Meinungen Die Denkzettel-Wahl

Johann Pirthauer

Dieses Wahlergebnis müssen alle Demokraten als Fanal empfinden. Es ist ein Alarmsignal und vielleicht einer der letzten Weckrufe für die parlamentarische Demokratie, die auf breiter Front an Zustimmung verliert.

Von Hans Pirthauer Quelle: Unbekannt

Nach einem langweiligen Wahlkampf haben die Wähler den beiden Volksparteien einen Denkzettel erteilt. Union und SPD gemeinsam finden - unter Berücksichtigung der Wahlbeteiligung - nur noch bei rund 40 Prozent der Wahlberechtigten Zustimmung. Gleichzeitig zieht die erzreaktionäre AfD mit einem spektakulären Ergebnis in den Bundestag ein. Was bedeutet das für die Demokratie? Essentielle Werte wie politische Vernunft und Moral blieben auf der Strecke. Verloren gegangen ist offenbar auch das Vertrauen vieler Menschen, dass der Staat sie angemessen zu schützen und ihre Interessen zu wahren vermag.

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Angela Merkels im Sommer zu Ende gegangene dritte Amtsperiode hätte eine historische werden können. Ihre Machtfülle und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung zu Beginn der Legislaturperiode waren einzigartig. Doch dann verordnete die Kanzlerin der Republik eine Politik im Dornröschenschlaf. Die Wähler präsentierten ihr trotz der prosperierenden Wirtschaft die Rechnung, weil Merkel die Konzepte für zentrale Themen und Probleme des Landes schuldig blieb. Das trifft besonders auf das Schlüsselthema dieses Wahlkampfes zu. Merkels Flüchtlingspolitik, ihr lapidares "wir schaffen das", verstörte viele Menschen. Ihre Weigerung, Korrekturen vorzunehmen, offenbart einen Wahrnehmungsverlust der Kanzlerin. Denn allen reaktionären und rechtsradikalen Umtrieben zum Trotz gibt es einen breiten Konsens der Demokraten in diesem Land, das Recht auf Asyl gegen alle Angriffe zu verteidigen. Gleichwohl treibt viele Menschen die berechtigte Frage um, welches Maß an Sicherheit der Staat angesichts offener Grenzen noch zu garantieren vermag. Dabei geht es nicht nur um die individuelle Bedrohung durch mögliche terroristische Anschläge. Es gibt offenbar ein wachsendes Bedürfnis nach "kultureller Sicherheit", das in der Frage Ausdruck findet: Wer gehört zu uns, welches Maß an Vielfalt verkraftet eine Gesellschaft? Wer diese Frage stellt, ist keineswegs schon ein Reaktionär.

Deshalb gilt es auch deutlich zu trennen zwischen den Repräsentanten der AfD und deren Wählerinnen und Wählern. Wer hier sein Kreuz machte, ist nicht per se ein Feind des Staates und seiner Institutionen. Ja, die AfD-Basis ist menschen-, fremden- und demokratiefeindlich. Und die Rechtspopulisten stellen auch eine Gefahr für die Debattenkultur im Bundestag dar. Aber ihr Ergebnis verdankt die Partei auch vielen Protestwählern, Menschen, die schlicht und ergreifend Angst vor der Zukunft haben, die in sozialer Not leben oder sich aus anderen Gründen abgehängt fühlen. Merkel hat mit dazu beigetragen, die AfD hoffähig zu machen - auch, aber nicht nur wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Ihr historischer Fehler manifestiert sich in der Preisgabe eines klaren konservativen Profils und einer schleichenden "Sozialdemokratisierung" der Union.

Die tragische Figur dieses Wahlkampfes heißt Martin Schulz. Als der Hype in der SPD seinen Höhepunkt erreichte, twitterte ein euphorischer Parteigenosse: "Schulz-Zug , nächste Ausfahrt Kanzleramt". Schulz gab der Partei für eine kurze Phase ihr Selbstbewusstsein zurück. Am Ende bleiben nur Bitterkeit und das schlechteste SPD-Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Schulz erwies sich als Zauderer, als Kandidat ohne Charisma und Fortune. Zu Recht sagen manche Parteigenossen, Schulz' größte Schwäche sei es, dass ihm der Wille zur Macht fehlt. Er scheiterte auch deshalb, weil er erschreckend viele Fehler machte. Der gravierendste: Lange Zeit erfuhr die Öffentlichkeit vom SPD-Kandidaten nicht mehr, als dass er Kanzler werden wollte. Konkrete politische Ziele? Fehlanzeige.

Die Koalitionsverhandlungen werden sich komplizierter als je zuvor gestalten. Vor allem, weil die sogenannten Kleinen tüchtig Selbstbewusstsein getankt haben. Zu den Gewinnern dieser Wahl gehört neben den Linken Christian Lindner. Nicht nur wegen der nackten Zahlen. Lindner gelang es, das Profil der FDP als einer eigenständigen Kraft zu schärfen und sie damit von der Union zu emanzipieren. Er wird einen hohen Preis fordern für einen Eintritt in eine "Jamaika"-Koalition - die einzig verbleibende Option. Das gilt auch für die Grünen, die aus dieser Wahl gestärkt hervorgehen. Die SPD wird sich in der Opposition regenerieren. Und Angela Merkel? Die Kanzlerin ist schwer angeschlagen und wird in der CDU/CSU gewaltig unter Druck geraten. Die konservativen Kräfte in der Partei werden eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte der Union einfordern. Manches spricht dafür, dass bereits am Drehbuch für eine Palastrevolution geschrieben wird.