Mehr als nur Tempo und Fingerfertigkeit: Der Orgel-Revolutionär bei der Musica Bayreuth Cameron Carpenter begeistert in der Stadthalle Bayreuth

Von Michael Weiser
Als steuerte er das Raumschiff Enterprise durch das Weltall: Cameron Carpenter in der Stadthalle. Foto: Andreas Harbach. Foto: red

Popstar, Klassikkönner, Virtuose: Cameron Carpenter begeistert das Publikum in der Stadthalle an seiner Super-Orgel. Und liefert Belege für sein Programm einer Revolution: Warum sollte eine digitale Orgel nicht besser sein als die Vorläufermodelle mit herkömmlichen Pfeifen?

 
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Mittendrin konnte man ein Bild aus einem alten Zeichentrickfilm vor Augen haben, von einer lustigen, bunten Maschine, die fröhliche Musik auf allen Registern spielt. Aus Orgelpfeifen drückt's die Luftwölkchen in den blauen Himmel, an den Flanken rattern die Schlegel übers klingende Spiel, irgendwo schlägt noch eine Mechanik die Pauke, und oben hebt sich lustig im Takt das Hütchen vom Ventil. Und weil es eine lustige Maschine ist, hält sie nicht stur den Takt, sondern hüpft das eine oder andere Mal, mit einem übermütigen Zwischenschritt.

Natürlich kein Zirkus

Natürlich ist ein Konzert von Cameron Carpenter keine Zirkusvorstellung. Natürlich ist ein Konzert von Cameron Carpenter  trotzdem eine Inszenierung. Jedes gute Konzert ist das, in besonders hohem Maße aber kann man das von diesem Abend der Musica Bayreuth  behaupten. Und man kann sagen: es war keine Solo-Inszenierung. Denn nicht weniger als der Solist wurde das Instrument bestaunt: die digitale Orgel, die sich Carpenter nach eigenen Plänen hat bauen lassen. Ein Supercomputer, der Samples, Klangmuster, von nicht weniger als 66 real existierenden Pfeifenorgeln der Kunst eines herausragenden Musikers zur Verfügung stellt. Ein Spieltisch von den Ausmaßen eines Kleinwagens, flankiert von Boxen, daneben wiederum Subwoofer. Es hat etwas von Kommandobrücke der "Enterprise".

Eine beeindruckende Installation. Und Carpenter, dieser Außerirdische mit Irokesenschnitt, spielt darin Musik, sehr gut sogar. Er schafft aber noch mehr: Er zeigt tatsächlich, wie er sich eine von vielen Zukunften der Musik vorstellen kann. Das Konzertereignis als Mixtur vom Besten aus verschiedenen Welten. Nicht Ernst oder Unterhaltung, sondern beides, präsentiert von einem Musiker, der sich einem Leistungssportler gleich seiner Aufgabe widmet. Der durchtrainierte Körper des US-Amerikaners liefert vom bloßen Augenschein her Argumente, warum eine Tanzausbildung einem Organisten gut anstehen könnte. Man achte nur mal auf die Füße...

Carpenter beginnt - was das Programm betrifft - konventionell. Mit Bach. Fantasie und Fuge, Triosonate in d-Moll, Präludium. Bach an der Orgel, was sonst? Doch man ist irritiert. Es fehlt der Hall, den man von Kirchen gewohnt ist, verhältnismäßig trocken überträgt sich der Klang ins Gehör. Zieht Carpenter deswegen nicht alle, aber doch viele Register, mehr, als nötig wäre? Carpenter scheint sich im Angehör des Klangs aufs Experimentieren zurückgeworfen zu sehen, vielleicht verzichtet er deswegen auf die Choralvorspiele. Und: Er präsentiert Bach im Tempo weit freizügiger, als man's gewohnt ist.

Eine Klangplastik - faszinierend!

Doch auch schon in der ersten Hälfte des Konzerts nimmt man etwas ganz und gar Eigentümliches wahr: wie da aus einem Klanggemälde mehr wird, wie sich da unter den emsigen Fingern, Fußspitzen und Fersen Carpenters etwas Plastisches bildet. Unversehens eine Klangskulptur, das ist es. Um's mit Spock zu sagen: faszinierend!

Und es wird noch besser. Die festliche Overtüre von Schostakowitsch, direkt nach der Pause, ist einfach großartig. Die "Variations sur un Noël" spielt Carpenter nicht nur aberwitzig schnell und gut, sondern auch mit einer solchen Fülle an Klangfarben, dass man die Begeisterung des Amerikaners für seine Wunderorgel auf einmal versteht.

Schließlich tobt das Publikum. Cameron Carpenter lässt sich nicht lumpen, spielt drei Zugaben, unter anderem das Vorspiel zu den "Meistersingern", in einer Transkription, die er wohl eigens für Bayreuth geschaffen hat, und es ist wunderbar, das man darin Wagners Ehrfurcht vor Bach in Carpenters Spiel so deutlich hört. Carpenter schließt eine höchst virtuose Fassung einer Chopin-Etüde an. Das muss man nicht gut finden, wenn man's im Radio hört. Wenn man ihn dazu sieht, wird im Kopf des Betrachters aus schierer Fingerfertigkeit wiederum ein Erlebnis.

Was geht da noch? Am Ende noch das Vorspiel zum dritten Akt von "Lohengrin"? Nein, aber man wird ja noch träumen dürfen. Auch nach diesem Abend, der einfach sensationell war. Und höchstens ein kleinwenig Zirkus.

INFO: Am kommenden Freitag, 22. Mai, steht in der Musica Bayreuth das Familienkonzert an: "Alice im Cartoonland" lautet der Titel für dieses Kammerkonzert zu Disney-Stummfilmen. Beginn in der Stadthalle ist um 19.30 Uhr. Karten unter anderem an der Theaterkasse.