Nach Abschiebung Hunger und Heimweh nach Selb

Christl Schemm
Immerhin sauber, trocken und besser, als auf dem Friedhof zu schlafen: Mit sieben weiteren jungen Männern teilt sich Mohammed Helal Sawas zurzeit dieses mit Schlafkojen ausgestattete Zimmer eines Hostels in Riga. Die Kosten dafür trägt sein Betreuer, Pfarrer Klaus Wening aus Marktredwitz. Foto: pr.

Anfang Mai schiebt die Zentrale Ausländerbehörde einen jungen Syrer nach Lettland ab. Nach wie vor bekommt er von der dortigen Regierung keinerlei Unterstützung.

 
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Nein, ein Selfie möchte er nicht schicken. Mohammed Helal Sawas schämt sich. „Mir geht es gar nicht gut, und ich sehe schlecht aus“, sagt der junge Syrer. Anfang Mai hat ihn die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) der Regierung von Oberfranken nach Lettland abschieben lassen – und damit aus seiner Familie gerissen, die seit etlichen Jahren in Selb lebt. Nach furchtbaren Nächten, die der 18-Jährige zunächst auf einem Friedhof in Lettlands Hauptstadt Riga verbrachte, hat er nun wenigstens ein Dach über dem Kopf und ein Bett zum Schlafen. Die Kosten dafür, für Essen und weitere Dinge des täglichen Bedarfs trägt im Wesentlichen Pfarrer Klaus Wening aus Marktredwitz, der den Jugendlichen zusammen mit anderen Helferinnen und Helfern aus Selb seit einiger Zeit betreut.

Kein Geld in Lettland

Denn entgegen dem Zusagen der ZAB hat der Jugendliche von der lettischen Regierung keine finanziellen Mittel bekommen, um seinen Lebensunterhalt nach der Abschiebung in das baltische Land zu bestreiten. Auch für die Unterkunft sorgt Lettland nicht.

Wie berichtet, war Mohammed Helal Sawas am 4. Mai an einer Bushaltestelle in Selb auf dem Weg zur Schule von der Polizei festgenommen, in das Abschiebegefängnis nach München gebracht und fünf Tage später nach Lettland ausgeflogen worden – vollkommen mittellos, ohne jegliches Gepäck und ohne sich von seiner Familie verabschieden zu können.

Will ZAB Geld für Abschiebung?

Nach Tagen des Umherirrens und der Weigerung lettischer Behörden zu helfen hat der junge Mann Beistand bei der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lettland gefunden. Dorthin schickt Pfarrer Wening auch das Geld, mit dem Mohammed überleben kann. „Es ist jetzt besser als am Anfang“, sagt er am Telefon. „Aber ich bekomme immer noch kein Geld von der Regierung.“ Das Essen, das er sich kaufen könne, reiche nicht, er habe immer Hunger. Denn er wolle mit dem Geld von Pfarrer Wening gut haushalten. So schwingt neben Traurigkeit, dem Gefühl des Verlassenseins und der Ohnmacht auch eine Portion Sarkasmus und Wut mit, wenn er über die Abschiebung und die Ausländerbehörde spricht: „Ich bedanke mich bei der ZAB, dass sie mich auf der Straße gelassen hat. Ich konnte vor der Abschiebung nicht mehr nach Hause, um Kleidung oder Geld zu holen. Die ZAB hat mich angelogen. Ich bekomme in Lettland gar nichts.“

Zu allem Überfluss hat die Bayreuther Ausländerbehörde dem jungen Mann nun auch noch eine Mitteilung über die Kosten für die Abschiebung geschickt. Zwar ist dies noch keine Zahlungsaufforderung, wie den detaillierten Aufstellungen zum Beispiel über Tagegelder von Polizisten und Haftkosten zu entnehmen ist. Doch steckt dahinter die Absicht, sich den finanziellen Aufwand für die Abschiebung erstatten zu lassen: insgesamt mehrere Tausend Euro.

Klage gegen Regierung

Weder dies noch die Abschiebung wollen Mohammed und Pfarrer Wening hinnehmen. Der Anwalt der Familie Sawas hat Klage gegen die Regierung von Oberfranken eingereicht. Damit soll erreicht werden, dass dem jungen Syrer eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 25a des Aufenthaltsgesetztes erteilt wird. Diese gesetzliche Regelung ermöglicht ein Bleiberecht für Jugendliche und Heranwachsende, die gut integriert sind und eine Duldung besitzen. Der Anwalt begründet die Klage unter anderem damit, dass Mohammed vier Jahre lang die Franz-Bogner-Mittelschule in Selb besucht und erfolgreich abgeschlossen und sich nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert habe. Wie das Gericht entscheidet, ist ungewiss.

Die ZAB habe seinem Schützling nach einer gescheiterten Abschiebung im Sommer 2021 nun schon zum zweiten Mal die Chance auf eine Ausbildung in Deutschland zunichte gemacht, zeigt sich Klaus Wenig verärgert und fassungslos zugleich. Dass die lettische Regierung Mohammed nicht finanziell unterstützt, wundert den Pfarrer nicht: „Die sagen, wir kriegen ja nicht einmal unsere eigenen Leute durch.“ Zwar hätten die Behörden in Riga mündlich mitgeteilt, dass Mohammed mit seinem Aufenthaltstitel innerhalb Europas reisen und wohnen dürfe, eine schriftliche Bestätigung werde aber verweigert. Zudem gebe es für den jungen Mann laut ZAB eine zweieinhalbjährige Einreisesperre.

Gut integriert in Selb

„Ich habe mich in Deutschland immer bemüht, alles gut und richtig zu machen, damit ich mir später hier ein gutes Leben aufbauen kann. Ich bin nicht straffällig geworden, spiele Fußball und bin bei der Feuerwehr in Selb, und jetzt geht das doch alles nicht“, sagt Mohammed mit Trauer in der Stimme. Inzwischen hat er einen Aufenthaltstitel für Lettland. „Wenn ich zwölf Monate arbeite, bekomme ich hier eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis.“ Also will der Jugendliche sich eine Arbeit in Riga suchen, um sein Leben zu finanzieren. Der erste Versuch ist gescheitert. Er spricht die Sprache nicht. Und Mohammed hat Heimweh. Trotzdem bemüht er sich, sein Leben in Riga zu ordnen. Doch eigentlich möchte er zurück nach Selb.

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