Angela Merkels im Sommer zu Ende gegangene dritte Amtsperiode hätte eine historische werden können. Ihre Machtfülle und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung zu Beginn der Legislaturperiode waren einzigartig. Doch dann verordnete die Kanzlerin der Republik eine Politik im Dornröschenschlaf. Die Wähler präsentierten ihr trotz der prosperierenden Wirtschaft die Rechnung, weil Merkel die Konzepte für zentrale Themen und Probleme des Landes schuldig blieb. Das trifft besonders auf das Schlüsselthema dieses Wahlkampfes zu. Merkels Flüchtlingspolitik, ihr lapidares "wir schaffen das", verstörte viele Menschen. Ihre Weigerung, Korrekturen vorzunehmen, offenbart einen Wahrnehmungsverlust der Kanzlerin. Denn allen reaktionären und rechtsradikalen Umtrieben zum Trotz gibt es einen breiten Konsens der Demokraten in diesem Land, das Recht auf Asyl gegen alle Angriffe zu verteidigen. Gleichwohl treibt viele Menschen die berechtigte Frage um, welches Maß an Sicherheit der Staat angesichts offener Grenzen noch zu garantieren vermag. Dabei geht es nicht nur um die individuelle Bedrohung durch mögliche terroristische Anschläge. Es gibt offenbar ein wachsendes Bedürfnis nach "kultureller Sicherheit", das in der Frage Ausdruck findet: Wer gehört zu uns, welches Maß an Vielfalt verkraftet eine Gesellschaft? Wer diese Frage stellt, ist keineswegs schon ein Reaktionär.