Nach Attacke auf SPD-Stadtrat „Was ist, wenn er ein Messer gehabt hätte?“

Die Täter sind gefasst, aber die Angst bleibt: Der Bayreuther SPD-Stadtrat Halil Tasdelen war am Freitag, seinem 49. Geburtstag, direkt vor seinem Haus zunächst ausländerfeindlich beleidigt, dann schwer verletzt worden: Der 35-jährige Valentin S. aus Bayreuth hatte dem Politiker mit einem Kopfstoß die Nase gebrochen. Er wurde noch in der Nacht festgenommen. Tasdelen sagt am Tag danach: „Was ist, wenn der ein Messer gehabt hätte?“ Und er macht der Polizei Vorwürfe, sie hätten anfangs zu zögerlich ermittelt.

 
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Noch am Samstag sind die Blutspuren auf dem Pflaster der Badstraße zu sehen, dort, wo Valentin S. den Stadtrat Tasdelen attackiert hat. Tasdelens Nase ist nach dem doppelten Nasenbeinbruch immer noch bandagiert, immer wieder blutet es leicht, auch seine Augen sind seit der Attacke blau angelaufen. Aber er zeigt Passanten, was am Freitagnachmittag direkt vor seinem Haus passiert ist.

Dort steht er mit einem Kollegen, sie unterhalten sich. Eine Frau gegenüber, F., 39 Jahre alt, beleidigt ihn immer wieder rassistisch aus ihrem Fenster im ersten Stock. „Scheiß-Türke“ oder „Scheiß-Kanake“. Tasdelen ignoriert sie, er kennt sie.

Polizeibekannter Mann

Dann hört er laute Musik, sieht ein Pärchen um die Ecke aus Richtung Innenstadt kommen. Blonde Frau, tätowierter Mann, kurze Haare, kurze Hose, drahtig und muskulös – Valentin S. Er ist ein polizeibekannter Mann in Bayreuth, Milieu, Schlägereien, Einbruch.

Inzwischen ist er auf Höhe Tasdelens, die Frau, die vorher am Fenster war ist unten und umarmt ihren Freund S. „Was schaust du so“, raunzt er Tasdelen an. Er schaue doch nicht.

Wieder fallen dieselben rassistischen Beleidigungen, diesmal von S., der jetzt von der anderen Straßenseite in Richtung Tasdelen geht. Der geht ihm entgegen. „Lass uns doch normal reden.“

Kopfstoß wie aus dem Nichts

Und dann holt S. wie aus dem Nichts zum Kopfstoß aus. Doppelter Nasenbeinbruch. S. rennt durch die Tür des Hauses, in dem seine Freundin F. wohnt und verschwindet wohl durch den Garten. Als die Polizei die beiden Frauen vernimmt, sagen die zunächst, sie hätten nichts gesehen. „Das kann nicht sein“, sagt Halil, die seien dabei gewesen.

Nachts überschlagen sich die Ereignisse. Gegen 22 Uhr ruft jemand aus eben diesem Haus die Polizei, weil F., die Freundin des Schlägers, sehr laut sei und schreie. Sie soll sich heftig gewehrt haben und die Beamten beschimpft haben. Diese nehmen sie mit.

„Das war keine Verhaftung“, sagt Sebastian Herrmann, der Sprecher der Polizei Oberfranken. Den ganzen Samstag ist die Wohnung aber leer, die Vorhänge bewegen sich nicht, keiner geht an die Tür. F. könnte also in die Psychiatrie gekommen sein.

Valentin S. war öfter bei ihr, hat auch dort geschlafen, sagen Nachbarn. Sogar die Polizei habe bei F. nach ihm gesucht. Man habe ihn meist auch gehört, weil er sehr laut war. Im Haus heißt es, es rieche oft „chemisch“, was auf Drogen hinwiese.

Auch in der Wohnung von Valentin S. bleibt es ruhig. Er wohnt am anderen Ende der Stadt, nicht weit weg vom Bahnhof. Keiner reagiert auf Klopfen oder Klingeln, die Post ist nicht aus dem Briefkasten geholt. Nach Informationen unserer Zeitung war er noch im Gefängnis.

Vorwürfe gegen die Ermittler

Unterdessen erhebt Tasdelen Vorwürfe gegen die Ermittler – wegen anfänglich zu lascher Ermittlungen. Er hat nach seiner Behandlung zusammen mit seinem Arzt den ausländerfeindlichen Schläger fast beim Tatort noch einmal gesehen. „Um 17.01 Uhr“, sagt er.

Sofort habe er die Polizei angerufen. Die allerdings habe nicht kommen können und ihn aufgefordert, selbst Fotos zu schießen. Erst als Tasdelens Bruder, der SPD-Landtags-Abgeordnete Arif Tasdelen (48), Bilder des Opfers im Internet veröffentlich habe mit dem Hinweis auf eine eventuell rechtsextrem motivierte Straftat, habe die Polizei den Staatsschutz eingeschaltet.

Dem widerspricht Polizei-Sprecher Herrmann mit dem Verweis auf den „Ermittlungserfolg“, der „für sich spricht“. Man habe „intensivst ermittelt“, wie es eine solche Tat erfordere. Ob die Polizei für die Weiterermittlung gleich nochmal ausrücke, hänge von der Einsatzlage ab.

Auch der Staatsschutz habe sich nach der „Ermittlungs-Einstufung“ eingeschaltet, als also eine rassistisch motivierte Straftat im Raum stand.

Die Freundin von S. sei nicht festgenommen worden, weil keine Gründe für eine Verhaftung vorgelegen hätten. Die Ermittlungen liefen weiter. Zu allem weiteren schweigen die Ermittler: Etwa ob F. in einer nächtlichen Vernehmung den Namen ihres Freundes Valentin S. genannt habe. Wo er verhaftet wurde und ob er gestanden hat oder nicht. Es gibt Fotos von S. kurz nach der Tat, wo er anders gekleidet seelenruhig durch die Stadt geht.

Deutschlandweites Aufsehen

Tasdelen macht sich inzwischen richtige Sorgen. „Was ist, wenn er ein Messer gehabt hätte?“, fragt er. Ihm helfe der große Zuspruch der Bayreuther. Viele hätten sich entschuldigt, eine Frau habe sogar geweint.

Der Fall hat deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. SPD-Vorsitzend Saskia Esken schrieb „Wir stehen an deiner Seite, wir stehen gegen Rassismus“.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schrieb, er hoffe, „der/die Täter werden schnell gefasst und bestraft“. Der Landesvorstand der bayerischen SPD verurteilte den Angriff „auf das Schärfste und versteht ihn als Angriff auf uns alle“. Die Partei stehe „an der Seite der Betroffenen von Rassismus und rechtsextremer Gewalt, heute und jeden Tag“. Rassismus fange nicht erst mit Gewalt an: „Er beginnt im Alltag und dagegen müssen wir uns stellen.“
 

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