An seinen ersten Tag kann sich Pistor noch sehr gut erinnern. Was ihn besonders beeindruckt hat, war die Größe der Anlage. Er hatte es sich kleiner vorgestellt. Damals war der IT-Mann mit im Tal. Er traf einen Winzer, der die Flut miterlebte: „Die waren auf dem Dach gesessen und haben gehofft, dass das Gebäude hält, aber es hatte halt schon sein Alter. Ein paar Meter weiter hat es sein Gebäude weggeschwemmt – mit den Leuten.“ Andererseits erstaune es den Kulmbacher aber, wie viele Helfende kommen und wie viel Material gespendet wird. In seinen ersten vier Wochen ging seine Helferschicht um halb sieben Uhr früh los und endete abends um elf. Jeden Tag ohne Pause, kein Wochenende. Erschöpfend war es allemal, „aber es war irgendwie eine ganz andere Art von Stress. Man wusste, wofür man es macht.“ Die Stimmung im Camp sei auch sehr gut, weil jeder freiwillig hier wäre und alle das gleiche Ziel hätten.
Heute sind viele Ortschaften, wie es im Ahrtal umgangssprachlich heißt, „besenrein“. Die großen Schuttberge sind größtenteils weg. Jetzt gilt es die Häuser zu entkernen und winterfest zu machen. Teilweise fangen schon die ersten Sanierungsarbeiten an, es wird neu verputzt oder der Bautrockner kommt zum Einsatz. In den kommenden Wochen wird die Nachfrage nach Elektrikern, Heizungsbauern, Verputzern, Malern und Maurern groß sein. Gleichzeitig müssen nach wie vor Keller ausgeräumt und Putz abgeklopft werden.
Für Pistor siegt nicht nur das gute Gefühl: „Da entstehen auf jeden Fall Freundschaften, die auch bleiben.“ Pistor erzählt von Helfern, die sechs Wochen im Flutgebiet waren, die sich bei ihren Arbeitgebern freistellen lassen oder ihren Jahresurlaub verbraucht haben, um im Ahrtal zu helfen. „Da ist man weiterhin in Kontakt.“
Auch Alexander Meile bereitet sich auf seine Fahrt ins Ahrtal vor. Er ist Vorstandsmitglied der Innung SHK Kulmbach und macht Werbung in Betrieben für die Fahrt ins Flutgebiet. Hier erhofft er sich, die dringend benötigten Installateure und Fachkräfte zu finden. Meile war beeindruckt vom Pragmatismus seines Mainleuser Kollegen, der „nicht so wie die deutsche Norm“ arbeite. Die Helferinnen und Helfer hielten sich eben nicht auf mit rechtlichen Hindernissen. „Sie wollen anpacken.“
Neben der Arbeiten in den baufälligen Häusern suchen Winzereien Unterstützer für die Traubenernte. Aufgrund des schlechten Wetters sei die Ernte vier Wochen zu spät, das bedeutet, Rebenschneiden und Weinstöcke reduzieren muss so schnell wie möglich erfolgen. Bevor es zu kalt wird. Doch Meile ist sich sicher: „Tim bringt alle an den richtig Ort“
Weitere Mithelferinnen und Mithelfer werden händeringend gesucht. Sicher geplant sind bereits zwei Fahrten vom 22. bis 24. Oktober und vom 29. bis 31. Oktober. An diesen Wochenenden kommen die Freiwilligen im Helfer-Camp unter, werden verpflegt und können die sanitären Anlagen nutzen. Danach werden an den folgenden Wochenenden weitere Reisebusse beschafft– sollten sich genügend Freiwillige melden. Die Organisation läuft über zweiten Bürgermeister Frank Wilzok, und Natalja Kausich aus Danndorf, die bereits zu Beginn der Aufräumarbeiten im Ahrtal einen Lkw mit Lebensmitteln und Baumaterial auf den Weg geschickt haben. Ende Juli startete sie ihre Spendenaktion. Später sprach sie mit Bürgermeister Wilzok, ob sie denn nicht mehr machen könnte. Eine Inspiration dafür war ihre Mutter Ursula: „Sie wollte längerfristig helfen. Sie wollte nicht, dass es eine einmalige Sache ist.“
Schließlich kam die 29-Jährige dem Hilferuf von Pistor und Helfer-Shuttle-Gründer Thomas Pütz nach und sucht jetzt Freiwillige und Fachkräfte, die im Ahrtal helfen möchten. Ein auf dem Handy gefilmtes Video, das Pütz zwischen den gespendeten Bierfässern zeigt, verbreitete sie über Facebook, um die Kulmbacher um Hilfe zu bitten. Kausich weiß, dass die dringend gebrauchten Freiwilligen im Winter weniger werden. Die Lehramtsstudentin überlegt auch, ihre Gymnasiasten mit ins Boot zu holen, muss aber noch rechtliche Hürden überwinden. 16- bis 18-Jährige dürften nicht ohne Erziehungsberechtigten ins Ahrtal fahren. Jetzt heißt es aber erst mal abwarten: Bis 17. Oktober können sich Interessierte unter der E-Mail-Adresse kulmbach-hilft-ahrtal@web.de melden, erst dann können in Zusammenarbeit mit dem Helfer-Shuttle weitere Schlafplätze organisiert werden. Die 29-Jährige ist optimistisch, dass sich viele melden. Einen Tag nach dem Facebook-Auftritt zählte sie zehn Anmeldungen. Wünschenswert wären mindestens 30 pro Wochenende.
Wer auf eigene Faust helfen möchte, kann selbst den Helfer-Shuttle in Anspruch nehmen. Die Wohnmobilstellplätze stehen auch für private Pkw und Zelte bereit. Es gibt Unterkünfte mit Betten und Dusch-Containern. Neben den Bussen am Wochenende gibt es ein eigenes Spendenkonto von Bürgermeister Wilzok. Der hat für die Kulmbacher Helferinnen und Helfer etwa 40 Übernachtungsmöglichkeiten gebucht – das war seine Voraussetzung für den Helferaufruf. Er ist positiv gestimmt, dass der geplante Reisebus voll sein wird.
Bis 17. Oktober wartet er auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung, aber schon jetzt bekommt er jeden Tag E-Mails und Anrufe von Kulmbachern: „Die Leute erzählen auch gleich, was sie alles mitbringen können: Handschuhe, Gummistiefel, Schaufeln.“ Das Wochenende in den Herbstferien möchte der zweite Bürgermeister nutzen, um selbst in einen der Busse zu steigen.