Opernhaus: So war die Premiere

Von Michael Weiser
Wilhelmine, Friedrich, Katte: Szene aus dem neuen "Artaserse" bei der Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses mit Anja Silja, Pauline Rinvet und Kathrin Zukowski. Foto: Jean Marc Turmes Foto: red

Das Wunderhaus ist auferstanden: Mit Johann Adolph Hasses Oper „Artaserse“ wurde am Donnerstagabend die Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses gefeiert. Das Publikum im ausverkauften Haus spendete Applaus, begeistert – und auch erschöpft: Musikalisch beeindruckend, stellte die Inszenierung der Theaterakademie August Everding die Zuschauer vor Denksportaufgaben.

 
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Puh, das muss man erst einmal sacken lassen. Ganz am Ende steht Wilhelmine in einem Theater, das einem Schafott gleicht. Einsam singt sie im Lattengerüst von einer Depression, die nur zaghaft von Lebenswillen durchbrochen wird. Vom überzuckerten Bild einer opernbegeisterten Rokoko-Fürstin bleibt nichts übrig.

Anja Silja, die große Wagner-Interpretin, verkörpert diese alternde Wilhelmine, mit der Haltung einer Brünnhilde, die von Wotan verstoßen worden ist. Der, der all dies Elend schuf, ist ja auch tatsächlich der Vater: Friedrich Wilhelm, genannt „Soldatenkönig“, ein tumber Kommisskopp, der seine Kinder misshandelte. Friedrich zum Beispiel, den Sohn. Er wollte dem brutalen Regime seines Vaters entfliehen. Die Flucht wurde vereitelt, der Kronprinz wurde eingekerkert und gezwungen, der Hinrichtung seines Freundes und Fluchtkomplizen Hermann von Katte zuzusehen. Tochter Wilhelmine wurde der Staatsraison geopfert und nach Bayreuth verheiratet. Um dieses Doppeltrauma kreist das Drama, das Regisseur Balasz Kovalik aus Johann Adolph Hasses Oper gemacht haben. Und in diesen Schlusssekunden wird es bleischwer.

Der Mensch an sich

Im „Artaserse“ geht es eigentlich um Intrigen und Gewissenskonflikte im alten Persien. Ist lange her und weit weg vom Hohenzollernstaat der Preußen. Und noch weiter weg von der Gegenwart.

Aber nur auf den ersten Blick. Die Themen sind genau besehen die gleichen: Der Mensch an sich und das, was ihn umtreibt, wenn er sich mit einem Staat arrangieren will. Der ganz alten Geschichte die etwas weniger alte Geschichte der Wilhelmine überzustülpen und sie von heute aus zu betrachten, geht an. Auf die Idee war ja schon Wilhelmine selbst gekommen, indem sie das Stück zur Hochzeit ihrer Tochter und zur Einweihung ihres Bayreuther Opernhauses auswählte: Sie erkannte darin sich und die Geschichte ihrer Familie wieder.

Aus der Handlung zitieren Kovalik und sein Regieteam kurze Sequenzen, die sich mit der Situation der Wilhelmine decken. Das Barocktheater spielt seine Rolle – aber ebenfalls als Zitat. Kovalik ist klug genug zu wissen, dass sich die Illusionsmaschinerie gänzlich nicht wiedererwecken lässt. Nicht mit den Mitteln der Gegenwart.

Persien wird zu Preußen

Persien wird also zu Preußen und die Kamarilla der Antike zum Gefühlswirrwarr der Preußenzeit. Klingt einfach, wird aber kompliziert. Anja Silja ist die alte Wilhelmine, die sich – mal aus dem Off, mal aus Briefen lesend – an die alten Zeiten erinnert und zwischen den Geistern der Vergangenheit wandelt. Wer da ans Libretto glaubt, wird auf den Holzweg geführt, auf dem auch der landet, der sich stur an der preußischen Geschichte entlanghangelt. Warum überhaupt stehen die alle auf einmal mit Hundemasken auf der Bühne? Das kann nur wissen, wer den Briefwechsel zwischen Wilhelmine und Friedrich kennt (die beiden schlüpfen da schon auch mal in die Rollen ihrer Lieblingshunde Folichon und Biche).

Es hätte eines Seminars zuvor bedurft – dabei wollten die Leute doch nur feiern. Und das möglichst mit süffiger Barockmusik.

Immerhin, die gab es. Michael Hofstetter testete mit seiner exzellenten Hofkapelle das alte Haus noch nicht voll aus, sorgte aber für einen eleganten, swingenden und transparenten Barockklang. Hasses Klangschöpfung blühte – das war richtig gut. Die junge Sängerriege schlug sich wacker bis hervorragend, allen voran Kathrin Zukowski als „Bruder“, beziehungsweise Friedrich, Natalya Boeva als Mutter und Pauline Rinvet als „Schwester“, also junge Wilhelmine.

Die Höhepunkte: Das Bühnenbild nach Entwürfen von Csaba Antal. Das Theater im Theater sorgte für magische Augenblicke im schönen alten Haus. Und natürlich das Erbe der Wilhelmine. Die war nicht nur mit ihrem Opernhaus vertreten. Original war dieser neuer „Artaserse“ nämlich insofern, dass er nicht „original“ war. Wie sein Vorbild. Auch vor 270 Jahren fügte man unbekümmert um Werktreue zusammen, was einem passend erschien. In diesem Pasticcio war es eine Arie von Wilhelmine, „Ando a morir“, die zu den Höhepunkten des Abends zählte. Keine Nachahmungstat, sondern ein eigenständiges, seltsam berührendes Werk einer Dilettantin im ursprünglichen und damit besten Sinne, ein Lied, das ganz sacht und tiefnachtschwarz neue Wege weist. Was für eine Frau, was für eine Künstlerin!

Die Hoffnung ist nicht dabei

Jetzt sind wir wieder am Ende. Anja Silja sang also den Abgesang. Keine Arie, ein Rezitativ, das aber keiner Handlung mehr einen Weg aufzeigt. Traurigkeit und keine Rettung, nirgends und niemals. Kein Jubelchor, kein Deus ex Machina, nichts, was das Ganze zuverlässig ins Lot brächte. Ihr Bruder Friedrich hat sich aufgehängt, auf dem Höhepunkt seiner Niederlagen in seinen selbstverschuldeten Kriegen. Wir wissen, dass es nicht so war. Aber da ist Theater halt eben auch wieder der Raum, in dem die widersprüchlichsten Möglichkeiten einander begegnen. Staatsglaube, Geschwisterliebe. Nur die Hoffnung ist nicht dabei.

Wir Verunsicherten: Am Ende retten keine Götter mehr, wir sind alleingelassen. In diesem Opernhaus, das dauernd mitgespielt hat, auch wenn wir meinten, nur der Musik zu lauschen, sind wir angemessen erschöpft oder zumindest nachdenklich. Als drehten wir einen Edelstein in unseren Händen, in dessen Facetten sich verwirrend das Licht eines neuen Tages bricht.

Zu pathetisch, zugegeben. Wir haben schließlich nur der Auferstehung eines Wunderhauses beigewohnt.

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