Neue Studie zeigt dramatische Entwicklung Zwei Millionen Arten weltweit gefährdet

/Markus Brauer

Zehntausende Tier- und Pflanzenarten gelten laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN als bedroht. Eine neue Studie zeigt: Das weltweite Artensterben ist noch dramatischer und größer als bisher angenommen.

 
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Dieses Foto zeigt einen Smaragdglasfrosch (Espadarana prosoblepon) aus Ecuador: Forscher sagen, dass der durch die Industrialisierung des Menschen verursachte weltweite Verlust der biologischen Vielfalt wesentlich alarmierender ist als bisher angenommen. Foto: R/berto Garcia-Roa/PA Media/dpa

Weltweit sind rund zwei Millionen Arten gefährdet und damit doppelt so viele wie in der jüngsten globalen Bestandsaufnahme des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) 2019 angenommen.

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Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie, die im Fachmagazin „PLOS One“ veröffentlicht wurde. In Europa ist der Studie zufolge ein Fünftel aller daraufhin untersuchten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.

14 669 Tier- und Pflanzenarten der Roten Liste

Berggorillas: Laut der Weltnaturschutzunion IUCN gibt es in Afrika noch rund 1000 Berggorillas und 90 000 Flachlandgorillas. Foto: d/pa

Orang-Utans: Gesamtbestand laut WWF rund 54 000 Tiere. Foto: d/pa

Schimpansen: Auch die anderen beiden Menschenaffen-Arten, Schimpansen und Bonobos, sind gefährdet. Nach Schätzungen des WWF beläuft sich die Zahl der Schimpansen in Afrika auf 400 000 bis 500 000. Foto: d/pa

Bonobos: Laut IUCN sind Bonobos stark gefährdet. Die Menschenaffen leben vor allem im tropischen Regenwald der Demokratischen Republik Kongo; Bestand: 15 000 bis 20 000. Foto: d/pa

Löwen: Bestand in Afrika circa 35 000 Tiere, davon rund 10 000 erwachsene Exemplare. Vor allem in West- und Zentralafrika sind die Bestände klein, voneinander isoliert und stark rückgängig. Foto: d/pa

Elefanten: Rund 350 000 Elefanten leben noch in Afrika in freier Wildbahn. Jedes Jahr werden nach Schätzungen des WWF 20 000 von ihnen wegen ihres Elfenbeins gewildert. Foto: d/pa

Tiger: Bestand laut WWF in den 13 Tiger-Verbreitungsstaaten mehr als 3000. Foto: d/pa

Mausmaki: Er gehört zu den Lemuren und lebt ausschließlich auf Madagaskar. Laut IUCN stellt der Mausmaki eine der weltweit am stärksten vom Aussterben bedrohte Gruppe von Säugetieren dar. Foto: d/pa

Die Forscher hatten alle 14 669 Tier- und Pflanzenarten in die Studie aufgenommen, die Ende 2020 auf der Roten Liste für Europa standen. Das sind zehn Prozent der Arten des Kontinents. Auf diese Liste stellt die Weltnaturschutzunion (IUCN) Arten, deren Bestand analysiert ist. Sehr viele sind nicht oder gering gefährdet, andere aber vom Aussterben bedroht oder gar schon ausgestorben.

Fast 20 Prozent von Europas Arten bedroht

Das Team um Erstautor Axel Hochkirch vom Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg und der Universität Trier analysierte Wirbeltierarten Europas sowie wichtige wirbellose Tiergruppen wie Schmetterlinge und Bienen und verschiedene Pflanzenarten.

2839 der 14 669 von dem Team untersuchten Arten, insgesamt fast 20 Prozent, sind in Europa demnach vom Aussterben bedroht. 125 Tier- und Pflanzenarten gelten bereits jetzt als ausgestorben, regional ausgestorben oder möglicherweise ausgestorben.

Mehr Arten vom Aussterben bedroht als angenommen

Andere Experten halten die aktuellen Daten für äußerst relevant und glaubwürdig. So erklärt Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität an der Universität Hamburg: „Die neue Studie zeigt erheblich schärfer und umfassender als zuvor, dass deutlich mehr Arten vom Aussterben bedroht sind.“

Mit neuen Datensätzen errechnete das Team auch die Anzahl der weltweit vom Aussterben bedrohten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten: Mit zwei Millionen ist die Zahl doppelt so hoch wie im jüngsten IPBES-Bericht aus dem Jahr 2019. Die Verdopplung innerhalb weniger Jahre lasse sich mit neuen und genaueren Informationen begründen, erklärt Josef Settele, Mitautor dieses IPBES-Berichts.

Ursachen für aussterbende Biodiversität

Die Ursachen für das Artensterben sind vielfältig, als größte Bedrohung sieht das Team die intensive wirtschaftliche Nutzung von Landflächen und Meeren, die zum Verlust von Lebensräumen führt.

Doch die Forscher sehen auch Grund zur Hoffnung: Neuansiedlungen von Tierarten und ein besonderer Schutz können helfen, die Artenvielfalt zu erhalten. „Wichtig ist es, Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Arten einzuleiten. Diese zeigten bei Wirbeltieren ja schon viel Erfolg, was die Ausbreitung früher gefährdeter Arten, wie Schwarzstorch, Seeadler, Wanderfalke, Uhu und Fischotter beweist“, betont Hochkirch.

Info: Artensterben

Artensterben
Während die Welt der Tiere schrumpft, expandiert die der Menschheit. Die Zahl der Menschen hat sich seit 1960 auf 7,7 Milliarden verdoppelt. In den zurückliegenden Erdzeitaltern gab es fünf große Massensterben. Derzeit erlebe der Planet durch das Einwirken des Menschen seine sechste „Massenauslöschungsperioden“, warnen die Forscher (hierzu auch das Buch der US-Wissenschaftsjournalistin und Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Kolbert „The Sixth Extinction“ – „Das sechste Sterben – Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt“, Berlin 2015)

Mensch und Umwelt
Doch es gibt einen Unterschied: In der Urzeit hatte das Aussterben natürliche Ursachen – Einschläge von Asteoriden- und Meteoriten, Klimawandel, Vulkanismus, verdunstende Meere. Heute ist es der Mensch, der versucht Evolution zu spielen und damit sein eigenes Überleben riskiert. Durch Intensiv-Landwirtschaft, Brandrodung, Umweltverschmutzung und Überfischung raubt er immer mehr Tieren und Pflanzen ihren Lebensraum. An jeder bedrohten Art hängen weitere, die für das Überleben als Nahrung oder Symbiose-Partner unentbehrlich sind.

Eskalierender Prozess
Wenn eine bestimmte Tier- oder Pflanzenart ausstirbt, hat dies Folgen für andere Arten. Beispiel: die Gopher-Schildkröte. Sie gräbt Löcher, die von mehr als 350 anderen Arten als Verstecke, Brutplätze oder Ausweichort bei extremen Temperaturen genutzt werden. Die Folge: Stirbt die Schildkröte aus, gefährdet dies auch andere Arten. Der Bericht warnt zudem: Wenn ein Ökosystem mehrere besonders stark vernetzte Arten verliert, kollabiert es schließlich.