Nach der Bluttat arbeiten Retter „ängstlich“ – Drogen als Krankheitshintergrund? Die Angst des Messerstechers

Von Manfred Scherer

„Unbedingter Vernichtungswille“. Das unterstellt die Staatsanwaltschaft dem 27-jährigen Mann, der im August 2015 mit einem Messer eine Notärztin und drei Sanitäter schwer verletzte und deshalb jetzt vor Gericht steht. Der psychisch Kranke selbst sagte nach der Bluttat einer Polizistin: „Ich habe Angst gehabt und habe deshalb das Messer geholt.“ Vernichtungswille und Angst – wie passt das zusammen?

Mit Hilfe eines Polizeihundes konnte ein Spezialeinsatzkommando den Messerstecher aufspüren. Der Mann, der am 10. August 2015 im Lessingweg eine Notärztin und drei Sanitäter mit einem Messer schwer verletzt hatte, steht zurzeit vor Gericht. Weil er als nicht schuldfähig gilt, soll er als gefährlicher Straftäter in die Psychiatrie eingewiesen werden. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Das Bayreuther Schwurgericht tastet sich langsam an die Hintergründe für eine bislang nicht dagewesene Tat heran: Menschen, die einem Kranken helfen wollen, werden von ihm beinahe umgebracht. Wie berichtet, kamen eine Notärztin und ihre drei Kollegen vom Roten Kreuz nur knapp mit dem Leben davon. Die Notärztin wird mutmaßlich ihr Leben lang an den Folgen tragen – ihr linker Arm ist gelähmt, weil ein Messerstich des Angreifers Nerven durchtrennt hatte. Ein 37-jähriger Rettungsassistent hatte Riesenglück im Unglück: Wie ein Chirurg aussagte, seien die Stichverletzungen des Sanitäters so gewesen, dass eine Großoperation mit Eröffnung der Bauchhöhle eine der Möglichkeiten war. Man habe sich für eine konservative Behandlung entschieden – im Nachhinein die richtige Entscheidung. Alle Sanitäter sind wieder im Dienst. Ein Notarzt, der damals die verletzten Kollegen versorgte spricht für alle, wenn er sagt: „Nach diesem Vorfall sind wir Retter durchaus verängstigt.“

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Warten auf das Gutachten des Psychiaters

Was also war der Anlass für den Beschuldigten, derart auszurasten? Die Staatsanwaltschaft sieht den Hintergrund in einer schweren psychischen Erkrankung – offenbar wurde während der bisherigen einstweiligen Unterbringung des Messerstechers in der Psychiatrie eine Schizophrenie diagnostiziert. Da aber ein entsprechendes Gutachten im Prozess noch nicht erstattet ist, müssen Beobachter, die die Akten nicht kennen, aufgrund von Hinweisen aus der Beweisaufnahme Schlüsse ziehen.

Lieber Cannabisrauchen als Medikamente nehmen

So gibt es zum Beispiel den Hinweis, dass der Beschuldigte seit langem Cannabis, also Haschisch oder Marihuana konsumiert. Und die psychische Erkrankung durch den Drogenkonsum entstanden sein könnte. Das vermutete bereits ein Arzt Ende 2013. Die Arbeitsagentur hatte den erfolg- und antriebslosen Beschuldigten zu ihm geschickt. Eineinhalb Jahre später erfuhr der Arzt durch eine Untersuchung der Univerität Erlangen: Der junge Mann leidet außer an einer möglichen psychischen Erkrankung überdies an Epilepsie. Als Zeuge vor Gericht berichtete der Arzt: „Er erklärte mir, er wolle die Epilepsiemedikamente nicht nehmen. Er erklärte mir auch, dass er weiterhin THC konsumieren werde.“ Hintergrund: THC ist die Abkürzung für Tertrahydrocannabinol, den in Haschisch oder Marihuana enthaltenen Wirkstoff.

Ein Notarzt hat Schauspiel-Verdacht

Von all den möglichen Hintergründen merkte ein zweiter Notarzt, der zu dem Blutbad im Lessingweg gerufen wurde, nichts. Nachdem das Spezialeinsatzkommando den Beschuldigten mit Hilfe eines Polizeihundes im Haus Nr. 10 im Lessingweg aufgestöbert hatte, sah der Notarzt den festgenommenen Beschuldigten so: „Er machte auf mich einen vollkommen klaren Eindruck. Ihm war klar, was passiert war. Aber es interessierte ihn nicht. Ihm fehlte die Empathie.“ Der Zeuge deutete an, dass der Beschuldigte nach seinem Gefühl eine Art Schauspielerei ablieferte: „Drogenkonsum hat er zunächst verneint. Er saß dabei ganz lässig und locker. Aber plötzlich wurde er angespannt, und mir kam es so vor, dass ihm ein Licht aufging. Er erklärte, er sei ja gar nicht ganz da gewesen. Er sagte, er habe Spiritus getrunken.“

Spiritus mit Honig als Sommergetränk

Spiritus? Wer macht sowas? An einem solche heißen Tag wie an jenem10. August? Die Ermittlerin der Kripo berichtet als Zeugin, der Beschuldigte habe ihr erzählt, tatsächlich Spiritus getrunken zu haben. Weil er keinen anderen Alkohol habe finden können. Genießbar gemacht habe er den Spiritus durch Verdünnen und mit Honig.

Bei der Kriminalbeamtin spielte ein Herausreden auf eine mögliche Schuldunfähigkeit zunächst keine Rolle: Der Beschuldigte hatte der Ermittlerin gesagt, ihm sei an jenem Tag beim Gartenzaunstreichen schwarz vor Augen geworden. Nachdem er mit einer Beule am Kopf erwacht sei, habe er nicht an einen epileptischen Anfall geglaubt. Sondern angenommen, sein Nachbar oder dessen Sohn hätten ihn angegriffen. Aus Angst habe er sich mit dem Messer bewaffnet. Was danach passierte, sei „ihm vorgekommen wie im Traum.“ Die Zeugin: „Er wollte über diese Erinnerung nur mit seinem Anwalt reden.“

Der Prozess wird am 13. April fortgesetzt.

Die Vorgeschichte: