Allerdings vertritt die AfD auch nach den jüngsten Wahlerfolgen eben nur eine Minderheit. Mehr als zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stimmten nicht für sie. Im Bundestag steht sie für 10,4 Prozent der Stimmen. Und da die AfD für ihre Ziele keine Verbündeten findet, kann sie wenig durchsetzen - anders als Parteien, die in Koalitionen Kompromisse suchen, von der AfD regelmäßig als "Kartellparteien" verunglimpft.
Der Politikwissenschaftler André Brodocz sagte nach dem Eklat vom Donnerstag, in Erfurt habe man gesehen, wie "die Minderheit im Landtag versucht hat, der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen". Das sei "tiefste Missachtung des Mehrheitsprinzips, wie es unserer parlamentarischen Demokratie zugrunde liegt". Er bemerke auch, dass bei solchen Gelegenheiten in sozialen Netzwerken Stimmung gemacht werde. "Die eigene Klientel wird damit in ihren Auffassungen (bestärkt), dass die AfD hier vielleicht sogar auf eine vermeintlich undemokratische Art und Weise um ihre Rechte gebracht wird", sagte Brodocz.
Zweifel sähen an den Institutionen
Juristisch hat die AfD mit ihrer Rechtsauffassung mehrfach den Kürzeren gezogen. Sie unterlag jetzt vor dem Verfassungsgerichtshof in Weimar, der für die Auftaktsitzung des Landtags klare Vorgaben machte. Und auch das Bundesverfassungsgericht entschied mehrfach gegen sie. Die AfD hatte in Karlsruhe geklagt, weil sie seit ihrem Einzug in den Bundestag 2017 keinen Vizepräsidenten hat - die übrigen Parteien ließen ihre Kandidatinnen oder Kandidaten stets durchfallen. Das Bundesverfassungsgericht entschied hier im März 2022, das Recht auf gleichberechtigte Berücksichtigung stehe unter dem Vorbehalt der Wahl durch die übrigen Abgeordneten. Auch nach einer Klage gegen die Nichtwahl und Abwahl von Ausschussvorsitzenden urteilte das Gericht gegen die AfD.
Die Partei sät im Gegenzug Zweifel an obersten Gerichten - und nimmt damit eine weitere demokratische Institution ins Visier. So sagte Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke vor der Entscheidung zum Landtagseklat über das Landesverfassungsgericht: "Dort sitzt keiner, der nicht das richtige Parteibuch hat." Und weiter im rechten "Deutschland-Kurier": "Deshalb sind es natürlich voreingenommene Richter." Falls die Thüringer Verfassungshüter gegen die AfD urteilten, dann "machen sie sich als Juristen auch lächerlich". Nach der Entscheidung sagte Höcke, man erkenne den Spruch an. Aber er erneuerte seine Kritik.
Die AfD ist in der Minderheit, aber sie hat konkreten Einfluss
Damit ist der Boden bereitet für das nächste Feld der Auseinandersetzung. In den nächsten fünf Jahren müssen alle Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Thüringens mit Zweidrittelmehrheit vom Landtag gewählt werden, wie der Politologe Brodocz in Erinnerung rief. Da kommt die Sperrminorität zum Tragen. "Hier wird man mit der AfD unvermeidlich reden müssen", meinte er. "Es ist sehr schwer vorzustellen im Moment, dass man hier wieder auf eine sachliche Ebene zurückkehrt." Was passiert, wenn keine Richter bestimmt werden? Dieselbe Frage könnte sich in Brandenburg stellen.
Im Bund richtet sich der Blick auf das Bundesverfassungsgericht. Am Freitag stellte sich der Bundesrat hinter Bemühungen, das Grundgesetz zu ändern, um "die Funktionsfähigkeit, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Gerichts sicherzustellen".