Das Zentrum der Verwerfung liegt südlich von Istanbul im östlichen Marmarameer – ein 150 Kilometer langer Abschnitt der Marmara-Hauptverwerfung. Zuletzt war er am 22. Mai 1766 gebrochen. Das Beben mit einer Magnitude von 7,1 Stärke forderte damals mehr als 4000 Todesopfer.
Wann könnte die Erde bei Istanbul beben?
Geologen sind sich einig. Das nächste schwere Beben in Istanbul ist längst überfällig. Aktuelle seismische Analysen bestätigen, dass die Plattengrenze südlich von Istanbul blockiert ist. Dort sind die anatolische und eurasische Erdplatte komplett ineinander verhakt. Kommt es dort zum Bruch der Verwerfung kommt – nur das Wann, nicht das Ob ist noch offen –, wäre ein Beben von einer Stärke bis 7,4 auf der Richterskala sehr wahrscheinlich.
Wie blockiert die Verwerfung unter dem Marmarameer ist, haben Wissenschaftler vom Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam anhand neuer seismologischer Daten aus den letzten 15 Jahren analysiert. Ihre Ergebnisse haben sie in dem Fachmagazin „Geophysical Research Letters“ veröffentlicht.
Warum sind die Erdplatten blockiert?
Mithilfe des computergestützten „Template Matching“ – einer speziellen Technik in der digitalen Bildverarbeitung zum Auffinden kleiner Teile eines Bildes – konnte das Team um den Geologen Dirk Becker belegen, dass sich die Platten im Westteil des Marmarameeres nur noch „ kriechend aneinander vorbeibewegen“. Südlich von Istanbul allerdings ist selbst diese kriechende Bewegung der Verwerfung komplett blockiert.
„Der Kriechanteil verringert sich ostwärts systematisch“, erklärt Becker. „Dort sind die Abschnitte der Marmara-Verwerfung („Main Marmara Fault“/MMF) )dann vollständig verhakt.“ Ebenfalls blockiert sei ein Stück der Ganos-Verwerfung, einem Abschnitt der Plattengrenze, der jenseits der Marmarameeres im Westen liegt.
Ist ein sehr starkes Beben wahrscheinlich?
Wenn die Nordanatolische Verwerfung brechen sollte, könnte dies ein Beben bis zu einer Stärke von 7,4 direkt bei Istanbul oder ein Beben an der Ganos-Verwerfung westlich des Marmarameeres mit noch höheren Magnitude zur Folge haben.
„Die Studie liefert ein differenziertes Bild der Dynamik der Plattenbewegung an einer kritisch gespannten Verwerfung in unmittelbarer Nähe zu einer Megacity“, erläutert GFZ-Mitautor Marco Bohnhoff. „Der systematische Übergang zwischen verhakten und kriechenden Segmenten ist in dieser Form weltweit einmalig.“
Es scheint also nur noch eine Frage der Zeit zu sein, so Bonhoff weiter, bis sich die geologische Spannung an der Marmara-Verwerfung entlädt.
Info: Messung von Erdbeben
Messung
Bei der Messung von Erdbeben wird die Stärke der Bodenbewegung angegeben (Magnitude). Weltweit treten jährlich etwa 50 000 Beben der Stärke 3 bis 4 auf. Etwa 800 haben die Stärken 5 oder 6. Ein Großbeben hat den Wert 8.
Stärken
Das heftigste bisher auf der Erde gemessene Beben hatte eine Magnitude von 9,5 und ereignete sich 1960 in Chile. Erdbeben können je nach Dauer, Bodenbeschaffenheit und Bauweise in der Region unterschiedliche Auswirkungen haben.
Magnitude
Meist gilt: • Stärke 1-2: nur durch Instrumente nachzuweisen • Stärke 3: nur in der Nähe des Epizentrums zu spüren • Stärke 4-5: 30 Kilometer um das Zentrum spürbar, leichte Schäden • Stärke 6: mäßiges Beben, Tote und schwere Schäden in dicht besiedelten Regionen • Stärke 7: starkes Beben, oft katastrophale Folgen und Todesopfer • Stärke 8: Großbeben mit vielen Opfern und schweren Verwüstungen
Richterskala
Früher wurde die Erdbebenstärke einheitlich nach der Richterskala bestimmt. Der amerikanische Geophysiker Charles Francis Richter hatte die Skala 1935 speziell für Kalifornien ausgearbeitet. Heute wird sie nur noch eingeschränkt eingesetzt, auch weil das Verfahren nur bei Erschütterungen in der Nähe der Messstationen zuverlässige Werte liefert (Lokalmagnitude).
Mess-Skalen
Mittlerweile werden mehrere Skalen parallel verwendet. Derzeit gilt die sogenannte Momentmagnitude als bestes physikalisches Maß für die Stärke eines Bebens. Sie bestimmt das gesamte Spektrum der seismischen Wellen bei Erdstößen. Die meisten Skalen ergeben zumindest bei schwächeren Beben ähnliche Werte wie die Richterskala, erlauben aber eine genauere Differenzierung bei schweren Beben (mit dpa-Agenturmaterial).