Mehr als Wagnerianer Kunstkenner Josef Lienhart ist tot

Alexander Dick
Josef Lienhart wurde vielfach ausgezeichnet. So überreichte ihm auch der damalige Bayreuther Oberbürgermeister Dieter Mronz die Goldene Bayreuth-Medaille. Foto: Karl Heinz Lammel/Archiv

Er war die Seele der Richard-Wagner-Verbände – weltweit. Jetzt ist der große Kunstkenner Josef Lienhart 88-jährig in Freiburg gestorben.

 
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Kein Gespräch mit ihm, aus dem man nicht um mindestens eine Erfahrung reicher herausgegangen wäre. An Wissen – und an Herzensbildung. Josef Lienhart war eine erste Adresse in Sachen Richard Wagner, aber er war nicht jemand, der mit seiner enormen Kenntnis intellektuell kokettierte, gar im lexikalischen Sinn. Lienhart hielt es eher mit der Figur des Ritters Stolzing in Richard Wagners, ja, komischer Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“: Der, als er nach langem Kampf in die Meistergilde aufgenommen werden soll, zurückschreckt: „Nicht Meister! Nein! Will ohne Meister selig sein!“

Handwerk und Kunst in Personalunion

Dabei war der Freiburger, Jahrgang 1934, ein solcher – Bäckermeister. In Lienhart vereinte sich das Ideal von Handwerk und Kunst in Personalunion, auch wenn Letztere seinem Leben von Anfang an einen konsequenten Weg wies. Als er mit fünf Jahren seine erste Wagner-Platte hörte, war’s um ihn geschehen. Mit neun Jahren erlebte er seine erste Wagner-Oper, „Die Walküre“ am Theater Freiburg. Und mit 14 gehörte er zu jenen, die den Richard-Wagner-Verband neu begründeten. Eine Entscheidung, die Lienharts Lebens nachhaltig prägen sollte.

In seiner Autobiografie „Weißt du, wie das ward?“ (Freiburg, 2012) schürft Lienhart tief im Kosmos Wagner. Ähnlich den Nornen aus der „Götterdämmerung“, bei denen er das Zitat entliehen hat, blickt er zurück, stellt die Frage wie sich die Wagner-Festspiele – „Neu-Bayreuth“ – unter den Brüdern Wieland und Wolfgang Wagner von 1951 neu entwickelten. Aus authentischer Perspektive, denn Lienhart war nicht nur Zaungast – er war Akteur. 1952 schon durfte er in Freiburg einen viel beachteten Vortrag über Wieland Wagners „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth halten, von Anfang an hatte er die neue Bühnenästhetik der Brüder Wagner, deren radikalen Abschied vom romantisierenden Bühnennaturalismus, aufgeschlossen wohlwollend verfolgt. Eine Eigenschaft, die ihn stets auszeichnete. Lienhart wusste zu differenzieren, auch wenn es um den Antisemiten Richard Wagner ging, beharrte gleichwohl auf der Sichtweise, dass „das Widersprüchliche und Fragwürdige“ in Wagners Partituren nicht eingegangen sei.

Initiator vieler Richard-Wagner-Verbände

Josef Lienharts Einsatz für die die Pflege von Wagners Werk unterstützenden Richard-Wagner-Verbände war einzigartig. Nach dem Mauerfall initiierte er von 1991 an die Neugründung zahlreicher Richard-Wagner-Verbände in Osteuropa und Asien und als Dachorganisation den Richard-Wagner-Verband-International (RWVI), dessen Gründungspräsident er war. Als er sich vom Vorsitz zurückzog, verlieh ihm der Verband 2008 die Ehrenpräsidentschaft. In seinem Freiburger Verband war er Ehrenvorsitzender, 2019 wurde ihm in Freiburg das Goldene Stadtsiegel als besondere Auszeichnung zuteil.

Und doch war Lienhart weit mehr als Wagnerianer. Über die Malerei Tizians und El Grecos, über die Kunststadt Venedig konnte er ebenso geschliffene Stegreifvorträge halten wie über das Musiktheater des Abendlandes bis heute. Mit seinem Tod am Donnerstag verliert die Kunstwelt einen Meister. Und Freund.

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