Mit der Rikscha zum Elterngrab Ein Herzenswunsch geht in Erfüllung

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BAYREUTH. Leise raschelt das herbstliche Laub unter den Rädern, als Stefan Keßler Anna Lenhart und Karin Orbes, die sie begleitet, bis direkt vor das Grab der Eltern fährt. Wären da nicht die neugierigen und erstaunten Blicke vieler Friedhofsbesucher, dann wäre es etwas völlig normales, was sich an diesem Samstag auf dem Stadtfriedhof abspielt. Aber die Rikscha mit ihrem leuchtend orangen Dach sorgt für Aufsehen inmitten der vielen, die die Gräber ihrer Angehörigen herrichten, die für neue Bepflanzung sorgen, Gestecke mitbringen oder einfach nur das Laub von Steinplatten fegen.

 
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Fast 94 Jahre alt ist Anna Lenhart, im Januar feiert sie Geburtstag. Die ruhige und bescheidene Frau, die wenig Aufhebens um sich selbst macht, lebt seit zehn Jahren im Seniorenheim. Aus dem Sudetenland, aus Gablonz kam sie einst gemeinsam mit ihren Eltern Hermine und Anton nach Bayreuth. Beide sind schon lange verstorben. Die Mutter 1976, der Vater 1986. Ihr Grab mit der großen schwarz-grauen Steinplatte ist auf dem Stadtfriedhof.

Mit dem Rollator zum Grab

Außer einem Neffen, der sich in erster Linie um die Abwicklung der Behördengänge kümmert, gibt es keine weiteren Angehörigen. Und so war und ist das Elterngrab für die betagte Frau eine wichtige Anlaufstation. Auch dann, als sie schon im Seniorenheim lebte, schaffte sie es immer wieder, mit dem Rollator zum Stadtfriedhof zu fahren. Doch die Kräfte ließen nach, und den Wunsch, zum Friedhof gebracht zu werden, mochte sie nicht äußern. Zu beschäftigt waren die Pfleger, die sich um sie kümmerten.

Kontakt nach außen

Erst als Karin Orbes, die Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft sich ihrer annahm, fasste sich Anna Lenhart ein Herz und äußerte ihren Wunsch. "Ich betreue sie ja jetzt schon sehr lange," sagt Orbes. Und den Kontakt nach außen, in die reale Welt zu halten, sei wichtig, helfe gegen aufkeimende Depressionen.

Die Suche nach dem Grab

Den Weg dafür zu ebnen, war allerdings nicht ganz einfach. Orbes befürchtete, dass das Grab schon längst eingeebnet sein könnte, denn der letzte Besuch lag sieben Jahre zurück. So wandte sie sich an den Friedhofswärter. Anhand der Jahrbücher gelang es nach einigen Irrungen und Wirrungen, das Grab ausfindig zu machen. Und mit Hilfe der Rikscha, die der Alzheimer-Gesellschaft von Betriebsrat und Kurier-Stiftung "Menschen in Not" gespendet worden war, ist der Herzenswunsch der alten Dame in Erfüllung gegangen.

Blumen und Grablichter

Eingehüllt in eine warme Decke, auf dem Schoß ein Blumengesteck und Grablichter, werden Anna Lenhart und Karin Orbes mitten durch die Stadt und dann quer durch den Friedhof gefahren. Selbst auf den schmalen Wegen zwischen den Gräbern lässt sich die Rikscha noch problemlos lenken. Stefan Keßler hat jetzt schon viele Fahrten hinter sich. "So rund 200 Kilometer werden es sein," schätzt er. Und dabei viel Dankbarkeit erfahren. Eine russischstämmige Frau hatte ihm selbst gestrickte Socken geschenkt. "Das ist in dieser oft oberflächlichen Zeit so wertvoll. Ein ehrlicher Dank."

"Ich bin so dankbar"

Für Anna Lenhart stelle Stefan Keßler an diesem Tag noch zwei Grablichter auf. Und dann darf die 93-Jährige für ein paar Minuten allein am Elterngrab verweilen. "Ich bin so dankbar Ihnen alle, die das ermöglichen," sagt sie danach.

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