Neues Sarrazin-Buch Ein "verständiger Laie" doziert über den Islam

Von Christopher Ziedler

BERLIN. Als Entertainer lässt sich Thilo Sarrazin nun wirklich nicht bezeichnen. Seine Stimme hebt oder senkt sich selten am Tag, als er in der Berliner Bundespressekonferenz sein neues Buch der Öffentlichkeit vorstellt. Im Verlaufe der 90 Minuten ertappt sich der ein oder andere Zuhörer in dem überfüllten Raum dabei, dass die Gedanken abschweifen und die Aufmerksamkeit nachlässt. In seinem neuen Buch "Feindliche Übernahme" wiederholt Sarrazin das, was er schon vor Jahren in "Deutschland schafft sich ab" geschrieben hat und befasst sich ohne Vorwissen mit dem Koran  

 
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Der Vortrag des ehemaligen Berliner Finanzsenators ist in seiner sprachlichen Dramaturgie nicht eben dazu angetan, die Leute von den Stühlen zu reißen. Genau das jedoch darf als die Strategie des 73-jährigen Politikpensionärs gelten. Thilo Sarrazin inszeniert sich als jemand, dem es einzig und allein um die reine Information, die neutrale, weltanschaulich unverblendete Analyse geht. Als würde in diesem Land nicht schon lange über mangelnde Integration oder die zunehmende Radikalisierung junger Muslime gesprochen, nimmt der Berliner für sich in Anspruch, als einer von ganz wenigen nüchtern auf die Realität der muslimischen Zuwanderung nach Deutschland und Europa zu blicken und alleine die Fakten aufgeschrieben zu haben. „Alles belegt“, meint Sarrazin mit Verweis auf die insgesamt 797 Fußnoten, die vielen Tabellen und Statistiken.

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Abschiebungen notfalls mit militärischen Mitteln

Am Ende seines „Indizienprozesses“, wie er Zahlen zum unterdurchschnittlichem Bildungserfolg, einer überdurchschnittlichen Abhängigkeit von Sozialleistungen oder der höheren Kinderzahl nennt, kommt er zusammen mit seiner Koran-Lektüre als „verständiger Laie“ zum Schluss, dass nicht radikale Strömungen oder Auslegungen das Problem darstellen, sondern der Islam selbst. Der sei „eine Gewaltideologie, die im Deckmantel einer Religion daherkommt“ – und wegen der überdurchschnittlichen Geburtenrate bald zum massiven Problem in Deutschland werde: „Muslime werden in zwei bis drei Generationen die Bevölkerungsmehrheit stellen, wenn es keinen Kurswechsel in der Einwanderungs- und Integrationspolitik gibt“, schreibt Sarrazin auf Seite 423 seines Werkes, das er passend dazu mit „Feindliche Übernahme“ betitelt hat.

Spätestens da ist dann Schluss mit der vermeintlich nüchternen Beschreibung realer Probleme im Zusammenleben der Religionen. Der Autor bezeichnet an diesem Tag die Einwanderung muslimischer Flüchtlinge als „Angriff“ auf die Länder Europas, weshalb die das Recht hätten, Abschiebungen in nicht kooperative Herkunftsländer notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Dass der geforderte Einwanderungsstopp für Muslime im Stile von US-Präsident Donald Trump oder die Abschaffung des Rechtsweges bei abgelehnten Asylbescheiden mit dem Grundgesetz kollidiert, ficht Sarrazin genauso wenig an wie der Applaus von Rechtsaußen.

"Dann gäbe es heute keine AfD im Bundestag"

Thilo Sarrazin sieht sich nicht als Stichwortgeber der neuen Rechten oder Wegbereiter der Pegida-Marschierer, die die von Sarrazin befürchtete „Islamisierung des Abendlands“ schon im Namen tragen. Ganz im Gegenteil gibt sich der studierte Volkswirt überzeugt davon, dass seine SPD und die anderen etablierten Parteien vor acht Jahren gut daran getan hätten, seinen Erstling namens „Deutschland schafft sich ab“ so ernst zu nehmen, wie mehr als eine Million Bundesbürger das mit dem Kauf des Buches taten. Dann, so seine These, „gäbe es heute keine AfD im Deutschen Bundestag“.

So gebärdet sich der Mann, den die NPD plakatiert und die AfD als Redner zu eigenen Parteiveranstaltungen eingeladen hat, als Unschuldslamm, wenn es um seine Rolle als Vordenker der zunehmend stärkeren Bewegung am äußersten rechten Rand geht. Nur weil Rechtsextreme seine Thesen teilten, werde er sie nicht zurücknehmen, doziert der Erfolgsautor, weil die „Pappnasen mit Hakenkreuzen“ nicht über die Grenzen der Meinungsfreiheit bestimmen dürften.

SPD will Sarrazin loswerden

Die sozialdemokratische Partei, als deren Mitglied Sarrazin weiter durch die Lande zieht, ist dessen Gerede schon lange leid. Nach zwei gescheiterten Parteiordnungsverfahren versucht es die Führungsriege erneut mit dem Appell, der Provokateur möge wegen der Unvereinbarkeit der Positionen doch bitte selbst das Parteibuch zurückgeben. Diesen Gefallen aber wird Sarrazin dem Willy-Brandt-Haus nicht tun, wie er erneut betont – mit dem Seitenhieb, dass er 1973 zum Zeitpunkt des von Brandt verordneten Zuzug-stopps für Gastarbeiter beigetreten sei und auch Kanzler Helmut Schmidt vor der kulturellen Gefahr durch hohe Einwanderungszahlen gewarnt habe: „Ich fühle mich in der SPD, in der ich aufgewachsen bin, nach wie vor gut aufgehoben.“