Nach der Flut bleibt viel zu tun Kulmbach hilft

Trost im Überflutungsgebiet Foto: Tim Pistor

Der Mainleuser Tim Pistor war in den Alpen unterwegs, als das Ahrtal überflutet wurde. Er unterbrach sein „Sabbatical“ und begann vor Ort zu helfen. Jetzt hofft er auf weitere Unterstützung aus seiner Heimat.

 
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Ringen/Kulmbach - In einem unscheinbaren Gewerbegebiet in Grafschaft an der A 61 ist der Mainleuser Tim Pistor in seinem Element. Der freiberufliche Software-Entwickler sitzt im Backoffice im Ortsbezirk Ringen des sogenannten Helfer-Shuttels und koordiniert Helfende und Ressourcen so, dass die richtigen Hände zu den richten Werkzeugen finden. Jetzt will Pistor nochmal richtig Gas geben und bittet dafür die Menschen im Kulmbacher Land um Mithilfe.

Im August kam Tim Pistor vier Wochen nach der Überflutung ins Ahrtal. Dafür unterbrach der 36-Jährige sogar seine Alpenüberquerung – sein „Sabbatical“. Die Bilder von schlammdurchfluteten Kellern und Menschen, die sich auf ihre Dächer retteten, waren für ihn ein klarer Appell, selbst tätig zu werden. Als „Scout“ war er zunächst in Altenahr menschliche Schnittstelle zwischen Freiwilligen und dem Baumaterial. Er führte die Helfenden an den passenden Ort, schaute, dass sie etwas zu essen bekamen, verteilte Werkzeuge und Baustoffe. Schließlich programmierte der Kulmbacher eine IT-Lösung, die seinen Job übernahm.

Die Gründer des Helfer-Shuttles, Thomas Pütz und Marc Ulrich, arbeiten wie Pistor in komplett anderen Richtungen. Der eine erstellt Marketing-Strategien, der andere hat ein Sanitätshaus. Was mit einem Pavillion und einer Bierbank anfing, wurde innerhalb weniger Wochen zur Zentrale für die Freiwilligen rund um das Gebiet Bad Neuenahr-Ahrweiler. Von den anfänglichen Koordinationsproblemen ist nichts mehr zu sehen: Helfende können einfach ohne Anmeldung vorkommen, werden eingeteilt und mit Bussen in die betroffenen Gebiete gefahren. Auf der eigenen Webseite gibt es reichlich Informationen: Arbeitskleidung ist von Vorteil, aber kein Muss. Wichtig sind Gummistiefel, Handschuhe und Masken – gegen Corona und den Staub.

Der Bedarf an freiwilligen Helfern war so hoch, erinnert sich Pistor, dass es nun auch die Helfer zu versorgen galt. Die Menschen kamen in den ersten Wochen nach der Flutkatastrophe am Abend erschöpft von der Baustelle und haben gerade am Anfang viele Menschen gesehen, deren Existenzen auf dem Spiel standen. Um diese physischen und psychischen Belastungen kümmerten sich laut Pistor Seelsorger und Psychologen. Auch Verletzte wurden von Ärzten im Sanitätszelt versorgt. Das Rote Kreuz kochte jeden Tag und fuhr zu den Versorgungsstellen im Tal. Der Kulmbacher nennt das Camp auf der grünen Wiese ein „Katastrophenhilfe-Start-Up“: „Das ist alles von Grund auf nach Bedarf entstanden und alles durch Freiwillige. Hier war keiner da, der gesagt hat, er ist fest angestellt, sondern das ist alles auf freiwilliger Spenden-Basis.“

Mittlerweile befinden sich am Camp in Ringen zwei Parkplätze, zwei Wiesen mit Wohnmobilen und -wägen und nochmal zwei Wiesen, einmal mit Disposition und Fuhrpark, einmal mit dem Sanitätszelt und Catering. Am Wochenende kommen bis zu 2500 Helfer, die über ihn geshuttelt werden. Das lange Ahrtal hat 15 Ortschaften, die sie direkt anfahren.

An seinen ersten Tag kann sich Pistor noch sehr gut erinnern. Was ihn besonders beeindruckt hat, war die Größe der Anlage. Er hatte es sich kleiner vorgestellt. Damals war der IT-Mann mit im Tal. Er traf einen Winzer, der die Flut miterlebte: „Die waren auf dem Dach gesessen und haben gehofft, dass das Gebäude hält, aber es hatte halt schon sein Alter. Ein paar Meter weiter hat es sein Gebäude weggeschwemmt – mit den Leuten.“ Andererseits erstaune es den Kulmbacher aber, wie viele Helfende kommen und wie viel Material gespendet wird. In seinen ersten vier Wochen ging seine Helferschicht um halb sieben Uhr früh los und endete abends um elf. Jeden Tag ohne Pause, kein Wochenende. Erschöpfend war es allemal, „aber es war irgendwie eine ganz andere Art von Stress. Man wusste, wofür man es macht.“ Die Stimmung im Camp sei auch sehr gut, weil jeder freiwillig hier wäre und alle das gleiche Ziel hätten.

Heute sind viele Ortschaften, wie es im Ahrtal umgangssprachlich heißt, „besenrein“. Die großen Schuttberge sind größtenteils weg. Jetzt gilt es die Häuser zu entkernen und winterfest zu machen. Teilweise fangen schon die ersten Sanierungsarbeiten an, es wird neu verputzt oder der Bautrockner kommt zum Einsatz. In den kommenden Wochen wird die Nachfrage nach Elektrikern, Heizungsbauern, Verputzern, Malern und Maurern groß sein. Gleichzeitig müssen nach wie vor Keller ausgeräumt und Putz abgeklopft werden.

Für Pistor siegt nicht nur das gute Gefühl: „Da entstehen auf jeden Fall Freundschaften, die auch bleiben.“ Pistor erzählt von Helfern, die sechs Wochen im Flutgebiet waren, die sich bei ihren Arbeitgebern freistellen lassen oder ihren Jahresurlaub verbraucht haben, um im Ahrtal zu helfen. „Da ist man weiterhin in Kontakt.“

Auch Alexander Meile bereitet sich auf seine Fahrt ins Ahrtal vor. Er ist Vorstandsmitglied der Innung SHK Kulmbach und macht Werbung in Betrieben für die Fahrt ins Flutgebiet. Hier erhofft er sich, die dringend benötigten Installateure und Fachkräfte zu finden. Meile war beeindruckt vom Pragmatismus seines Mainleuser Kollegen, der „nicht so wie die deutsche Norm“ arbeite. Die Helferinnen und Helfer hielten sich eben nicht auf mit rechtlichen Hindernissen. „Sie wollen anpacken.“

Neben der Arbeiten in den baufälligen Häusern suchen Winzereien Unterstützer für die Traubenernte. Aufgrund des schlechten Wetters sei die Ernte vier Wochen zu spät, das bedeutet, Rebenschneiden und Weinstöcke reduzieren muss so schnell wie möglich erfolgen. Bevor es zu kalt wird. Doch Meile ist sich sicher: „Tim bringt alle an den richtig Ort“

Weitere Mithelferinnen und Mithelfer werden händeringend gesucht. Sicher geplant sind bereits zwei Fahrten vom 22. bis 24. Oktober und vom 29. bis 31. Oktober. An diesen Wochenenden kommen die Freiwilligen im Helfer-Camp unter, werden verpflegt und können die sanitären Anlagen nutzen. Danach werden an den folgenden Wochenenden weitere Reisebusse beschafft– sollten sich genügend Freiwillige melden. Die Organisation läuft über zweiten Bürgermeister Frank Wilzok, und Natalja Kausich aus Danndorf, die bereits zu Beginn der Aufräumarbeiten im Ahrtal einen Lkw mit Lebensmitteln und Baumaterial auf den Weg geschickt haben. Ende Juli startete sie ihre Spendenaktion. Später sprach sie mit Bürgermeister Wilzok, ob sie denn nicht mehr machen könnte. Eine Inspiration dafür war ihre Mutter Ursula: „Sie wollte längerfristig helfen. Sie wollte nicht, dass es eine einmalige Sache ist.“

Schließlich kam die 29-Jährige dem Hilferuf von Pistor und Helfer-Shuttle-Gründer Thomas Pütz nach und sucht jetzt Freiwillige und Fachkräfte, die im Ahrtal helfen möchten. Ein auf dem Handy gefilmtes Video, das Pütz zwischen den gespendeten Bierfässern zeigt, verbreitete sie über Facebook, um die Kulmbacher um Hilfe zu bitten. Kausich weiß, dass die dringend gebrauchten Freiwilligen im Winter weniger werden. Die Lehramtsstudentin überlegt auch, ihre Gymnasiasten mit ins Boot zu holen, muss aber noch rechtliche Hürden überwinden. 16- bis 18-Jährige dürften nicht ohne Erziehungsberechtigten ins Ahrtal fahren. Jetzt heißt es aber erst mal abwarten: Bis 17. Oktober können sich Interessierte unter der E-Mail-Adresse kulmbach-hilft-ahrtal@web.de melden, erst dann können in Zusammenarbeit mit dem Helfer-Shuttle weitere Schlafplätze organisiert werden. Die 29-Jährige ist optimistisch, dass sich viele melden. Einen Tag nach dem Facebook-Auftritt zählte sie zehn Anmeldungen. Wünschenswert wären mindestens 30 pro Wochenende.

Wer auf eigene Faust helfen möchte, kann selbst den Helfer-Shuttle in Anspruch nehmen. Die Wohnmobilstellplätze stehen auch für private Pkw und Zelte bereit. Es gibt Unterkünfte mit Betten und Dusch-Containern. Neben den Bussen am Wochenende gibt es ein eigenes Spendenkonto von Bürgermeister Wilzok. Der hat für die Kulmbacher Helferinnen und Helfer etwa 40 Übernachtungsmöglichkeiten gebucht – das war seine Voraussetzung für den Helferaufruf. Er ist positiv gestimmt, dass der geplante Reisebus voll sein wird.

Bis 17. Oktober wartet er auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung, aber schon jetzt bekommt er jeden Tag E-Mails und Anrufe von Kulmbachern: „Die Leute erzählen auch gleich, was sie alles mitbringen können: Handschuhe, Gummistiefel, Schaufeln.“ Das Wochenende in den Herbstferien möchte der zweite Bürgermeister nutzen, um selbst in einen der Busse zu steigen.

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