Hippes Hühnerhalten
Im Zuge der Corona-Pandemie hat die private Hühnerhaltung neuen Aufschwung bekommen. Aber schon Queen Victoria (1819 bis 1901) war Hühnerliebhaberin und "ultimative Trendsetterin". Im 18. und 19. Jahrhundert war Hühnerzucht hip - was für das Huhn letztendlich verheerende Folgen haben sollte: Es ging - zunächst in den USA - plötzlich vor allem darum, für die industrialisierte Massenhaltung geeignete, immer schneller heranwachsende Tiere zu kreieren.
Wie das Huhn seine Farbe verlor
Es gibt beim Huhn unzählige Färbungen, Größen und Formen, weltweit sind rund 1.600 Hühnerrassen registriert. Lege- und Masthühner aber sind meist schmucklos weiß. Helle Haut und weiße Federn hätten bei den Abnehmern der Massentierhaltung mehr Anklang gefunden, erklärt Drapela. Zudem machen demnach auch schlecht gerupfte Hühner einen besseren Eindruck, wenn sie hell sind.
Bewegungsunfähige Giganto-Küken
Heutige Broiler sind so sehr auf schnelles Wachstum gezüchtet, dass sie noch im Kükenalter geschlachtet werden. Das Haushuhn ist "das einzige Nutztier, das sein Schlachtgewicht von 1,5 Kilogramm in fünf Wochen erreicht und somit sein Schlüpfgewicht verfünfzigfacht", heißt es im Buch. Die Tiere länger leben zu lassen, ginge gar nicht, da sie bei Überschreitung des vorgesehenen Schlachtalters nicht mehr gehen können. Rettungsversuche von Tierfreunden scheiterten Drapela zufolge, weil Broiler das Wachstum nie einstellen und spätestens mit einem Gewicht von etwa fünf Kilogramm an Organversagen oder Aortenriss sterben.
Fatale Liebe zu Fleisch
Rund 75 Milliarden Broiler wurden im Jahr 2022 weltweit geschlachtet. Im Durchschnitt sind das rund 140.000 Hühner pro Minute, rechnet Drapela vor. Die Zahl hat sich seit Anfang der 1960er-Jahre verzehnfacht. "Geschätzte 16,8 Milliarden Masthühner landen jährlich nicht auf dem Teller, sondern im Müll oder sterben bereits vor der Schlachtung."
Hühnergott und Hahnenstein
Es gibt wenige Völker in Westafrika, für die das Huhn nicht das wichtigste Opfertier ist, oft wird es als Orakel verwendet. Auch in Europa half es lange bei der Zukunftsdeutung - wie unter anderem das "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" belegt. Wo und wann der Hahn krähte, wies zum Beispiel auf das anstehende Wetter hin. Das Krähen vertrieb zudem Dämonen, störte den Teufel, verjagte Hexen und Gespenster, wie es im Buch heißt. "Wenn kein Hahn mehr nach jemandem krähen kann, dann ist jede Hilfe aussichtslos."
Ein Garant für großes Unheil war auch das sogenannte Hahnenei, ein ganz besonders kleines Ei, meist ohne Dotter. Als Glücksbringer hingegen galt der Hühnergott: ein Stein mit natürlich entstandenem Loch, wie er heute noch am Ostseestrand zu finden ist.
Das Huhn als Medikament
Im alten Europa gab es interessante Heilbehandlungen - auch mit Huhn als Ingredienz. Um Melancholie und Wahnsinn bei Frauen zu heilen, sollte zum Beispiel eine lebendig der Länge nach halbierte schwarze Henne auf deren Kopf platziert werden, wie Drapela schildert. Und schon der Arzt Maimonides pries im 12. Jahrhundert Hühnersuppe als Medizin gegen fast alles – von Asthma bis Lepra. "Viele amerikanische Präsidenten wurden in ihren letzten Atemzügen noch mit Hühnersuppe therapiert: Bei Harrisons Typhuserkrankung sowie Garfields und McKinleys Schussverletzungen war diese Behandlung leider erfolglos."
An der Allheilkraft der Hühnersuppe wird bis heute kaum gezweifelt. Tatsächlich wirkt sie Studien zufolge durchblutungsfördernd und lindert Angst- und Spannungszustände, wie es im Buch heißt. Inwiefern Hühnersuppe bei Erkältungen wirklich hilft, war und ist demnach umstritten. Kleines Extra am Rande: Hühnersuppe begleitete gefriergetrocknet die ersten Astronauten auf den Mond.
Das Huhn der Zukunft
Wie lange es noch Qualzucht-Hochleistungshühner gibt, hängt von Politik und Gesellschaft ab. Als Positivbeispiele werden im Buch die Rondell-Methode als Haltungssystem für Legehennen sowie das niederländische Start-up Kipster genannt, die Industrie-Hühnern ein lebenswerteres Dasein etwa mit Sitzstangen, Sandbädern und Auslauf bieten.