Mega-Strukturen im Weltall Gesucht wird: die kosmische Heimat unserer Milchstraße

Markus Brauer

Diese Meldung dürfte Astronomie-Fans elektrisieren: Die Milchstraße ist womöglich doch nicht Teil des Laniakea-Superhaufens – jener Megastruktur, die bisher als unsere kosmische Heimat galt. Stattdessen könnte sie zum sehr viel größeren Shapley-Supercluster gehören, wie Forscher vermuten.

 
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Die Milchstraße (kleiner roter Punkt) ist Teil eines Systems aus unvorstellbar gewaltigen Strömungen und Megastrukturen im Kosmos. Foto: © Daniel Pomarède/ Nature Astronomy, 2024

Sämtliche Sternensysteme, also Galaxien und Galaxienhaufen im Kosmos, bewegen sich nicht zufällig: Sie folgen unsichtbaren Strömungen, die von großräumigen Unterschieden der Materiedichte gelenkt werden.

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Massereiche, dichte kosmische Großstrukturen wie der Laniakea- und Shapley-Superhaufen (auch Supercluster genannt) oder der 1,3 Milliarden Lichtjahre lange Sloan Great Wall fungieren dabei als Schwerkraftsenken – sogenannte Attraktoren –, die Galaxien in großem Umkreis durch Gravitation zu sich hin lenken.

Galaxienarme Voids oder der Dipol-Repeller lassen Galaxien hingegen von sich wegströmen.

Wichtige astronomische Begriffe erklärt

  • Laniakea-Supercluster: Dabei handelt es sich um den lokalen Groß-Supergalaxienhaufen, der etwa 100.000 Galaxien, darunter auch unsere Milchstraße, beherbergt. Sein Durchmesser beträgt rund 520 Millionen Lichtjahre.
  • Attraktoren: Darunter versteht man in der Physik dynamische Systeme, wie etwa die Bewegungen von Himmelskörpern unter gegenseitiger Beeinflussung durch die Gravitation.
  • Sloan Great Wall: Dies ist eine gigantische Wand aus Galaxien, welche eine der größten bekannten zusammenhängenden Strukturen im Universum darstellt. Die Struktur hat eine Länge von rund 1,37 Milliarden Lichtjahren und ist eine Milliarde Lichtjahre von der Erde entfernt.
  • Shapley-Superhaufen: Dieser Supercluster stellt die größte bekannte Ansammlung von Galaxien in einer Entfernung von bis zu 700 Millionen Lichtjahren dar. Er ist ein Massezentrum, welches dafür sorgt, dass die ihm angehörenden Sternsysteme durch gravitative Kräfte zusammengehalten werden,
  • Dipol Repeller: Unter dem Dipole Repeller (englisch: Dipol-Abstoßer) versteht man ein sehr dünn besiedeltes Gebiet des Kosmos, aus dem sich benachbarte Galaxien entfernen.
  • Voids: Diese werden in der Astrophysik und Kosmologie Leer- bzw. Hohlräume im Weltall genannt, in dem (fast) nichts existiert. Sie umspannen wie ein Netz sogenannte Filamente (von lateinisch: filum, Faden).
  • Filamente: Diese sind fadenförmige Verbindungen aus sichtbarer und dunkler Materie zwischen sehr dichten Ansammlungen von vielen Galaxien – also Galaxien- und Supergalaxienhaufen.
  • Wabenstruktur: Die Struktur des Universums kann man sich als eine Art Wabenstruktur bzw. kosmisches Netz vorstellen. Dieses Netz besteht aus Filamenten – den größten bekannten Strukturen im Kosmos – und Voids. Diese Leeren enthalten im Verhältnis zu ihrem Volumen nur sehr wenige Galaxien. Auch Voids haben eine Wabenstruktur und gehören zu den größten inhomogenen – das heißt nicht gleichmäßig aufgebauten – Strukturen im Universum.

Schwerkraftzentren rund um die Milchstraße

Die Milchstraße ist von 17 kosmischen Megastrukturen umgeben. Diese Supercluster beeinflussen durch ihre Gravitation die großräumigen Strömungen in weitem Umkreis. Der mit Abstand größte dieser Systeme ist der Sloan Great Wall (blau). Foto: © Daniel Pomarède/ Nature Astronomy, 2024

Doch welche dieser Megastrukturen prägen das lokale Universum rund um unsere Milchstraße? Astronomen um Aurelien Valade von der französischen Universität Marseille und dem Leibniz Institut für Astrophysik in Potsdam haben das jetzt genauer untersucht.

Dafür nutzten sie Daten des Cosmicflows-4 Survey, einer Art Galxien-Atlas, der Lage und Bewegung von rund 56.000 Galaxien im Umkreis von rund einer Milliarde Lichtjahren enthält.

Ihre Studie ist im aktuellen Fachmagazin „Nature Astronomy“ erschienen.

17 kosmische Giganten-Systeme

Die Forscher erstellten ein dreidimensionales Modell (siehe die Grafiken), das die Strömungen und gravitativen Megastrukturen im lokalen Universum in zuvor unerreichter Genauigkeit zeigt. Vor allem die Grenzen zwischen den einzelnen Einzugsgebieten dieser Attraktoren seien nun deutlich präziser kartiert als zuvor, erklären Valade und seine Kollegen.

Insgesamt identifizierten sie 17 große Gravitationssysteme in der kosmischen Umgebung der Milchstraße.

Diese Illustration zeigt das Strömungssystem (verschiedene Farben), zu dem auch unsere Milchstraße (kleiner roter Punkt) gehört. Doch wo endet es? Foto: © Daniel Pomarède/ Nature Astronomy, 2024

Sloan Great Wall: Das alles umfassende System

Eines dieser Systeme ist dabei besonders: „Der Sloan Great Wall und die mit ihm verknüpften Strukturen sind überwältigend dominant“, erläutern die Wissenschaftler. Das Einzugsgebiet dieses Superclusters umfasst rund eine halbe Milliarde Kubik-Lichtjahre.

  • Zur Info: Ein Kubiklichtjahr ist eine Volumeneinheit in der Astronomie. Sie bezeichnet das Volumen eines Würfels mit einer Kantenlänge von einem Lichtjahr (9,46 Billionen Kilometern). Damit ist die Attraktionssenke des Sloan Great Wall mehr als doppelt so groß wie die des zweitgrößten Systems, des Shapley-Superclusters.

Wo unter diesen Super-Systemen befindet sich die Milchstraße? Bisher galt unsere Heimatgalaxie als Teil des Laniakea-Supercluster. Doch die Forscher bezweifeln dies. „Die mit der Milchstraße verbundenen Strömungen bewegen sich auf zwei verschiedenen Senken zu. Und der bevorzugte Endpunkt ist das Gebiet des Shapley-Superclusters mit 58 Prozent.“ Nur rund 40 Prozent der Strömungen endeten dagegen im Gebiet des Laniakea-Superclusters.

Die Milchstraße (kleiner roter Punkt) gehört möglicherweise doch nicht zum Laniakea-Supercluster (türkis), sondern zum weit größeren Shapley-Attraktor (hellgelb). Der Sloan Great Wall feindet sich links in der Illustration (blau). Foto: © Daniel Pomarède/ Nature Astronomy 2024

So ist unsere Milchstraße aufgebaut

  • Aufbau: Das Milchstraßensystem hat die Form einer flachen Scheibe mit spiralförmigen Armen und einer Verdickung in der Mitte. Der Durchmesser dieser Scheibe beträgt etwa 120 000 Lichtjahre. Die Anzahl aller Sterne im Milchstraßensystem wird auf rund 200 Milliarden geschätzt.
  • Komponenten: Wie alle Spiral- und Balkenspiralgalaxien besteht das Milchstraßensystem aus drei Komponenten: Bulge, Halo und Scheibe.
  • Bulge: Der Kern besteht hauptsächlich aus älteren Sternen und enthält 33 Prozent der sichtbaren Materie.
  • Halo: Der galaktische Außenbereich besteht aus weit verstreuten, älteren Sternen und Kugelsternhaufen, welche die Galaxie langsam umkreisen. Der Halo beinhaltet 1 Prozent der sichtbaren Materie, aber 95 Prozent der Dunklen Materie.
  • Scheibe mit Spiralarmen: Die dünne Scheibe (Thin Disk) erstreckt sich 700 Lichtjahre ober- und unterhalb der galaktischen Ebene, die viel Gas und neugebildete Sterne enthält.
  • Dicke Scheibe: Sie erstreckt sich bis zu einem Abstand von etwa 2500 Lichtjahren ober- und unterhalb der galaktischen Ebene, die vorwiegend ältere Sterne enthält.
  • Dünne Scheibe: Sie enthält 65 Prozent der sichtbaren Masse der Galaxie, die dicke Scheibe nur 5 Prozent
  • Schwarzes Loch: Im Zentrum der Milchstraße befindet sich – wie in wohl jeder Galaxie – ein supermassives Schwarzes Loch.

Gehören Milchstraße und Laniakea zu noch größerem System?

Das könnte bedeuten, dass unsere Milchstraße gar nicht zu Laniakea, sondern stattdessen zusammen mit größeren Teilen des Laniakea-Superclusters der übergeordneten Megastruktur des Shapley-Attraktors angehört, resümieren die Forscher.

Dieses Mega-System wäre dann unsere eigentliche kosmische Heimat. „Es ist spannend, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit Teil einer viel größeren Struktur sind“, sagt Mitautor Noam Libeskind vom Leibniz-Institut für Astrophysik.

Info: Struktur des Universums

Struktur des Kosmos
Die Verteilung von Materie im Universum ist von einem Netz großräumiger, wabenartiger Strukturen geprägt. Dichte Filamente und riesige Klumpen von Gas und Galaxien wechseln sich dabei mit größtenteils leereren Bereichen ab. Die Struktur des Kosmos ist durch die großräumige Anordnung und Verteilung der Materie gekennzeichnet. So sind Sterne in Galaxien zusammengefasst, Galaxien in Galaxienhaufen und diese wiederum in Supergalaxienhaufen, zwischen denen sich große Leerräume ( sogenannte Lokale Leere, englisch: Local Voids) befinden.

Supergalaxiehaufen
Der Laniakea-Supercluster, die kosmische Heimat unserer Milchstraße, ist Teil dieser kosmischen Grossstruktur. Dieser Supergalaxienhaufen umfasst rund 100 000 Galaxien, darunter auch die Milchstraße. Ihr Durchmesser beträgt 520 Millionen Lichtjahre.

Lokale Leere
Dieses Gebilde enthält neben der Lokalen Gruppe – der Name einer Ansammlung von Galaxien, deren größte die Milchstraße und die Andromedagalaxie sind – und dem Virgo-Galaxienhaufen auch den Lokalen Void – eine riesige, eher leere Zone im All in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.

Virgo-Galaxiehaufen
Dieser Galaxienhaufen umfasst 1300 bis über 2000 Galaxien. Er liegt in Richtung des Sternbilds Jungfrau (Virgo). Sein Zentrum ist von der Milchstraße 54 Millionen Lichtjahre entfernt.