur die wenigsten Eigentümer verlassener Grundstücke zeigen Urbexer an, sofern sie überhaupt von ihnen Wind bekommen.
 

Mehr zum Thema:

Auf seiner Internetseite zeigt Thomas Lorenz weitere Lost Places und andere Fotografien.